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       # taz.de -- Studierende kaufen Wohnheim: Göttinger Häuserkampf
       
       > Nach einem langen Streit verkauft das Göttinger Studentenwerk ein
       > Wohnheim an dessen Bewohner*innen.
       
   IMG Bild: Werden im April zur Baustelle: Häuser in der Roten Straße
       
       Göttingen taz | Nach dem Knall war lange Ruhe – jetzt folgt die harmonische
       Trennung: Das Göttinger Studentenwerk hat eines ihrer Wohnheime an einen
       von den Bewohner*innen gegründeten Verein verkauft. Nachdem der Streit
       anlässlich von Mieterhöhungen eskaliert war, freuen sich nun beide Seiten
       über die Trennung.
       
       Die Bewohner*innen sehen den Erwerb als Pilotprojekt: „Andere Wohnheime
       können uns das gleichtun“, sagt Feli Schlang, Sprecherin des „Vereins zur
       Förderung von Bildung, Kultur und studentischem Leben“. Der Streit zwischen
       Studentenwerk und linken Wohnheimen ist in der Unistadt aber noch längst
       nicht beigelegt.
       
       Vor eineinhalb Jahren eskalierte es. Die Bewohner*innen der Goßlerstraße
       17/A warfen dem Studentenwerk vor, wie ein Miethai zu agieren. Mehr als 500
       Beschwerdebriefe gingen beim Studentenwerk ein. Selbst Jürgen Trittin,
       grüner Bundestagsabgeordneter für Göttingen, mischte sich auf Seiten der
       Bewohner*innen der „Gosse17“ in den Streit ein.
       
       Anlass war einerseits eine Mieterhöhung. Zum anderen wollten die
       Bewohner*innen an ihren Kollektivmietverträgen festhalten, auf die das
       Studentenwerk gern verzichten würde. Die Bewohner*innen wollten sich mit
       dem Kollektivmietvertrag die Belegung des Wohnheims, also die
       Selbstorganisierung, nicht nehmen lassen. Die in der „Wohnrauminitiative“
       versammelten linkspolitisch aktiven Wohnheime stellten sich quer.
       
       ## Warme Worte für das Wohnprojekt
       
       Das Studentenwerk wiederum reagierte mit fristlosen Kündigungen und Jörg
       Magull, Chef des Studentenwerks, schien von den Forderungen der
       Studierenden nur noch genervt zu sein: „Wir appellieren an die Studenten,
       zur Vernunft zurückzukehren“, ließ er damals mitteilen.
       
       Nach Monaten der Verhandlungen, zu der sich beide Seiten mit etwas Mühe
       wieder durchrangen, fand sich auf einmal doch eine Lösung. „Wir sind jetzt
       froh, dass wir nicht mehr zum Studentenwerk gehören“, sagt Feli Schlang
       nun, anderthalb Jahre später. Und das Studentenwerk findet plötzlich viele
       warme Worte. „Neben dem Studium einen Verein zu gründen, die Häuser zu
       sanieren und sich noch stark sozial zu engagieren, ist keine Kleinigkeit.
       Dennoch habe ich keinen Zweifel am Gelingen dieses Wohnprojektes“, ließ
       Studentenwerkschef Magull über das Göttinger Tageblatt mitteilen.
       
       Aber auch ökonomische Gründe dürften das Studentenwerk dazu gebracht haben,
       das Haus abzugeben. „Uns steht eine Menge Arbeit bevor, denn das Haus ist
       in einem ziemlich schlechten Zustand“, sagt Schlang. Auf die aktuell 32
       Bewohner*innen, die den Großteil der Mitglieder des neugegründeten Vereins
       bilden, wird viel Eigenleistung zukommen. Denn Geld hat der Verein fast
       keins.
       
       ## Die Häuser sind dringend sanierungsbedürftig
       
       Nun stellt sich die Frage, ob dieses Modell Signalwirkung haben wird. Es
       finden gerade mit weiteren Wohnprojekten Verhandlungen statt. „Wir können
       uns gut vorstellen, das Modell auf weitere Häuser zu übertragen“, sagt
       Sprecher Steve Saleh. Zum konkreten Stand der Verhandlungen will das
       Studentenwerk derzeit nichts sagen. Bei zwei Wohnprojekten aber soll es,
       wie aus dem Umfeld zu hören ist, gute Aussichten geben.
       
       Doch in der Roten Straße, in der sich mehrere, ursprünglich besetzte und
       dem Studentenwerk später übertragene Wohnheime befinden, eskaliert der
       Streit aufs Neue. Die selbstverwalteten Häuser sind dringend
       sanierungsbedürftig. Die Bewohner*innen warfen dem Studentenwerk vor, viel
       zu lange kein Geld für die Sanierung in die Hand genommen zu haben und die
       nun anstehenden Kosten auf sie abwälzen zu wollen. Zum 1. April sollen die
       Häuser zur Baustelle werden. Doch wie diese Phase gestaltet werden soll und
       wie es danach weitergeht, darüber soll zwischen den Wohnprojekten und dem
       Studentenwerk noch ziemlich großer Dissens bestehen.
       
       ## „Ungeheuerlicher Erpressungsversuch“
       
       In einem Mitte Dezember veröffentlichten offenen Brief sprechen die
       Bewohner*innen von einem „ungeheuerlichen Erpressungsversuch“ durch
       Studentenwerkschef Magull. Würden die Bewohner*innen nicht neue
       Mietverträge unterschreiben, würde es auch keine Sanierung geben, soll er
       angedroht haben. Die neuen Mietverträge würden eine starke Mieterhöhung
       beinhalten. Dabei wollen auch diese Wohnprojekte die Häuser gern als Verein
       kaufen, ähnlich wie in der „Gosse17“.
       
       Denn die Wohnprojekte sind nicht nur als Wohnraum von enormer Bedeutung.
       „Das Haus soll offen sein für kulturelles Leben und basisdemokratische
       Teilnahme ermöglichen“, sagt Schlang im Hinblick auf das Wohnheim in der
       Goßlerstraße. Zudem: Jedes gekaufte und selbstverwaltete Wohnheim wird dem
       Markt entzogen. Denn auch Göttingen hat ein Problem mit steigenden Mieten.
       Innerhalb der letzten fünf Jahre ist der Preis für Neuvermietungen um mehr
       als 25 Prozent gestiegen.
       
       3 Jan 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR André Zuschlag
       
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