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       # taz.de -- Kolumne Nach Geburt: Das Wunder von Kreuzberg
       
       > Beim Kinder-Krippenspiel fuhr die Weihnachtsbotschaft in mich: Die
       > Menschen sind gut – und wir sollten uns auch 2019 nichts anderes einreden
       > lassen.
       
   IMG Bild: Harmonischer als bei den Trumps im Weißen Haus war's Heiligabend in Kreuzberg auf jeden Fall
       
       Maria und Josef bahnen sich ihren Weg durch die Menge. Sie halten sich
       aneinander fest. Und egal wie eng es wird, sie gehen da gemeinsam durch.
       Nebeneinander. Also: Platz da! Wir sind Teil der Aufführung! Und alle
       quetschen sich an den Rand, schaffen eine Rettungsgasse in der Kirche.
       
       Es ist Heiligabend, Nachmittag, Krippenspiel in einer Kreuzberger Kirche.
       Es spielen große Kinder mit, kleine, dicke, dünne, weiße, schwarze, mit und
       ohne Behinderung. Und ich habe nicht den Eindruck, dass ganz bewusst
       besonders divers besetzt worden wäre. So ist es nun mal.
       
       Und im Publikum sitzt ein fast genauso vielfältiges Elternvolk. Also das,
       was gerne ein bisschen abfällig „Die Blase“ genannt wird.
       
       Gerade unter uns Journalisten ist es ja wichtig, sich zu distanzieren von
       dieser Blase, quasi aus ihr herauszutreten, ohne sie zum Platzen zu
       bringen, denn sie muss ja weiterhin als Betrachtungsgegenstand herhalten –
       mit kritisch-ironischer Distanz natürlich. Das echte Leben ist immer das
       woanders, außerhalb der Blase. Irgendwo in kleineren Städten, auf dem Land,
       gerne irgendwo, wo noch richtig mit den Händen malocht wird, wo Leute
       stundenlang vor den Hochöfen stehen, während in den Großstadt-Blasen über
       die Macbooks gebeugt von sauberer Luft gelabert und geschrieben wird.
       
       Vielleicht ist das der Spin, in dem sich bislang die meisten anderen,
       Aufgeklärten, Aus-ihrer-Blase-Herausguckenden verfangen haben. Ein Spin,
       gerne erzählt von denen, die sich als Mitte der Gesellschaft geben – Leute,
       die meinen, dass sie sich doch nicht verändert hätten, sondern alle anderen
       (Merkel und die Gendersternchen- und Unisex-Toiletten-Verfechterinnen) viel
       zu weit nach links abgedriftet seien. Ihre Botschaft: Ihr seid nicht die
       Realität! Ihr seid eine abgehobene Großstadt-Utopie!
       
       Ich glaube das nicht. Ich glaube, dass diese Großstadt-Utopie ziemlich bald
       überall in diesem Land Realität sein wird. Und wenn es gut läuft, fühlt
       sich diese Realität dann überall so an wie in diesem Kreuzberger
       Weihnachtsgottesdienst.
       
       Und wenn nicht? Auch egal. Dann ist das meine Blase, die ich mir selbst
       ausgesucht habe. Und in der ich es zumindest an diesem Heiligabend sehr
       gemütlich finde.
       
       Und deswegen gehe ich tatsächlich beseelt und gut gelaunt von der Kirche
       nach Hause. Obwohl das vollkommen gegen mein Naturell ist. Ich bin – wie
       ich schon einmal schrieb – eher so der Glas-dreiviertel-leer-Typ. Auch an
       Feiertagen.
       
       Hat mich da etwa gerade die Weihnachtsbotschaft erreicht? Ich schüttele den
       Gedanken ab. Zu pathetisch. Und dennoch denke ich auf dem Heimweg: Die
       Menschen sind gut. Zumindest die meisten. Sie sind hilfsbereit und
       rücksichtsvoll – und wir sollten uns nichts anderes einreden lassen. Von
       niemandem. 2019 wird gut. Glauben Sie mir.
       
       26 Dec 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jürn Kruse
       
       ## TAGS
       
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