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       # taz.de -- Komiker Oliver Polak über sein Buch: „Jogginghosen sind bequem“
       
       > In Niedersachsen aufgewachsen, wurde Oliver Polak in der Provinz
       > sozialisiert. Der Komiker über Gespräche am Tisch der Eltern und
       > selbstreferenziellen Humor.
       
   IMG Bild: „Ich bin auch der Erste, der in Adiletten für Suhrkamp präsentiert“, sagt Oliver Polak
       
       taz: Oliver Polak, Sie sind der erste Jogginghosenträger, der bei Suhrkamp
       ein Buch veröffentlicht. Wie fühlt sich das an? 
       
       Oliver Polak: Auf jeden Fall interessant, wo immer ich mein Buch
       präsentiere, fällt die Rede darauf, dass ich Jogginghosenträger bin. Ich
       bin auch der Erste, der in Adiletten für Suhrkamp präsentiert. Manchmal
       werde ich deshalb schräg angeguckt.
       
       Ist die Jogginghose Ihre Arbeitsuniform? 
       
       Jogginghosen trage ich schon, seit ich 20 bin. Sie sind bequem. In
       Kreuzberg stößt das noch auf Verwunderung, wenn ich in New York unterwegs
       bin, stört das niemanden. Es gibt übrigens Jogginghosen von Gucci, die
       kosten 800 Euro.
       
       Was kostet Ihre? 
       
       Ich bevorzuge Modelle der Marke Adidas, die kosten zwischen 80 und 150
       Euro.
       
       Früher teilte man Westdeutschland in Puma und Adidas. Warum Adidas? 
       
       Ich war nie Puma, ich war immer Adidas. Was Hosen angeht und Sweatshirts,
       immer Adidas. Bei Sneakern schwöre ich auf Nike.
       
       Geha oder Pelikan-Füller? 
       
       Geha! Gegenfrage: Was wäre das Pendant zum Steiff-Tier?
       
       Da muss ich passen. 
       
       Asoziales Stofftier.
       
       Sie sind im niedersächsischen Papenburg aufgewachsen. Welche Ereignisse
       sind da für Sie prägend gewesen? 
       
       Mein Vater war passionierter Zirkus-Fan, auch für mich war der Zirkus ein
       wichtiger Ort. Papenburg ist ziemlich trist, aber im Zirkus fühlte ich mich
       wohl. Ansonsten kann ich schon sagen, dass ich ein Kind der Popkultur bin.
       Sie war Zufluchtsort. Als Neunjähriger sah ich Udo Jürgens in der
       Weser-Ems-Halle. Das erste Konzert, das ich selbst ausgewählt habe, war ein
       Auftritt von Erste Allgemeine Verunsicherung.
       
       Auch als Sie älter wurden? 
       
       In der Einsamkeit von Papenburg habe ich zum Glück die Band Blumfeld
       entdeckt. Angeregt durch ihre Musik habe ich mir als 15-Jähriger ein
       Schlagzeug zugelegt. Dann bin ich bei einer Punkband eingestiegen, die hieß
       Satanic Trip. Mit 19 habe ich dann meine eigene Band gegründet. Musik war
       mein Ding, Comedy war kein Thema.
       
       Über wen lachen Sie? 
       
       Als Kind habe ich als Erstes Otto und Hape Kerkeling wahrgenommen. Ich muss
       sagen, dass der Humor von Bands tatsächlich lustiger war als alle Comedians
       zusammen. Popkünstler wie Erobique machen auch heute einen besseren Job als
       die Komiker.
       
       Sie versuchen das, was in den USA Stand-up-Comedy heißt. Was muss
       passieren, damit Sie etwas zum Lachen bringt? 
       
       Es muss weder schlau sein noch tiefsinnig. Guter Humor hat mit einem
       Überraschungsmoment zu tun. Am besten gelingt das US-Comedians. Ich war
       selbst im Vorprogramm von Comedy Cellar in New York aufgetreten und habe
       mir dort Godfrey und Dave Atell angeschaut. Beide großartig. Vorbild von
       mir ist auch Helge Schneider, er ist ein Musikgenie.
       
       Spielt Humor in Ihrer Familie eine Rolle? 
       
       Ich habe den Drang, mich verantwortlich zu fühlen, damit sich andere
       Menschen gut fühlen. Menschen zum Lachen zu bringen hat mit meiner eigenen
       Familiengeschichte zu tun. Ich wusste schon als Kind, dass mein Vater im KZ
       inhaftiert war. Es war ja nicht so, dass bei uns ständig traurige Stimmung
       deshalb war. Viele Kinder wollen ihren Eltern etwas vorführen, das war bei
       mir nicht anders. Bei mir ging das durch Humor. Ich habe es später nie
       drauf angelegt, Komiker zu werden. Erst mit 30 habe ich mir zugetraut, es
       mal mit Stand-up Comedy zu probieren. Da habe ich schnell kapiert, dass
       Leute wie Eddie Murphy anfangs ihre eigene Biografie als Basis benutzt
       haben.
       
       1986 war ich auf Abiturfahrt in Polen. Da haben wir die Gedenkstätte des KZ
       Auschwitz besichtigt. Auf der Rückfahrt im Bus war anderthalb Stunden
       Schweigen. Wann haben Sie die Leidensgeschichte Ihres Vaters erfasst? 
       
       Es gab nicht den einen entscheidenden Moment. Es war banaler: Oft sind
       befreundete jüdische Bekannte aus dem Emsland am Sonntag zu Kaffee und
       Kuchen gekommen. Und die haben nicht über den letzten Mallorca-Urlaub
       geredet, sondern darüber, wie und wann sie sich in welchem KZ verloren
       haben, wiedergefunden haben, wer ermordet worden ist. Da saßen auch
       Auschwitz-Überlebende am Wohnzimmertisch mit der tätowierten Nummer am Arm.
       Das war für mich als Kind normal, das mitzubekommen. Mein Vater hat offen
       mit uns darüber gesprochen.
       
       Abstrakt gesehen, sind 25 Prozent der Deutschen latent antisemitisch. In
       Ihrem Buch schildern Sie, was das für Sie bedeutet: ob im
       öffentlich-rechtlichen Fernsehen oder bei einem Auftritt in einem Zelt bei
       einem Kabarettabend in München. Das sind keine Nazis, sondern Kollegen, mit
       denen Sie beruflich zu tun haben. Zutage tritt eine Mischung aus
       Ahnungslosigkeit und Vorurteilen. 
       
       Sie haben ja vorhin erzählt, wie Sie paralysiert waren, nachdem Sie das KZ
       Auschwitz gesehen haben, da waren Sie zum Glück nicht allein. Ich erlebe
       das oft allein, etwa mit einem Fernsehmoderator, der mich fragt, ist alles
       okay? Und ich sage: nein.“ Und er sagt: sorry, deine jüdische Herkunft ist
       dein Unique Selling Point, da musst du durch. Eigentlich hätte ich sagen
       müssen, fick dich, Alter. Aber in dem Moment hatte ich nicht die Eier und
       habe nichts gesagt. Trotzdem habe ich hinterher bemerkt, ich habe darauf
       keinen Bock mehr. Ich will gar nicht werten, ob jetzt jeder Antisemit ist,
       der mir blöd kommt. Ob ich jetzt Stand-up-Comedy mache oder ein Buch über
       Antisemitismus schreibe, es kommt doch absolut darauf an, wer wann und
       warum und aus welcher Perspektive eine Bemerkung macht.
       
       Warum strengt Sie der Umgang mit dem Thema Antisemitismus so an? 
       
       Ich bin es einfach leid. Im Unterbewusstsein ist Comic Relief für mich eine
       Kompensation für diese ganze Scheiße.
       
       Wie haben Sie die mehrtägige rechtsradikale Randale in Chemnitz erlebt? 
       
       Nachdem ich gesehen habe, wie Tausende Rechte organisiert durch die Straßen
       laufen und den Hitlergruß zeigen, war ich erleichtert, als die Rapper KIZ
       in Chemnitz bei #wirsindmehr gespielt haben. Ihre Haltung finde ich
       wichtig. Genau das hat die Bild-Zeitung infrage gestellt. Leute, die den
       Hitlergruß zeigen, sind offenbar nicht so ein Problem. 2018 fand in Themar
       ein Rechtsrockfestival statt, das wird von den Behörden immer genehmigt und
       sogar von Polizei geschützt. Es heißt ja immer „Wehret den Anfängen“. Ich
       habe das Gefühl, die Politiker wissen gar nicht, was für manche Menschen
       Sicherheit bedeutet. Wenn ich deutsche Politiker sehe, die in Jad Vaschem
       Kränze niederlegen, beschleicht mich oft das Gefühl, die können besser mit
       toten Juden umgehen als mit uns lebenden Juden.
       
       Sie haben Ihr Buch Mireille Knoll gewidmet, eine Holocaustüberlebende, die
       in Paris im März von ihrem Nachbarn auf brutale Weise erstochen wurde. Das
       Motiv war Judenhass. 
       
       Ich bin mit älteren jüdischen Menschen, wie sie es auch war, aufgewachsen.
       Als ich die Meldung ihrer Ermordung im Frühjahr gelesen habe, kam bei mir
       alles wieder hoch. Den Antisemitismus, den es schon zur Nazizeit gegeben
       hat, den gibt es heute immer noch.
       
       Der Mörder von Mireille Knoll ist kein Nazi, sondern Muslim. Auch Muslime
       haben teilweise antisemitische Vorurteile. 
       
       Das macht für mich keinen Unterschied. Der deutsche Antisemitismus war
       immer da, wie ein Bekannter, der in der Ecke sitzt und stillschweigend
       geduldet wird. Ich glaube nicht, dass Flüchtlinge, die vor Armut und Leid
       fliehen, als erstes Problem die Juden ausmachen. Es gibt aber einen
       Nährboden, das ist der arabische Antisemitismus. Der ist viel lauter und
       aggressiver als der deutsche.
       
       Gibt es eigentlich typisch jüdischen Humor? Und, wenn ja, was macht der? 
       
       Ich vermute mal, dass der Humor mit der jahrhundertealten Diaspora zu tun
       hat. Jüdischer Humor ist selbstreferenziell. Also dass der beste Gag des
       Abends auf meine Kosten geht, ist ein Beispiel dafür. Ich kann über mich
       selbst lachen.
       
       Gibt es für Sie als Comedian Tabus? 
       
       Keiner meiner Witze ist härter als die Realität da draußen. Ich glaube, je
       größer das Tabu, desto besser muss der Gag sein. Das gelingt mir manchmal
       mehr, manchmal weniger.
       
       Jüdisches Leben muss von der Polizei bewacht werden. Wie stellt sich der
       Alltag für Sie dar? 
       
       Schon absurd, dass Polizeischutz erforderlich ist nach alldem, was passiert
       ist. Ich glaube, jüdisches Leben gibt es hier nur bedingt. Die jüdischen
       Leute sind aus verständlichen Gründen empfindlich und sehr vorsichtig. Es
       wird so viel in uns hineinprojiziert und an uns abgearbeitet.
       
       Was macht Sie glücklich? 
       
       Nachts mit dem Auto durch Berlin zu fahren und Radio Paradiso hören. Da
       laufen tolle Softpopsongs. Und Musik der Band The Notwist hören. Ihr
       Sänger, Markus Acher, kam zu meiner Lesung und hat mir Alben seines Labels
       mitgebracht. Das sind so Momente, wenn Leute, die mir wichtig sind, auf
       mich zukommen.
       
       18 Dec 2018
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Julian Weber
       
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