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       # taz.de -- Berliner Obdachlose wehren sich: Ein Platz zum Bleiben
       
       > Obdachlose sollen ein Gelände an der Rummelsburger Bucht räumen. Doch
       > Wolfgang, Trotzi und die anderen wehren sich.
       
   IMG Bild: Eine Gruppe Obdachloser auf dem Schiff „Freibeuter“
       
       „Wir haben keine Ahnung, wo wir sonst hinsollen“, sagt Trotzi resigniert.
       In den Räumen des besetzten [1][Jugendschiffs „Freibeuter“, das am Ufer der
       Rummelsburger Bucht ankert], versammeln sich Obdachlose und Aktivist*innen
       zu einer Krisensitzung. Die 23-Jährige fürchtet, wie viele andere
       Obdachlose, die sich auf der anliegenden Freifläche ein vorübergehendes
       Zuhause errichtet haben, eine Räumung des Geländes.
       
       Die über 30.000 Quadratmeter große Brache zwischen dem Ostkreuz und der
       Rummelsburger Bucht ist eine der letzten großen Freiflächen Berlins.
       Zukünftig sollen hier ein [2][Aquarium, ein Hotel und Hunderte
       Luxuswohnungen] entstehen. Bislang leben hier nach Schätzungen des
       Streetworker Vereins Gangway e. V. fast hundert Menschen auf dem Gelände.
       In mehreren Camps verteilt kampieren hier obdachlose Menschen mit
       verschiedensten Hintergründen: Roma-Familien aus Südosteuropa, auch viele
       Deutsche und andere EU-Bürger*innen. Immer wieder gibt es Beschwerden von
       Anwohner*innen über Müll und Schmutz.
       
       Vergangene Woche erhielten die Bewohner*innen der Brache vom Ordnungsamt
       die Aufforderung, das Gelände zu räumen. Das Areal wurde großflächig
       umzäunt, einige Zelte wurden zerstört, eine Räumung blieb jedoch aus.
       Mitarbeiter*innen der Security-Firma und der BSR teilten den Obdachlosen
       mit, dass die Räumung wohl am 20. Dezember stattfinden soll. Verunsichert
       wandten diese sich an die Aktivist*innen des Kollektivs „Staub zu Glitzer“
       die sich auf dem seit Oktober besetzten Jugendschiff „Freibeuter“ für die
       Belange der Obdachlosen auf der benachbarten Freifläche einsetzen. „Es
       wurden keinerlei Hilfsangebote gemacht“, kritisiert Sarah Waterfeld von
       Staub zu Glitzer während des Treffens am vergangenen Freitag. Angesichts
       des bevorstehenden Winters haben viele der Obdachlosen Angst, auch noch ihr
       letztes Hab und Gut zu verlieren.
       
       „Man verliert bei jeder Räumung Gepäck“, erklärt Wolfgang. „Was man nicht
       tragen kann, wird einfach weggeschmissen“. Der 62-Jährige wohnt seit über
       20 Jahren auf der Straße. Notunterkünfte sind für ihn wie für viele andere
       Obdachlose keine Option: „Ich brauche schon aus gesundheitlichen Gründen
       ein isoliertes Leben“, sagt er. Grund sind neben der mangelnden
       Privatsphäre auch das Verbot von Alkohol und Hunden. Für Trotzi, die mit
       drei Freunden auf der Brache ein Lager hat, kommt es nicht infrage, ohne
       ihren Hund die Nacht zu verbringen: „Lieber würde ich erfrieren.“
       
       ## Kaum noch Ausweichflächen
       
       Kritisch ist auch, dass es kaum noch Ausweichflächen gibt, wo obdachlose
       Menschen sicher kampieren können. Neben schwindenden Freiflächen verstärkt
       die rasant steigende Zahl von Wohnungslosen das Problem. Schätzungen
       zufolge leben derzeit bis zu 10.000 Menschen auf Berlins Straßen. „Die
       Situation spitzt sich immer mehr zu“, erklärt Maja von Gangway, die seit
       zwei Jahren als Streetworkerin an der Rummelsburger Bucht arbeitet.
       
       Ein Großteil des Geländes gehört dem Land Berlin, verantwortlich ist daher
       die von der Linkspartei unter Katrin Lompscher geführte Senatsverwaltung
       für Stadtentwicklung und Wohnen. Daher beschlossen die Obdachlosen und
       Aktivist*innen, den Landesparteitag der Linken am Sonntag zu besuchen, um
       so die drohende Räumung abzuwenden.
       
       Am Sonntagnachmittag empfangen die Parteimitglieder die aus neun Personen
       bestehende Vertretung enthusiastisch: Die Sitzung wird unterbrochen, die
       Obdachlosen werden auf das Podium geführt. „Wir hoffen, von euch
       Unterstützung zu bekommen und dass es keine Räumung gibt“, forderte der
       Sprecher der Gruppe Ingo Bauer.
       
       Abgeordneter Harald Wolf sagte prompt Unterstützung zu: „Solange es keine
       Lösung für die Unterkunft gibt, wird es keine Räumung geben.“ In den darauf
       folgenden Gesprächen versicherten mehrere Politiker*innen der Partei,
       sich mit dem Bezirk in Verbindung zu setzen, um Alternativlösungen zu
       finden.
       
       Niemand im Senat oder Bezirk will jedoch etwas von einer bevorstehenden
       Räumung der Brache gehört haben. Eine Sprecherin der Senatsverwaltung für
       Stadtentwicklung und Wohnen erklärte am Montag auf Anfrage, es handele sich
       lediglich „um ein Gerücht“, eine Räumung war nie geplant. Philipp Gehrke
       von der Deutschen Stadt- und Grundstücksentwicklung (DSK), die das Gelände
       im Auftrag für den Senat verwaltet, bestätigte jedoch, dass eine Räumung
       bereits für den 11. Dezember beabsichtigt war.
       
       Den Obdachlosen geht es vor allem um ein wenig Sicherheit. „Es macht einen
       psychisch krank, wenn man nicht weiß, ob morgen die Polizei vor deinem Zelt
       steht“, sagt Micha, ebenfalls Mitglied der Obdachlosenvertretung. „Wir
       wollen nur einen Platz, an dem wir bleiben können.“
       
       17 Dec 2018
       
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