URI: 
       # taz.de -- Provenienzforscherin über das Lüderitz-Museum: „Beziehung zu Nazis ambivalent“
       
       > Bettina von Briskorn sucht im Bremer Überseemuseum nach der Herkunft von
       > Exponaten, die früher einem nationalsozialistischen Museum gehörten.
       
   IMG Bild: Die Eingangshalle des Lüderitz-Museums, dessen Bestand das Überseemuseum übernommen hat
       
       taz: Frau von Briskorn, was hat es mit dem Lüderitz-Museum auf sich? 
       
       Bettina von Briskorn: Das Lüderitz-Museum hat nur eine sehr kurze
       Geschichte. Es wurde 1940 in Bremen gegründet, wurde aber schon vor dem
       Krieg wieder geschlossen, um die Ausstellungsstücke vor einer möglichen
       Zerstörung zu bewahren. Es war benannt nach einem Bremer „Kolonialpionier“,
       so zumindest hat man ihn damals genannt. Adolf Lüderitz war Mitbegründer
       der ersten deutschen Kolonie, des heutigen Namibia. Exponate des Museums
       waren deshalb, neben historischen Dokumenten, Objekte aus Afrika:
       völkerkundliche Gegenstände, aber auch Tiere, wie präparierte Löwen oder
       Antilopengehörne zum Beispiel.
       
       Wozu das Museum? 
       
       Seit Ende 1933 gab es in den politischen Kreisen der Hansestadt
       Diskussionen darüber, ob man ein Kolonialmuseum gründen sollte. Auch Ludwig
       Roselius war in diese Diskussionen eingebunden und sorgte schließlich für
       die Ausstattung des Museums. Ziel war es, für die Rückgewinnung der
       ehemaligen deutschen Kolonien zu werben und gerade Jugendliche dafür zu
       begeistern. Mit dem Versailler Vertrag 1919/20 hatten die Deutschen ja ihre
       Kolonien verloren.
       
       Als es fertig war, gab es um das Museum Streit… 
       
       Nicht direkt Streit. Das Museum war anscheinend ideologisch eher
       zurückhaltend gestaltet. Bereits bei der Eröffnung wies Friedrich Rendemann
       vom Reichskolonialbund darauf hin, dass Statistiken, Karten und andere
       Informationsmaterialien im Museum fehlen würden. Die Beschilderung der
       Exponate war, so scheint es, nicht propagandistisch genug. Roselius
       Beziehung zu den Nationalsozialisten war ambivalent. Er hatte beste
       Verbindungen in NS-Kreise, war völkisch orientiert und in seinen
       Briefwechseln findet man antisemitische Äußerungen. Doch gleichzeitig wurde
       seine Böttcherstraße im Nationalsozialismus als „entartet“ kategorisiert.
       
       Weiß man heute mehr über diese Ambivalenz? 
       
       Schwer zu sagen. Sie mag auf jeden Fall der Grund sein, dass Roselius’
       persönliche Dokumente und Schriftwechsel von seiner Familie verwahrt und
       der Öffentlichkeit und Forschung nicht zugänglich gemacht werden. Sie
       wollen scheinbar keine weiteren Erkenntnisse zulassen.
       
       Nach der Auflösung des Museums wurden die rund 800 Exponate dem
       Übersee-Museum geschenkt. Was ist damit seitdem passiert? 
       
       Aktuell beschäftige ich mich als Provenienzforscherin mit der Herkunft
       dieser Dinge – und zwar in Hinblick auf die Frage, ob sie aus einem
       nationalsozialistischen Unrechtszusammenhang stammen. Damals, als die
       Ausstellungsstücke ins Haus kamen, wurden sie neu katalogisiert, bekamen
       Inventarnummern. Ein Teil der Exponate ist dann immer wieder in
       Ausstellungen gezeigt worden.
       
       Von was für Gegenständen sprechen wir, deren Ursprung Sie erforschen? 
       
       Es handelt sich um Dinge, die Ludwig Roselius seit Mitte der 1930er bis
       Anfang der 1940er Jahre für sein Projekt Lüderitz-Museum ankaufte. Bei
       kritischer Museumsarbeit wurde immer deutlicher, dass auch Museen von der
       Verfolgung und damit einhergehender Beraubung von Menschen im NS profitiert
       haben. Die Stücke, mit denen ich mich befasse, sind nicht nur im
       Nationalsozialismus angeschafft worden, sondern sie stammen dazu noch alle
       aus den ehemaligen Kolonialgebieten.
       
       Haben Sie da ein konkretes Beispiel? 
       
       Ein interessantes Beispiel in diesem Zusammenhang ist ein Schwert, das
       Roselius wohl im besetzten Paris kaufte und das laut Vermerk auf einer
       Liste angeblich dem König von Dahomé, dem heutigen Benin, gehörte.
       
       Angeblich? 
       
       Genau kann man das nicht bestimmen. Wir können wie gesagt rückverfolgen,
       dass das Schwert in Paris gekauft wurde. Da stellt sich die Frage, von wem?
       Und weiter: Woher hat es der Verkaufende? Und ist es wirklich das Schwer
       des besagten Königs? Oder wurde das bloß behauptet, um den Wert des
       Schwertes zu erhöhen? Immerhin ist dieser König weltweit bekannt gewesen –
       er hatte sich gegen die französische Kolonialherrschaft aufgelehnt. Ein
       Schwert als seins zu verkaufen, implizierte eine große Preissteigerung.
       
       Die meisten Kunstwerke und Schätze des ehemaligen Königreichs gelten als
       gestohlen… 
       
       Oh, inwieweit das im engeren Sinne so ist, weiß ich nicht. Beutegut aus dem
       ehemaligen Dahomé ist auf jeden Fall derzeit Teil der Diskussion, die
       Präsident Macron in Frankreich angestoßen hat. Im Mittelpunkt der
       allgemeinen Debatte steht die Frage, ob Gegenstände auf jeden Fall
       zurückgegeben werden müssen oder ob zunächst die genauen Umstände, der Weg
       des Gegenstands aufgearbeitet werden sollte. 26 Werke, die die Franzosen
       sich angeeignet hatten, wurden nun jedenfalls von Frankreich an Benin
       zurückgegeben.
       
       Und hinzukommt jetzt noch das Schwert aus Bremen? 
       
       Dazu müssten zunächst die oben genannten Fragen beantwortet sein und am
       allerwichtigsten: Es müsste geklärt sein, ob sich das Schwert tatsächlich
       1955 unter den geschenkten Stücken befand. Bisher haben wir keine Spur des
       Objekts hier im Haus ausmachen können. Nicht alles, was hier ankam, ist so
       katalogisiert worden, dass man es eindeutig als aus dem Lüderitz-Museum
       stammend identifizieren kann. Und nicht alles, was im Lüderitz-Museum
       ausgestellt war, ist auch bei uns angekommen. Letzteres gilt vor allem für
       die präparierten Tiere.
       
       Wohin könnte es denn verschwunden sein? 
       
       Als die Gegenstände vor der Zerstörung des Krieges bewahrt werden mussten,
       brachte man sie nach Worpswede, aufs Land. Aber einiges wurde
       zwischenzeitlich dezentral an anderen Orten untergebracht. Viele der
       Gegenstände machen verwundene Wege, die man nur bis zu einem bestimmten
       Punkt nachverfolgen kann, bevor man ihre Spur verliert.
       
       Konnten Sie in Ihrer Forschungsarbeit seit 2017 schon Gegenstände auf
       Eigentümer*innen zurückführen? 
       
       Immer wieder finde ich Spuren, die aber auch oft im Sand verlaufen. Bislang
       konnte ich jedenfalls im ehemaligen Bestand des Lüderitz-Museums keine
       Objekte entdecken, bei denen ein verfolgungsbedingter Entzug eindeutig
       nachweisbar war. Das bedeutet nicht, dass keines der Exponate eine solche
       Geschichte hat. Es besteht zunächst immer die Vermutung, dass Dinge einem
       solchen Kontext entstammen.
       
       Bei welchen Geschichten setzen Sie an? 
       
       Ich erforsche, ob Gegenstände verfolgungsbedingt und zu Unrecht entzogen
       wurden. Im NS-Kontext konnte Verfolgung bekanntermaßen verschiedene Gründe
       haben: Menschen wurden von den Nazis als jüdisch identifiziert, als
       homosexuell oder als politisch unliebsam. Wenn wir dann von Entzug
       sprechen, denkt man sofort an den Gestapo Offizier, der nach Verhaftung die
       Wohnzimmer der Betroffenen plündert. Natürlich gab es solche Fälle – zu
       meinem Forschungsfeld zählen aber nicht allein die. Sondern zum Beispiel
       auch Verkäufe unter Zwang, etwa um die Flucht zu finanzieren.
       
       Und wie kamen die Enteigneten dazu, Eigentümer*innen der vorwiegend
       afrikanischen Gegenstände zu werden? 
       
       Das eben muss Provenienzforschung klären. Mein derzeitiges
       Forschungsprojekt stellt allerdings zunächst die Frage nach dem Entzug in
       der NS-Zeit in den Mittelpunkt. Selbstverständlich ist auch die Frage nach
       der Herkunft aus einem möglichen kolonialen Unrechtskontext von Bedeutung.
       In Kolonien wurden Dinge geraubt oder unter – aus heutiger Zeit – moralisch
       nicht vertretbaren Bedingungen angeeignet. Mit dem doppelten
       Unrechtskontext stehen wir vor einem großen ethischen Konflikt.
       
       15 Jan 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Lea Schweckendiek
       
       ## TAGS
       
   DIR Provenienz
   DIR Schwerpunkt Nationalsozialismus
   DIR Beutekunst
   DIR Übersee-Museum
   DIR Deutscher Kolonialismus
   DIR Kolonialismus
   DIR Bremen
   DIR Provenienzforschung
   DIR Judenverfolgung
   DIR NS-Raubkunst
   DIR Museum für Völkerkunde
   DIR NS-Raubkunst
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR NS-Raubkunst in Flensburg: Die Beute der Väter
       
       In der Ausstellung „Wem gehört die Kunst?“ zeigt der Flensburger
       Museumsberg erste Ergebnisse seiner Provenienzforschung.
       
   DIR Buch über jüdische Greiferin neuaufgelegt: Überleben in Berlin
       
       Stella Goldschlag meldete der Gestapo Verstecke anderer jüdischer Menschen.
       Peter Wyden lernte sie in der Schule kennen und beschreibt sie.
       
   DIR Restitution eines NS-Raubkunst-Gemäldes: Raubkunst geht zurück
       
       Kulturstaatsministerin Monika Grütters übergibt das Gemälde eines
       französischen Juden an die Erben. Es stammt aus der Sammlung Gurlitt.
       
   DIR Neues Völkerkundemuseum: Lübeck will Skandal beenden
       
       Das Völkerkundemuseum in Lübeck steht vor dem Neustart. Bisher Dämmern
       dessen Schätze in einem Depot. Die riesige Maskensammlung ist legendär.
       
   DIR Gestohlene Judaica: Die Spur des Sabbatleuchters
       
       Wie erforscht man die Herkunft jüdischer Kulturgüter? Eine Fachtagung in
       Berlin unternahm den Versuch, Museumsmitarbeiter zu schulen.