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       # taz.de -- Antifa-Kunstaktion „Soko Chemnitz“: Schon die Kontroverse ist ein Erfolg
       
       > Lange wurde über Kunst nicht so gestritten, wie über die „Soko Chemnitz“.
       > War die Aktion wirklich aufklärerisch oder doch nur Wichtigtuerei?
       
   IMG Bild: Sind Neonazis auf „SOKO Chemnitz“ wie Bienen zum Honig geflogen?
       
       Kunst soll, so wird oft gesagt, hinterfragen, irritieren, zu Diskussionen
       anregen, Sehgewohnheiten brechen, provozieren. Gemessen daran muss man
       nüchtern feststellen: Die Kunst-Performances des [1][Zentrums für
       Politische Schönheit] (ZPS) sind ein voller Erfolg. So erbittert,
       leidenschaftlich und kontrovers wurde sich schon lange nicht mehr mit Kunst
       auseinandergesetzt wie angesichts der Aktionen der Politkünstler, die sich
       selbst als Vertreter eines „radikalen Humanismus“ sehen.
       
       [2][Ihr jüngstes Projekt mit dem Namen „Soko Chemnitz“] löste einigen
       Aufruhr aus. „Wer kennt diese Idioten?“, fragten sie [3][auf einer
       Internetseite] und zeigten dazu Fotos von über 1.500 Personen, von denen
       das ZPS behauptete, sie seien bei den rechtsradikalen Aufmärschen in
       Chemnitz vor drei Monaten dabei gewesen. Neben bekannten Szene-Aktivisten
       fanden sich dort zahlreiche bisher der Öffentlichkeit Unbekannte.
       
       Auf diese Weise, behaupteten die Aktionskünstler, wolle man die rechten
       Aufmarschierer enttarnen und sie ihren Arbeitgebern gegenüber bloßstellen,
       um sie „aus der Wirtschaft und dem öffentlichen Dienst zu entfernen“. Für
       sachdienliche Hinweise zur Identifizierung der Personen wurde ein Kopfgeld
       ausgelobt, je nach Wertigkeit des Fangs zwischen 5 und 100 Euro schwankend.
       In einem angemieteten Ladenlokal in der Chemnitzer Innenstadt wurden die
       de-facto-Steckbriefe auch vor Ort ausgehängt.
       
       [4][Die Reaktionen waren kontrovers], es hagelte teils erbitterte Kritik
       und schließlich auch Abmahnungen und Strafanzeigen. Dass die Aktion auch
       mit satirischen Mitteln arbeitete, war unübersehbar: „Denunzieren Sie noch
       heute Ihren Arbeitskollegen, Nachbarn oder Bekannten“ hieß es etwa auf der
       Seite, erkennbar eine Spiegelung der vieldiskutierten
       AfD-Lehrer-Denunziationsforen.
       
       ## Neue Wendung
       
       Auch der Sprachgebrauch („Gesinnungskranke“) war teils ein direkter
       Aufgriff von Nazi-Jargon. Das Vorgehen erinnerte zudem an die immer wieder
       kursierenden Steckbriefe von Nazis, mit denen diese Linke öffentlich zum
       Abschuss freigeben, oder an die Personenfahndung durch Polizei und
       Bild-Zeitung nach den G20-Krawallen in Hamburg.
       
       Am Mittwoch gab es dann eine neue Wendung: „Danke liebe Nazis! It was a
       ´honeypot´“, postete das ZPS auf Twitter. Die Bilder der Gesuchten sind nun
       wieder aus dem Netz genommen worden, denn, so das ZPS in einer neuen
       Erklärung, die ganze Aktion habe in Wahrheit nur das Ziel verfolgt,
       möglichst viele Beteiligte des „Netzwerks Chemnitz“ anzulocken. Die hätten
       dann auf der Seite zunächst nach sich selbst gesucht, sich [5][auf diese
       Weise identifiziert] und, weil sie auch nach ihren Kameraden schauten, so
       ihre Kontakte und Verknüpfungen ungewollt offengelegt.
       
       All diese Informationen seien gesammelt worden, man verfüge damit, so das
       Zentrum, „über das Relevanteste, was es an Daten in Sachen
       Rechtsextremismus in Deutschland aktuell gibt“. Gerne stelle man diese
       Erkenntnisse den Strafverfolgungsbehörden zur Verfügung: „Wenn zum Beispiel
       der Bundesinnenminister mehr wissen will und Lust auf einen Kaffee mit uns
       hat, dann soll er vorbeikommen.“ Aber er müsse sich dann auch „auch ein
       paar kritische Töne anhören für das, was er in diesem Jahr geliefert hat.“
       Uff. Horst Seehofer wird begeistert sein.
       
       Alles nur ein Fake also? Tatsächlich Zuarbeit für Ermittler?
       Investigativ-Kunst? Satire und Aufklärung? Oder doch eher Wichtigmacherei
       von ein paar durchgeknallten Geltungssüchtigen, die damit die Spaltung der
       Gesellschaft noch vertiefen und den Rechtsstaat aufweichen?
       
       Nähme man die Aussagen vom ZPS und seinem Sprecher Philipp Ruch für bare
       Münze, sind Zweifel angebracht. Schon die Ausgangsaktion hatte ihre
       Fallstricke. Zwar beteuerte das ZPS, sozusagen nur wasserdichte Nazis ans
       Messer zu liefern, die sich über eindeutige Aktionen und Stellungnahmen im
       Netz selbst entlarvt hätten. Um diese zuzuordnen, habe man ausschließlich
       legale Software eingesetzt, deren Verbot man im Übrigen empfehle, eben weil
       sie ein weitreichendes Ausspionieren von Menschen ermögliche. Womit ganz
       nebenbei auch noch eine Datenschutzdebatte eröffnet wird.
       
       ## Soll jetzt eine Bürgerwehr staatliches Handeln ersetzen?
       
       Dennoch bleibt natürlich die Frage, inwieweit nicht auch „Unschuldige“
       betroffen gewesen sein könnten. Und was, wenn auf diese Weise öffentlich
       angeprangerte Menschen tätlich angegriffen werden? Auch dazu gibt es
       schließlich spiegelbildliche Vorlagen – man denke nur an den Lynchmob, der
       nach einem öffentlichen Fahndungsaufruf kürzlich einen mutmaßlichen
       Kinderschänder überfallen hat.
       
       Und ja, die Vertuschungs- und Bagatellisierungsversuche höchster Stellen
       bis hin zum Verschwörungstheoretiker Maaßen samt der wenig enthusiastisch
       wirkenden Aufklärungsarbeit der zuständigen Behörden sind erbärmlich – aber
       soll jetzt quasi eine Bürgerwehr von der anderen Seite eigenmächtig
       staatliches Handeln ersetzen, selbst wenn es der gerechten Sache dient?
       
       Ähnlich zwiespältig wirken die Erläuterungen zur jüngsten Drehung.
       Honigtopf hin oder her, aber ist es wirklich plausibel, dass sich auf diese
       Weise Nazi-Netzwerke selbst geoutet haben? Wäre nicht ebenso sehr zu
       erwarten, dass Nachbarn oder Kollegen die überraschend aufgetauchte
       Datenbank genutzt haben, um die Neugier zu befriedigen oder mal zu schauen,
       ob sich nicht ein paar Euro verdienen lassen, indem man Namen missliebiger
       Zeitgenossen eingibt?
       
       Das ZPS verweist zwar auf seine angeblich höchst effiziente
       Software-Entwicklung; deren Funktionsweise allerdings kann natürlich
       derzeit niemand nachvollziehen, sodass man bei der Beurteilung
       ausschließlich auf die Informationen der Aktionskünstler angewiesen ist,
       die sich nun aber selbst als nicht sonderlich zuverlässige Quelle erwiesen
       haben; und natürlich laufen auch die Medien und damit dieser Artikel
       Gefahr, Teil des Spiels zu werden – [6][Böhmermanns #Varoufake] lässt
       grüßen.
       
       Immerhin aber ist sicher, dass das ZPS ein Schlaglicht auf eine ganze Reihe
       an Problemen geworfen hat, von der Mobilisierung rechter Gruppen über den
       Umgang mit Internet-Prangern bis zu Datenschutz und dem staatlichen Handeln
       rund um Chemnitz. Wollte man am Donnerstagvormittag zur weiteren Recherche
       die vom ZPS angegebene Seite soko-chemnitz.de aufrufen, erhielt man über
       Stunden nur die Meldung: „Error establishing a database connection“ –
       womöglich die sinnfälligste Zusammenfassung dieser Kunstaktion.
       
       6 Dec 2018
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /!t5011656/
   DIR [2] /Neue-Aktion-von-Politische-Schoenheit/!5555146
   DIR [3] https://soko-chemnitz.de/
   DIR [4] /Zentrum-fuer-Politische-Schoenheit/!5556526
   DIR [5] https://twitter.com/politicalbeauty/status/1070570762694729729
   DIR [6] /Boehmermann-und-der-Varoufakis-Finger/!5015991
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Heiko Werning
       
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