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       # taz.de -- Hartz IV und Sanktionen: Keine Angst vorm Jobcenter
       
       > Hartz-IV-Empfänger, denen das Geld gekürzt wurde, können einen Ausgleich
       > bekommen. Der Verein Sanktionsfrei sucht Studienteilnehmer.
       
   IMG Bild: Ein Ort der Furcht für viele Arbeitslose: das Jobcenter
       
       Berlin taz | Wie wäre es, wenn man als Hartz-IV-EmpfängerIn keine Angst
       mehr haben müsste vor den Vorladungen vom Jobcenter, vor der Verpflichtung
       zu Jobs oder Maßnahmen, die man weder machen kann noch will? Weil einem ein
       kleiner Verein jegliche finanzielle Einbußen durch Sanktionen für drei
       Jahre lang ausgleicht? Der Verein Sanktionsfrei in Berlin bietet genau dies
       an und [1][sucht Hartz-IV-EmpfängerInnen,] die sich an einem Experiment
       beteiligen wollen.
       
       „Hinter den Sanktionen steckt die Annahme, dass Menschen durch Druck
       motiviert werden können“, sagte Helena Steinhaus, Gründerin und
       Geschäftsführerin des Vereins am Donnerstag, „aber Vertrauen hilft mehr als
       Druck“. Um dies zu beweisen, sollen aus den Hartz-IV-EmpfängerInnen, die
       sich zur Studie anmelden, zwei Gruppen mit jeweils 250 Personen gebildet
       werden.
       
       Die erste Gruppe bekommt drei Jahre lang einen schnellen und
       unbürokratischen finanziellen Ausgleich vom Verein, falls das Jobcenter
       ihnen wegen Pflichtverletzungen die Leistung kürzt. Sanktionen bis zu 423
       Euro monatlich werden ausgeglichen, hieß es am Donnerstag. Die zweite
       Gruppe fungiert als Kontrollgruppe und erhält diesen Schutz nicht. Wer von
       den Angemeldeten in der geförderten oder in der ungeförderten Gruppe
       landet, entscheidet das Los.
       
       ## Spenden gleichen aus
       
       Alle ProbandInnen müssen sich bereit erklären, vierteljährlich einen
       Fragebogen der Bergischen Universität Wuppertal zu beantworten, der
       Wirtschaftspsychologe Rainer Wieland leitet die Studie. In dem Fragebogen
       wird nach der Einschätzung von Lebensgestaltung, Zukunftsplänen und der
       Befindlichkeit gefragt.
       
       „Die Frage ist, wie äußere Verhältnisse die innere Motivation
       beeinflussen“, erklärte Wieland. Dahinter stehe die Annahme, dass sich
       Merkmale wie Eigeninitiative und Selbstwirksamkeit für die geförderte
       Gruppe, die keine Angst vor Sanktionen haben muss, im Laufe der Zeit
       verbessern. Man vermute, dass die Personen in dieser geschützten Gruppe
       „häufiger Arbeit suchen und mehr Sozialkontakte haben“, so Wieland.
       
       Der finanzielle Ausgleich für sanktionierte Mitglieder in der geschützten
       Gruppe wird aus Vereinsgeldern bestritten, die aus Spenden und Crowdfunding
       zusammenkommen. Den Sanktionierten werde allerdings nahegelegt, gegen die
       Sanktion trotz der Unterstützung Widerspruch einzulegen, notfalls bis zur
       Klage, erklärte Steinhaus. Der Verein stellt dafür kostenlos einen Anwalt
       zur Verfügung. Hat der Widerspruch oder die Klage Erfolg und zahlt das
       Jobcenter später nach, geht das vom Verein gestiftete Geld wieder zurück in
       den Topf – für den nächsten Betroffenen.
       
       ## Erfolgreiche Widersprüche
       
       Mit diesem Konzept hat der Verein Erfahrung: Schon seit drei Jahren
       unterstützt er sanktionierte Hartz-IV-BezieherInnen, wobei sich die Hilfe
       nach dem Spendenaufkommen richtete. Der Verein hat inzwischen rund 500
       Sanktionen ausgeglichen, so Steinhaus. 575 Widersprüche wurden eingelegt,
       die Erfolgsquote der Widersprüche und damit auch der Rückzahlungen lag bei
       90 Prozent.
       
       Seit Januar 2018 gab der Verein 25 ausgewählten Menschen eine feste
       Garantie, dass alle Sanktionen vom Jobcenter für ein Jahr ausgeglichen
       werden. Dabei handelte es sich um Hartz-IV-Empfänger, die aber keineswegs
       alle dann auch Sanktionen erlitten. Nur sieben Personen dieser Gruppe
       wurden bisher tatsächlich sanktioniert, berichtet Steinhaus. Da oftmals vom
       Verein erfolgreich Widerspruch eingelegt wurde und das Geld dann zurückkam,
       kostete der Ausgleich für diese Sanktionen in der Gruppe den Verein bisher
       nur insgesamt 2.400 Euro an Spendengeldern.
       
       Die Leute seien sanktioniert worden, weil sie etwa eine Arbeit ablehnten
       oder eine Maßnahme abbrachen. Im Widerspruchsverfahren zeigte sich dann
       etwa, dass die Arbeit tatsächlich unzumutbar war und der Abbruch der
       Maßnahme einen Grund hatte.
       
       ## Keine Bedingungen
       
       Auf die Frage, wie Steinhaus denn Sorge trage, dass sich zur neuen Studie
       nun nicht vor allem Leute melden, die gar nicht arbeiten wollen und Hartz
       IV als bedingungsloses Grundeinkommen betrachten, sagte die
       Geschäftsführerin, es gebe keine Bedingungen für die BewerberInnen. Sie
       werden nach dem Zufallsprinzip ausgewählt. Bis zum 31. Dezember sollen sich
       interessierte Hartz-IV-EmpfängerInnen melden. Beginn der dreijährigen
       Studie ist Februar 2019.
       
       Bisher sehen Sanktionen vom Jobcenter vor, dass bei Ablehnung einer
       zumutbaren Arbeit oder grundlosem Abbruch einer Maßnahme 30 Prozent des
       Regelsatzes gekürzt werden können, zunächst für drei Monate.
       Hartz-IV-Empfängern unter 25 Jahren kann sogar beim ersten Mal schon der
       gesamte Regelsatz gestrichen werden mit Ausnahme der Wohnkosten. Wer nicht
       zum Termin erscheint und auch nach einem Mahnbrief nicht kommt, dem können
       zehn Prozent des Regelsatzes für drei Monate gekürzt werden.
       
       Laut einer [2][Statistik der Bundesagentur für Arbeit] werden pro
       Sanktionsfall im Durchschnitt etwa 110 Euro im Monat weggestrichen. Die
       Sanktionsquoten sind bei jüngeren Menschen besonders hoch, bei Männern
       höher als bei Frauen, bei AusländerInnen niedriger als bei der
       Allgemeinheit.
       
       6 Dec 2018
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://hartz-plus.de/
   DIR [2] https://statistik.arbeitsagentur.de/Statistikdaten/Detail/201807/iiia7/sanktionen/sanktionen-d-0-201807-xlsx.xlsx
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Barbara Dribbusch
       
       ## TAGS
       
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