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       # taz.de -- Die Linke, Wagenknecht und Migration: Ein bisschen Frieden
       
       > Partei und Fraktion treffen sich zur Aussprache im Bundestag. Als Erfolg
       > gilt schon, dass Sahra Wagenknecht bis zum Schluss zuhört.
       
   IMG Bild: Plötzlich innerparteilich kompromissfähig? Sahra Wagenknecht im Bundestag
       
       Berlin taz | Für die Grünen [1][geht es derzeit bergauf], für die
       Linkspartei eher bergab. Bei acht Prozent liegt die Partei aktuell in
       Umfragen. Wie unterschiedlich gut die Stimmung ist, zeigte sich auch am
       Freitagabend in Berlin. Abgeordnete der Grünen trafen sich bei Wraps und
       Kuchen im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus des Bundestags und schauten zusammen
       den Dokumentarfilm „The cleaners“. Ein Stockwerk darüber tagten die
       Abgeordneten der Linken gemeinsam mit dem Parteivorstand. Zu essen gab es
       zunächst: nichts.
       
       Man traf sich ja auch [2][zum Krisengespräch, harmloser formuliert zur
       Aussprache]. Diese war vom Parteitag im Juni schon beschlossen worden. Über
       nichts anderes streitet die Partei derzeit so erbittert wie über [3][die
       Migrationspolitik]. Das Thema ist umstritten auch deshalb, weil die
       Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht immer wieder betont, dass sie die
       Position der „offenen Grenzen für alle“, wie sie im Parteiprogramm
       festgeschrieben steht, für völlig utopisch hält. Wagenknecht setzt sich für
       eine Begrenzung von Migration ein. Diese inhaltliche Debatte wird in der
       Linken in den vergangenen Monaten zunehmend offener als Machtfrage gestellt
       und gipfelte zuletzt in der unverholen vorgetragenen Forderung: Wagenknecht
       muss weg.
       
       Am Freitag im Bundestag blieb Wagenknecht sitzen und hörte bis zum Schluss
       zu. Schon allein das kann die Linke derzeit als Erfolg verbuchen.
       
       Die Erwartungen an die Aussprache waren divers. „Bringt ja eh nichts“,
       meinten vor allem einige Mitglieder der Fraktion, in der die Stimmung
       besser sein könnte. „Sie macht sowieso, was sie will.“ Mag sein:
       Wagenknecht, die in grüner Kurzjacke erschien und sich sofort von
       MedienvertreterInnen umstellt sah, macht jedenfalls kein Hehl daraus, dass
       sie sich auch künftig nicht der per Parteitagsbeschluss dekretierten
       Mehrheitsmeinung verpflichtet sieht. Was das Ergebnis der Veranstaltung
       sein werde? „Natürlich werde ich morgen nicht behaupten, dass jeder, der
       kommen will, kommen darf“, sagte sie, das Kinn erhoben.
       
       Andere, besonders Mitglieder des Parteivorstands, freuten sich auf die
       Debatte: Es sei gut, dass man sich endlich mal treffe und reden könne. In
       der Tat war es das erste Mal, dass sich der 44-köpfige Parteivorstand und
       die 69 Mitglieder starke Fraktion in dieser Form trafen.
       
       ## Selbstverpflichtung und Sprachregelung
       
       Und so redete man denn. Nach Eingangsstatements der vier Vorsitzenden von
       je fünf Minuten kam jeder mal dran, fünf Stunden lang. Man redete und
       redete und zwar wie viele TeilnehmerInnen in der Pause – da gab es sogar
       Kuchen und Schnittchen – berichteten, auf angenehm sachlichem Niveau.
       Selbst Wagenknecht schmauste mit Appetit: „Ich bin positiv überrascht über
       die Sachlichkeit der Debatte“, sagte sie.
       
       Ein gemeinsames Papier der Fraktions- und Parteivorsitzenden, welches nur
       wenige Stunden zuvor gemeinsam ausgehandelt worden war und neben
       zahlreichen Gemeinsamkeiten auch den zentralen Dissens, nämlich die Frage
       der Arbeitsmigration behandelte, hatte es ermöglicht, die aufgeheizte
       Stimmung zu befrieden. Viele, darunter auch Wagenknecht selbst, begrüßten
       das Papier als eine gemeinsame Diskussiongrundlage.
       
       Die Parteiführung legt es indes etwas enger aus, nämlich als
       Selbstverpflichtung und Sprachregelung, an die sich Wagenknecht künftig zu
       halten habe. Ob sie das tut, ist die spannende Frage.
       
       ## „Sehr sachliche Debatte“
       
       Natürlich gab es auch Kritik: wie sich die Führungsrolle in der Partei mit
       ihrer herausgehobenen Rolle bei der Sammlungsbewegung Aufstehen vertrage,
       wurde Wagenknecht gefragt. Ein Genosse warf dem gesamten Quartett an
       Partei- und Fraktionsspitze, Wagenknecht, Dietmar Bartsch, Katja Kipping
       und Bernd Riexinger, komplettes Führungsversagen vor. Andere meinten, man
       müsste generell mal über eine zeitliche Begrenzung von Mandaten und über
       ein Rotationsprinzip nachdenken.
       
       Als man sich nach fünf Stunden trennte, waren die Gesichter überwiegend
       zufrieden: „Sehr sachliche Debatte“, meinte Wagenknecht und entschwand im
       Fahrstuhl. „Kontrovers, sachlich, konstruktiv“, lautet das Fazit von Katja
       Kipping.
       
       Am 16. Februar, also gut einen Monat nach der geplanten Klausur der
       Fraktion im Januar, wollen sich die Linken zur Fachtagung treffen, um zu
       überlegen, wie man Arbeitsmigration tatsächlich regeln könnte. Und ob. Dann
       wollen sie vor allem zuhören und ExpertInnen reden lassen. Und zumindest
       Janine Wissler, die als Fraktionsvorsitzende der Linken in Hessen ihre
       Partei gerade wieder in den Landtag geführt hat, ist optimistisch, dass
       Sahra Wagenknecht kommen wird. Als Fraktionsvorsitzende im Bundestag.
       
       1 Dec 2018
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Anna Lehmann
       
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