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       # taz.de -- Kolumne Die eine Frage: Lindners Unwort des Jahres
       
       > Der FDP-Vorsitzende ist ein glänzender Redner. Wer sagt ihm jetzt, dass
       > er mit dem Begriff „Klimanationalismus“ zu weit gegangen ist?
       
   IMG Bild: Schweigt selten, manchmal sollte er: FDP-Vorsitzender Christian Lindner
       
       Der CSU-Ministerpräsident Markus Söder hat vor der Bayernwahl eine Zeit
       lang mit dem Begriff „Asyltourismus“ gearbeitet, um Menschen auf der Flucht
       zu denunzieren. Damit hat er 2018 tatsächlich Wählermassen bewegt. Die
       einen standen drauf und wählten statt CSU deshalb AfD, die anderen waren
       angewidert und wählen jetzt die Grünen.
       
       Ein anderer Begriff hat längst nicht die emotionale Kraft von
       „Asyltourismus“, ist aber in seinem Framing viel weitreichender und deshalb
       für mich das Unwort des Jahres. Der Begriff kommt vom besten Redner des
       Bundestages, also dem FDP-Partei- und Fraktionsvorsitzenden Christian
       Lindner. [1][Er nennt die Grünen und ihren Bundesvorsitzenden Robert Habeck
       „Klimanationalisten“.] Der Begriff „Klimanationalismus“ gehört zum
       inhaltlichen und strategischen Wording der Fraktion. Lindner benutzt ihn
       auch im Bundestag.
       
       Der Liberalismus ist, entgegen kleingeistiger Ressentiments, ein
       tendenziell differenziertes Denken, das dem Einzelnen die Freiheit zur
       Entscheidung zugestehen will und deshalb keine kollektive
       Zukunftsgeschichte entwerfen will und kann.
       
       Bei der politischen Bearbeitung der Erderhitzung stellt sich für die FDP
       zudem die Frage, wie sie damit bei ihrer Stammkundschaft und in der
       Gesellschaft punkten kann. Nicht, in dem sie den Grünen Recht gibt, das ist
       klar. Selbstverständlich muss die FDP auch auf die freie Marktwirtschaft
       verweisen und gegen „Überregulierungen“ wettern. Und sie muss sich auf
       einem Terrain, wo sie noch nie Lösungskompentenz hatte, etwas einfallen
       lassen, um überhaupt gehört zu werden.
       
       ## Globale Probleme nicht national zu lösen
       
       Das ändert nichts daran, dass Lindner mit dem Framing „Klimanationalismus“
       zu weit gegangen ist. Nationalismus meint den Rückzug aus einer gemeinsamen
       Welt und die Konstruktion von Feinden und Sündenböcken, wie man bei Trump,
       Orban, Erdogan sehen kann oder einst in der DDR.
       
       Sozialökologische Politik gegen Erderhitzung aber zielt explizit auf
       Allianzen, weil dieses gemeinsame globale Zukunftsproblem offensichtlich
       national nicht zu lösen ist. Genau deshalb wird es von illiberalen Kräften
       wie Trump und AfD als nichtexistent bezeichnet.
       
       Zu sagen, dass es für eine Begrenzung der Erderhitzung nichts bringt, die
       Gesellschafts- und Wirtschaftstransformationen allein in Deutschland
       voranzubringen, verfehlt absichtlich den entscheidenden Punkt. Dass einer
       ernsthaft anfangen muss und zeigen, dass es geht. Deutschland für Europa,
       Europa für die Welt. Das ist nicht Hybris, das ist Zukunftsverantwortung.
       
       Politik, die die Verpflichtung einer westlichen Industrienation gegenüber
       der Welt ernst nimmt, wird von der FDP nicht nur lächerlich gemacht, sie
       wird moralisch delegitimiert und auf eine Stufe mit chauvinistischen
       Nationalismus gestellt.
       
       Liberale Demokraten, Europäer, weltoffene Menschen wollen mit Nationalisten
       nichts zu tun haben. Darauf zielt Lindner. Sein Tenor: Naja, die einen sind
       illiberale Rassisten, die anderen nationale Öko-Ideologen, beides schlimm.
       Diese neue Gleichsetzung ist eine trumpeske Umkehrung des Sachverhalts. Die
       AfD benutzt den Begriff Klimanationalismus übrigens inzwischen auch. Sie
       hat Lindner offenbar richtig verstanden.
       
       Wenn nicht tatsächlich die gesamte FDP-Fraktion und Partei so drauf sein
       sollte, dann stellen sich für 2019 zwei Fragen. Wer entwirft statt dieses
       Anti-Öko-Illiberalismus für ein Wachstum an Borniertheit einen
       ökologisch-marktwirtschaftlichen Liberalismus, mit dem man die ‚Wir haben
       es schon immer gesagt‘-Routine der Bundesgrünen inhaltlich herausfordern
       kann?
       
       Und wer sagt es dem Máximo Lindner?
       
       30 Dec 2018
       
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