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       # taz.de -- Sozialwissenschaftlerin zu Paragraf 219a: „Keine Opfer bei Abtreibungen“
       
       > Die Regierung hat eine Ergänzung zum Paragrafen 219a vorgelegt, der
       > „Werbung“ für Abtreibungen verbietet. Sehr vage, meint
       > Sozialwissenschaftlerin Kirsten Achtelik.
       
   IMG Bild: Mitglieder des Thüringer Frauen*kampftagsbündnisses protestieren in Erfurt gegen den Abtreibungparagraphen 219a
       
       ## taz: Frau Achtelik, Sie beschäftigen sich mit der sogenannten
       Lebensschutzbewegung. Wie bewerten Sie in dieser Hinsicht den [1][Vorschlag
       der Bundesregierung zum Paragrafen 219a]?
       
       Kirsten Achtelik: Die selbst ernannte Lebensschutzbewegung hat sich
       durchgesetzt. Ihr wird eine konkrete Zusage gemacht: Es soll eine Studie in
       Auftrag gegeben werden, in der es um die „seelischen Folgen“ von
       Abtreibungen gehen soll.
       
       ## Was kritisieren Sie daran?
       
       Eines der Hauptargumente der Bewegung ist, dass Frauen unter
       Schwangerschaftsabbrüchen leiden würden. Das erste Opfer einer Abtreibung
       sei der Fötus, wird behauptet, das zweite die Frau.
       
       ## Dem ist nicht so?
       
       Nein. In der Regel gibt es bei Abtreibungen gar keine „Opfer“. Es gibt zwar
       Frauen, die Abbrüche machen lassen, weil sie in einer sehr bedrängten
       Situation sind – also beispielsweise, weil der Mann ein Schläger ist. Es
       ist möglich, dass es ihnen damit nicht gut geht. Eine aktuelle Studie zeigt
       aber, dass mehr als 95 Prozent aller Frauen auch drei Jahre nach Abbrüchen
       noch erleichtert über die Entscheidung sind. Dessen ungeachtet hat die
       „Lebensschutzbewegung“ sogar das sogenannte Post-Abortion-Syndrom (PAS)
       erfunden.
       
       ## Was ist das?
       
       Der Begriff kam in den 80er Jahren in der US-amerikanischen
       Pro-Life-Bewegung auf. Es wird behauptet, dass Frauen von Abtreibungen
       krank werden, beispielsweise schwere Depressionen bekommen. Es gibt sogar
       Studien, die das bestätigen. Viele dieser Studien sind allerdings von
       WissenschaftlerInnen gemacht worden, die in der Bewegung aktiv sind.
       Metastudien, die wiederum diese Studien untersuchen, zeigen, dass das PAS
       Nonsens ist.
       
       ## Inwiefern?
       
       Die Metastudien zeigen, dass nicht sorgfältig gearbeitet wurde. Es ist ja
       eben die Frage, wo die negativen Symptome herkommen. Wenn Frauen
       beispielsweise schon an Depressionen litten, bevor sie eine Abtreibung
       hatten, dann sagt es natürlich nichts aus, dass sie auch danach
       Depressionen hatten. Diese Metastudien sind sehr gründlich vorgegangen. Das
       PAS ist wissenschaftlich widerlegt.
       
       ## Die Bundesregierung will das PAS erneut wissenschaftlich untersuchen.
       
       Offenbar haben die Christdemokraten für das Leben (CDL) großen Druck
       ausgeübt, eine „Lebensschutzgruppe“ in der CDU. Was die SPD angeht, sehe
       ich zwei Möglichkeiten. Entweder haben sie dort nachlässig gearbeitet und
       es ist niemandem aufgefallen. Oder die Studie wurde im Austausch für etwas
       noch Schlimmeres hineinverhandelt.
       
       ## Wie progressiv kann ein Gesetzentwurf auf dieser Grundlage werden?
       
       Das Problem an dem Entwurf ist auch, dass er bei allen feministischen
       Forderungen sehr vage bleibt. Aber wenn es eine konkrete Formulierung gäbe,
       die sicherstellt, dass ÄrztInnen über ihre Arbeit informieren dürfen,
       könnten sie nicht mehr angezeigt werden. Im Gegensatz zu den
       Versprechungen, die die SPD gemacht hat, wäre das zwar ein kleiner – aber
       es wäre immerhin ein Fortschritt.
       
       14 Dec 2018
       
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