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       # taz.de -- Twitter-Geschichten von taz-Autor*innen: Liebe, Flausch und Candystorm
       
       > Robert Habeck hat sich von Twitter verabschiedet. Schade, denn da gibt es
       > nicht nur Hass und Häme – sondern auch Anrührendes und Schönes.
       
   IMG Bild: Es gibt auch schöne Momente auf Twitter
       
       Gareth Joswig, [1][@garethmetik]
       
       Plötzlich war Mau weg. Unsere vierjährige Tochter Ida hat ihr
       Lieblingskuscheltier im Zug verloren. Als Mau auch eine Woche später nicht
       in den Fundbüros der Bahn auftauchte und meine Tochter immer untröstlicher
       wurde, startete ich eine [2][Suchaktion auf Twitter.] Viele teilten den
       Aufruf, nahmen Anteil und halfen suchen. Ergebnis: Die Katze ist zwar immer
       noch auf Reisen, hat dafür aber Postkarten von unterwegs geschickt, dank
       zahlreicher User*innen. Gut dreißig Postkarten hat Mau geschickt, aus
       Sachsen, Bayern, Malta und Paris, selbstgemalte vom Nordpol und aus der
       Tiefsee. Meine Tochter lässt sich die Karten immer wieder vorlesen –
       zusammen mit dem neuen Ersatzkuscheltier: Mau-Pünktchen.
       
       ***
       
       Maike Brülls, [3][@MaikeBruells]
       
       Ein Sommer vor einigen Jahren. Auch in der letzten Verlosung bekam ich kein
       Ticket für das #Fusion-Festival. Mehr aus dem Bedürfnis, meiner Betrübtheit
       Luft zu machen, denn aus Hoffnung fragte ich bei Twitter, ob jemand ein
       Ticket abzugeben hat. Wochenlang nichts. Und dann: eine Antwort. Ob meine
       Suche noch aktuell sei. Ich antwortete, wir tauschten Konto- und
       Kontaktdaten aus. Ich überwies das Geld, über 100 Euro, einer mir fremden
       Person, ließ mein Misstrauen der Menschheit gegenüber beiseite – und wurde
       nicht enttäuscht. Nach kurzer Zeit war das Ticket da. Twitter hat mir nicht
       nur eine tolle Zeit auf dem Festival beschert, sondern mir auch das
       Vertrauen in den Menschen wiedergegeben. Zumindest kurz.
       
       ***
       
       Michael Brake, [4][@freelancepolice]
       
       „Was machst du gerade?“ Als Twitter noch jung war, stand diese Frage ganz
       oben auf der Seite und viele nahmen das sehr wörtlich. Als Parodie auf
       dieses superbanale Tagebuchtwittern programmierte Kathrin Passig im Sommer
       2008 den [5][@trottelbot]. Ein Parodieaccount, der in onkeligem
       Office-Humor-Sound Sachen schrieb wie: „Üffchen! Wieder zu Hause.“ „Muss
       dringend mal was essen. #Hunger“. Dabei bediente er sich aus einer Liste
       mit vorgefertigten Sätzen, die mehrere Leute, darunter ich, weiter
       befüllten. Über die Jahre lernte der Trottelbot: uhrzeitgebunden twittern
       („Ich geh mal am Schlafschnulli nuckeln.“), anderen Usern unverbindliche
       Antworten geben („Das ist ein interessanter Ansatz“), sogar eine Art
       Syntax. Wir hatten sehr viel Spaß mit Trotti, sieben Jahre lang und dann –
       verstummte er. Twitter hatte seine Richtlinien verändert und akzeptierte
       das Trottelbot-Script nicht länger.
       
       ***
       
       Anonym, @anonymindertaz
       
       Ich war einmal anonym auf einem taz-Cover zu sehen – besser gesagt: meine
       Unterhose. Mein Körper brustabwärts. Es wusste fast niemand davon. Schon
       gar nicht mein Ex-Freund, der das Cover ein paar Sekunden, nachdem es
       online war, retweetete. „Super Foto“, schrieb er dazu. Mir gefiel der
       Gedanke, dass ich halbnackt auf seiner Timeline prangte, ohne dass er es
       ahnte.
       
       ***
       
       Tobias Schulze, [6][@tschlze]
       
       Mein schönster Twitter-Moment war, als ich vor Jahren gesehen habe, dass
       mir [7][Winnie Schäfer] folgt. Leider sehe ich gerade, dass er mir nicht
       mehr folgt.
       
       ***
       
       Philipp Daum, [8][@PhDaum]
       
       Zwei Wochen vor meinem Flug nach Bali drohte ein Vulkan auszubrechen, der
       Agung. Es könnte jeden Moment so weit sein: In ein paar Stunden! Eine Frage
       von Tagen! Nächste Woche! Aber es passierte nichts. Drei Tage vor meinem
       Flug fand ich auf Twitter einen britischen Vulkanologen: [9][@MikeVolc].
       Ich schrieb ihm, er antwortete, beruhigte mich. Ich flog, der Vulkan brach
       sechs Wochen später aus.
       
       ***
       
       Anja Maier, [10][@frau_maier]
       
       Ich finde es großartig, wie Frauen sich gegenseitig famen. Also nicht nur
       Journalistinnen und Politikerinnen, dann ist es nämlich noch viel schöner.
       Und am allerliebsten habe ich natürlich, wenn jemand so was schreibt wie
       „Die kluge Frau Maier hat … geschrieben“. Fühle mich dann zwar heillos
       überschätzt, aber aufs Wärmste wahrgenommen und gebe diese Wärme gerne
       zurück und weiter.
       
       ***
       
       Paul Wrusch, [11][@powl_b]
       
       Vor über drei Jahren hatte ich eine Twitter-Romanze mit dem jetzigen
       @BILD-Chef [12][Julian Reichelt]. Ich schrieb ihm einen öffentlichen
       Liebesbrief, weil er „mutig, objektiv und sexy“ (dieses #Brusthaar!) für
       die Pressefreiheit kämpfte. Er schickte mir via Twitter ein [13][sexy Foto]
       von sich: „Für Pauli von taz2“. Mit Herzchen! Gut, er bezeichnete mich noch
       als „traurigen Spießer“ und „Lügner“, aber eigentlich sehnte er sich nach
       mir. Wie zwei verliebte Teenies stichelten wir uns eine Weile gegenseitig.
       Seit er so richtig Chef ist, ist das vorbei. Man muss loslassen können.
       
       ***
       
       Doris Akrap, [14][@dorisakrap]
       
       [15][#FreeDeniz] 
       
       ***
       
       Markus Kowalski, [16][@markuskowalski]
       
       [17][#mequeer] überwältigt mich. Plötzlich schreiben Freunde und Kollegen,
       wie sie homophob beleidigt werden. Wie sie Angst haben, öffentlich zu
       knutschen. Ich erkenne mich wieder. Schäme mich für mein Zögern, mein
       Erlebnis zu teilen. Soll alle Welt mein Innerstes kennen? Dann doch. Ich
       tippe, wie ich als Siebtklässler meinen Französischlehrer als „voll
       schwul“ beleidige, aus Selbsthass. Erst kürzlich entschuldige ich mich.
       Seitdem liest er mit seinen Schülern einen Roman über Homophobie.
       
       ***
       
       Kersten Augustin, [18][@kerstenau]
       
       Verzweifelt haben wir nach einem Kitaplatz gesucht. Meine Freundin und ich
       wollten nicht selbst darüber in der taz berichten, nicht jeden
       Entwicklungsschritt unseres Sohnes publizistisch begleiten. Aber nachdem
       wir fast ein Jahr lang, vom Wochenbett bis kurz vor seinem ersten
       Geburtstag, mit wachsender Verzweiflung etwa 70 Kitas und Tagesmütter
       abgelaufen und immer noch keinen Platz gefunden hatten, äußerte sich unsere
       Verzweiflung zumindest in einem Tweet. Und zack: Journalisten von gleich
       zwei Berliner Lokalzeitungen meldeten sich bei uns, wir sollten traurig in
       die Kamera schauen und unsere Geschichte erzählen. [19][Haben wir gemacht].
       Das Jugendamt hat dann reagiert. Heute geht unser Sohn in einen tollen
       Kitaladen. Vielen Dank, Twitter!
       
       ***
       
       Leonie Gubela, [20][@leoniegubela]
       
       Als ich neu bei Twitter war, tippte ich wahllos auf Folge-Vorschläge für
       PolitikerInnen und Promis. Ein paar Stunden später kam eine Push-Meldung:
       „[21][Peter Altmaier] hat Dich erwähnt.“ Ach du Scheiße, Altmaier hat
       meinen Artikel über Müllvermeidung geteilt, denke ich. Jetzt will er sein
       Leben umkrempeln und mir dafür danken. Ich öffne die App und [22][lese]:
       „Glückwunsch, @leoniegubela, Sie sind meine 100.000’ste Followerin! Schön,
       dass Sie da sind, auf ein gutes ‚Twitteinander‘ !!!“ Altmaier wird sein
       Altpapier wohl weiterhin nicht in der Wurmkiste kompostieren. Wenigstens
       leben wir jetzt in seligem „Twitteinander“.
       
       ***
       
       Felix Zimmermann, [23][@felixzimmermann]
       
       Nach Konzerten in der [24][@BerlinPhil] nachts noch schnell erste
       Reaktionen oder Kritiken auf Twitter sichten. Im September, als
       [25][@BostonSymphony] Mahlers 3. spielte. Fantastisch! Immer lesenswert:
       Rezensionen von [26][Albrecht Selge] @hundert11blog. Toll: In der
       Mahler-Besprechung klärt er auch über das kuriose Dirigentenpult auf, das
       in jeder Zaunabteilung jedes Baumarktes stehen könnte. @BostonSymphony hat
       es immer dabei. Weiß ich jetzt, dank Twitter.
       
       ***
       
       Ulrich Schulte, [27][@UlrichSchulte]
       
       Ich mag diese Papierkügelchen-Momente. Früher, in der Schule, wenn in einer
       todlangweiligen Mathestunde jemand mit Spucke geformte Taschentuchfetzen
       durch die Gegend schnipste. Albern, und genau deshalb prusteten alle los.
       Heute liefert Twitter diese Miniurlaube im Alltag. Du denkst darüber nach,
       dass Olaf Scholz Kanzlerkandidat einer 15-Prozent-Partei werden will. Dann
       postet einer bei Twitter ein montiertes Plakat. Scholz guckt ernst, darüber
       das SPD-Logo und der Spruch: „Scholz – jetzt ist eh egal“.
       
       12 Jan 2019
       
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