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       # taz.de -- Bedeutende tote Tiere in Kiel: Das große Krabbeln
       
       > Naturkundler mit revolutionären Ambitionen: Das Kieler Zoologische Museum
       > würdigt Johann Christian Fabricius, den Begründer der wissenschaftlichen
       > Insektenkunde.
       
   IMG Bild: Star der Fabricius-Sammlung: Königsbock (Zographus regalis).
       
       Dass WissenschaftlerInnen sich nicht begeistern könnten, ist natürlich nur
       ein [1][rhetorischer Strohmann]; einer, wie ihn JournalistInnen so gern
       aufrichten: Umso größer dann die Überraschung, die eigentlich gar keine
       ist, wenn sie es doch tun, also: sich begeistern, die WissenschaftlerInnen.
       Steigern lässt sich dieses ehrlich gesagt ziemlich durchsichtige Stilmittel
       noch mit dem Grad an (unterstellter) Exotik der jeweiligen
       Wissenschaftsdisziplin. Nehmen wir Entomologie, zu Deutsch: Insektenkunde.
       
       Begeisterte Entomologen nämlich – genauer: einen ebensolchen, dazu einen
       Museumsdirektor und einen Universitätspräsidenten – konnte man Ende
       November in Kiel erleben. Da erinnerte die örtliche Hochschule an einen
       großen Sohn der Stadt, aber eigentlich mindestens so sehr an deren
       Bedeutung als, nun ja, Wissenschaftsstandort. Zu der nämlich, so war zu
       erfahren, hat er beigetragen, dieser [2][Johann Christian Fabricius],
       geboren zu Jahresanfang 1745 in Tondern, damals im Herzogtum Schleswig
       gelegen.
       
       ## Lehre bei Linné
       
       In Uppsala studierte der Sohn eines Arztes bei einem anderen Mediziner, der
       aber nur einer war, weil seine eigentlichen Leidenschaften noch nicht in
       eigenständigen akademischen Fächern aufgegangen waren: Carl von Linné, der
       Vater der bis heute maßgeblichen Methode, Tier- und Pflanzenarten [3][zu
       benennen].
       
       Er war Professor für Ökonomie und für Naturwissenschaften. Auch wenn er
       also allerlei Qualifikationen erwarb und zu Lebzeiten manches andere tat:
       Bei Fabricius’ Tod im Jahr 1808 wurde dann doch vor allem ein Biologe
       betrauert, einer der bedeutendsten der Generation nach Linné, so formuliert
       es die Kieler Christian-Albrechts-Universität (CAU) heute. Darf es noch
       mehr Superlativ sein? Einen weltweit bekannten Entomologen habe man
       beherbergt mit dem Mann, von 1775 bis 1801, und dieser Rang hat nun
       wiederum ganz wesentlich zu tun mit Fabricius’ Sammelleidenschaft,
       
       Tausende Tiere hat er zusammengetragen, gut 10.000 neue Arten beschrieben,
       Insekten vor allem; manche davon direkt in der norddeutschen Umgebung
       gesammelt, andere kamen mit dem Weltumsegler James Cook nach Europa. Weil
       Fabricius nicht nur mit Mitreisenden bekannt war, sondern auch sonst beste
       Kontakte unterhielt zu den akademischen Leuchttürmen jener Zeit, konnte er
       eben beschaffen, worauf sie heute so stolz sind an der Förde.
       
       ## Stolz an der Förde
       
       Denn das war, was die erwähnten Herren so begeistert vor die Presse treten
       ließ an jenem Freitag: Rund 11.000 Exponate, manche kaum größer als die sie
       aufspießende Nadel dick ist, sind zurückgekehrt nach Kiel, aus Kopenhagen,
       wohin die Sammlung seit den späten 1950er-Jahren ausgeliehen war; am Rande
       des Termins war zu vernehmen: Ganz ohne diplomatisches Geschick wäre diese
       Heimkehr wohl auch nicht vonstatten gegangen. Von „vermehrten
       Bestrebungen“, die Sammlung zurückzuholen, weiß die CAU-Pressestelle zu
       berichten: „Im vergangenen Jahr konnte schließlich eine für beide Seiten
       sowie für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus aller Welt
       zufriedenstellende Lösung erzielt werden.“
       
       Auf deren Land-, ach was: Weltkarte, der fachkundlichen also, erscheine man
       nun wieder, sagte neulich Dirk Brandis, Direktor des Zoologischen Museums,
       erste Gäste seien auch schon da gewesen deswegen. Einen klitzekleinen
       Ausschnitt der Sammlung bekommt nun aber auch das ganz normale Publikum zu
       sehen: in Gestalt einer kleinen, feinen interaktiven Dauerausstellung. So
       spektakulär nun so ein vergrößerter Käferkopf ist, zumal wenn in derart
       gutem Zustand wie die Bestände Fabricius’ es nach 250 Jahren sind: Was nun
       oben im Museum zu erleben ist – kaum mehr als eine Andeutung der
       eigentlichen Sensation.
       
       Die lagert im Keller des Hauses, im an Erschütterungen ärmsten Raum und
       dort in eigens angeschafften Stahlschränken, die wiederum, noch eine
       Vorsichtsmaßnahme, nicht alle nebeneinander stehen, sondern möglichst weit
       entfernt voneinander: Sollte doch einmal etwas passieren, soll wenigstens
       nicht alles Schaden nehmen, so die Idee.
       
       Denn die Hochschulverantwortlichen vergleichen, was da … nein, krabbeln tut
       es ja gerade nicht mehr. Aber mit nichts Geringerem als dem Pariser
       „Urmeter“ vergleichen die Kieler Verantwortlichen nun die Sammlung: So wie
       jenes postrevolutionäre Stück Metall im Wortsinne das Maß eines weltweit
       verwendeten Systems von Längen und -verhältnissen darstellt, finden sich in
       Fabricius’ Beständen nämlich zahlreiche Typusexemplare, sozusagen die
       Originale ihrer Art: Jede wissenschaftliche Untersuchung weltweit muss
       diese Exemplare berücksichtigen, und im Kieler Keler bewahrt man nun mehr
       als 3.000 Käfer-Typusexemplare auf, dazu immerhin 100 von marinen Krebsen.
       Auch solche hatte Fabricius gesammelt, aber zusammen mit seinen Fliegen,
       Wanzen, Bienen und Schmetterlingen bleiben die in Kopenhagen.
       
       ## Sensationelle Käfer
       
       Aber die Käfer sind ja schon sensationell genug: Nicht nur hat die Kieler
       Universität rund 40.000 Euro allein für die kleine Ausstellung ausgegeben,
       die ja besondere Rücksicht nehmen muss auf die empfindlichen Tiere; wie die
       zu beleuchten sind, ohne ihre Alterung zu beschleunigen, das muss eine
       Herausforderung gewesen sein. Man richtete für die wissenschaftliche
       Aufbereitung eigens eine Professur ein: Der eingangs erwähnte begeisterte
       Entomologe, das ist Michael Kuhlmann, der 2015 schon vom Natural History
       Museum in London geholt wurde.
       
       Brandis beschrieb den großen Kieler nicht zuletzt als einen Mann mit
       Sympathien für eine Revolution, auch für die französische zu seinen
       Lebzeiten: Um 1790 war Fabricius wiederholt in Paris zu Besuch. Vielleicht
       noch bedeutender aber mag man finden, was er in anderer Hinsicht
       vorformulierte: Von den „Arten der grösseren Affen“, aus welcher der Mensch
       „sich entwickelt zu haben scheint“, schrieb er 1804 – was Charles Darwin
       Jahrzehnte später erst ohne Weiteres so zu formulieren wagte.
       
       Zoologisches Museum der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel,
       Hegewischstraße 3.
       
       Geöffnet Di–Fr 9–17 Uhr, Sa 10–17 Uhr, So (und feiertags) 12–16 Uhr.
       Achtung: Von Freitag, 21.12.2018, 14 Uhr, bis einschließlich Dienstag,
       1.1.2019, ist das Museum geschlossen.
       
       15 Dec 2018
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://derstandard.at/2000086474285/Wie-Sie-jede-Diskussion-gewinnen
   DIR [2] https://www.uni-kiel.de/grosse-forscher/index.php?nid=fabricius&lang=d
   DIR [3] /!5420213/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Alexander Diehl
       
       ## TAGS
       
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