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       # taz.de -- der rote faden: Vorbei, vorbei mit der Organisations- orgelei
       
   IMG Bild: Foto: privat
       
       Durch die Woche mit Klaus Raab
       
       Weihnachten ist vorbei, und ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich
       muss sagen, ich freue mich schon ein bisschen, dass es nun für ungefähr elf
       Monate auch nicht wiederkommt. Vier Wochen Kerzenpower,
       Geschenkemasterpläne und Organisationsorgelei, und am Ende dann drei
       Minuten Auspacken – da stimmen summa summarum einfach die Relationen nicht.
       Wenn ein Unternehmensberater einmal über die ganze Veranstaltung
       drüberrechnen würde, bliebe da kein Stein auf dem anderen. Es klafft eine
       Lücke zwischen der in wertegeschwängerten und sozialkritischen Reden
       vermittelten Idee des Ganzen und der praktischen Umsetzung.
       
       Die Fantastischen Vier haben einmal ein Lied genau darüber geschrieben,
       „Frohes Fest“. Es handelt davon, dass die Bezeichnung „Fest der Liebe“ für
       Weihnachten einen Faktencheck wohl kaum überstehen würde. Statt eines
       weiteren Winterwunderland-, Glockenklang- und Fröhlichkeitsliedes hatten
       sie konkret getextet, dass viele Familien im Arsch seien, dass einsame
       Typen an Heiligabend in den Puff gehen und Junkies sich auch an Feiertagen
       für einen Schuss prostituieren würden. Es ist eigentlich ein ziemlich
       doofes Lied, aber damals, als es geschrieben wurde, war ich erschreckend
       jung, und damals fanden erschreckend junge Menschen den Song interessant.
       Auch die Poloshirt-Träger. Sie fanden ihn vor allem deswegen interessant,
       weil er von 1993 an mit der Begründung, er sei jugendgefährdend, auf dem
       Index stand. Nun ist er wieder erlaubt. Ende 2018 wurde nach einer erneuten
       Prüfung die Ansicht formuliert, dass sich der Text satirisch „mit der
       oftmals überzeichneten Vorstellung von einer ‚heilen Welt‘ “
       auseinandersetze, „wie sie stereotyp mit dem Weihnachtsfest verbunden
       werde“.
       
       Interessant, dass heute als Ironie erkannt wird, was vor 25 Jahren als
       nicht zumutbar galt, aber das ist ein anderes Thema. Irgendwie kann ich
       mich jedenfalls nicht von dem Eindruck verabschieden, dass ein bisschen
       weniger Beladung Weihnachten auch heute nicht schaden würde. Der
       Bundespräsident beschwor dieses Jahr den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
       Helene Fischer, deren sicherlich begründeten Erfolg mir immer noch niemand
       so erklärt hat, dass ich ihn wirklich verstehe, schickte eine Art
       humanistische Liebesbotschaft ans Fernsehpublikum, während hinter ihr
       Kiefer Sutherland und die Helene-Fischer-Showtanzgruppe mit friedvollem
       Lächeln beschäftigt waren. Raumfahrer Alexander Gerst wandte sich mit einer
       Planetenrettungsbotschaft an die Enkelgeneration. Und der Papst hatte auch
       seinen Auftritt; er warnte vor den „Schluchten des mondänen Lebens“, in die
       man nicht geraten dürfe, und verurteilte die gängige Praxis des „Fressens
       und Hamsterns“.
       
       Es ist alles einfach wahnsinnig viel verlangt: Man soll im Grunde sein
       Leben ändern.
       
       Erfrischend wirkte auf mich im Vergleich der ehemalige Präsident von
       Tansania, Jakaya Kikwete, dem ich in einem Internetvideo dabei zugesehen
       habe, wie er Körperspraydosen in die Kamera hielt. Einer der bekanntesten
       Rapper des Landes, der sich Mwanafalsafa nennt – Kiswahili für „Philosoph“
       –, hatte seine eigene Spraykollektion auf den Markt gebracht, und der
       Präsident a. D. unterstützte ihn nun beim Marketing.
       
       Ich fand das eine interessante Weihnachtsbotschaft: „Kaufen Sie
       Körperspray, es ist gut fürs Bruttosozialprodukt!“, so ungefähr lautete
       sie. Gut, der Ex-Präsident ist Muslim. Trotzdem sendete er diese Message
       sicher nicht zufällig kurz vor Weihnachten in ein auch in weiten Teilen
       christliches Land.
       
       Weihnachten als passender Anlass, Dinge zu verkaufen – wer einmal im Advent
       in einer deutschen Shoppingmall (altdeutsch: Einkaufszentrum) war, ahnt,
       dass der Praxiskern damit ziemlich gut erfasst wäre. Warum aber sind
       Botschaften wie von Kikwete dann in Deutschland nur von Influencern üblich,
       nicht aber von richtigen Repräsentationsfiguren?
       
       Ein Unterschied zwischen den beiden Ländern scheint mir darin zu bestehen,
       dass das Bruttosozialprodukt pro Kopf in Deutschland knapp 50-mal so hoch
       und der Mangel an Zeug nicht sonderlich ausgeprägt ist. Während sich in
       Tansania die Leute zu Weihnachten meiner Erfahrung nach eher mal feuchte
       Händedrücke und warme Worte schenken und es deshalb gerne hören, wenn ihnen
       auch mal jemand Produkte empfiehlt, schätzt man in Deutschland die
       Mitteilung, dass es an Weihnachten eigentlich um Liebe und Werte und Teilen
       geht.
       
       Letztlich erzählt Weihnachten also von einer Gesellschaft im Konjunktiv:
       Man müsste mal – mal nett sein, mal weniger kaufen, mal nicht immer an sich
       denken, sondern an alle, die Zukunft, die Jugend, die Welt. Ach ja. Gut
       also, dass es vorbei ist und endlich das neue Jahr kommt. Dafür kann man
       sich vornehmen, dass man all das 2019 nicht nur auf Weihnachten beschränkt.
       Klappt bestimmt.
       
       Nächste Woche Johanna Roth
       
       29 Dec 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Klaus Raab
       
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