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       # taz.de -- Kolumne Teilnehmende Beobachtung: Schwitzen mit Schiller
       
       > In Berliner Saunen kann man den interkulturellen Horizont erweitern und
       > auch andere Milieustudien betreiben.
       
   IMG Bild: Hier: Finnland. In Berliner Saunen wird die tosende Brandung nur simuliert
       
       Jetzt, da sich der Berliner Winter in all seinen Grautönen zeigt, gehe ich
       wieder ab und zu in die Sauna. Dabei stellte ich fest, wie nahe Entspannung
       und Verspannung beieinanderliegen.
       
       Den freundlich grüßenden Zuspätkommer in der Biosauna gingen die
       schwitzenden Bäuche und Busen während des Sandelholzaufgusses mit „Dit darf
       ja wohl nich wahr sein“, „noch so eener“ an. Die flüsternden Freundinnen,
       von denen die eine von der anderen wissen wollte, ob sich ihr Piercing in
       der 92 Grad heißen Trockensauna in die Nase brennen würde, wurden
       ausgezischt, als hätte man einen Schwall Wasser über die glühenden Steine
       des Saunaofens gekippt.
       
       Derartige Rüffel wären in der Sauna des Weddinger Frauen-Fitnessstudios,
       das ich eine Zeit lang besuchte, undenkbar gewesen. Laut und deutlich
       sprachen hier Damen wie Özlem, Nevin oder Esra über ihre Liebesziehungen,
       zarte Haut oder über die Bäckereien, in denen es das süßeste Baklava der
       Stadt zu kaufen gab. Währenddessen kämmten sie sich gegenseitig Kuren in
       die langen Haare und peelten die Arme und Beine mit einem Handschuh. So
       viel Nähe, nur eine Armlänge entfernt – das musste nun auch wieder nicht
       sein.
       
       Doch nicht nur der interkulturelle Horizont lässt sich in Berlins Saunen
       prima erweitern, man kann dort herrliche Milieustudien betreiben. In der
       Gewölbesauna in der Fröbelstraße unweit des Bürgeramts Prenzlauer Berg
       schwitzte ich mit alteingesessenen OstberlinerInnen. Jens, Katrin und
       Jürgen saunierten nackt und konzentriert. Anschließend wickelten sie sich
       in bunte Handtücher, die Werbebotschaften der DAK und von Fitness First
       trugen. Im rustikalen Gastraum mit Bar und 25 Biersorten wurde Weizenbier
       und Fassbrause getrunken, im Ruheraum laut berlinert. Neulinge erkannten
       die Stammgäste in der Fröbelstraße daran, wie diese sich auf den mit
       Kunststoff bespannten Kippliegen bewegten. Bei Ungeübten knallte die Liege
       samt Schwungmasse auf die blanken Fliesen, wenn von der sitzenden in die
       liegende Position gewechselt wurde.
       
       ## Definierte Körper
       
       Derlei Weltliches hat man in der Olivin Wellness Lounge in der Schönhauser
       Allee längst hinter sich gelassen. Beim Eintreten in das ehemalige
       Fabrikgebäude eröffnet sich eine licht- und geräuschgedämpfte
       Wohlfühlkulisse, in die feine Hölzer verbaut und gedeckte Farben gestrichen
       wurden. Olivin heißt der Edelstein, dem eine positive Wirkung wie
       Zuversicht und Gelassenheit nachgesagt wird. Beides empfangen die
       großstadtgeplagten Architekten, Radioredakteurinnen und Projektmanager im
       Bambusgarten oder auf den beheizten Holzliegen, während sie ihre
       definierten Körper vor der Plexiglaswand präsentieren, auf die tosende
       Brandungen projiziert werden. Wenngleich man sich im Olivin
       gemeinschaftlich ausruht, an- und auszieht und duscht, bleibt hier doch
       jeder für sich allein mit seinem weißen Schalkragenbademantel.
       
       Wenn man richtig Glück hat, wird einem in der Berliner Sauna sogar
       Hochkultur geboten. So wie im Paracelsus-Bad in Reinickendorf: „Zu Dionys,
       dem Tyrannen, schlich Damon, den Dolch im Gewande; Ihn schlugen die Häscher
       in Bande. ‚Was wolltest du mit dem Dolche?, sprich!‘“, intonierte Rentner
       Werner dort Die Bürgschaft nach Friedrich Schiller mit geschlossenen Augen
       und einem immer länger werdenden Schweißtropfen an der Nase.
       
       Bei den ersten fünf Strophen, Damon hat soeben die Schwester verheiratet,
       war ich beeindruckt. Dann, Werner schickte Schillers Helden jetzt auf seine
       beschwerliche Rückreise nach Syrakus, dämmerte mir, warum die anderen
       Nackten fluchtartig die Sauna verlassen hatten, als der 80-Jährige zur Tür
       hereinkam.
       
       Inbrünstig rezitierte Werner Vers für Vers, ließ Damon flehen, kämpfen und
       weinen, während mir der Schweiß von der Stirn in die Augen tropfte und ich
       meinem Körper wie ein Taschenmesser zusammenklappte, um mich vor der
       brennenden Hitze zu schützen. Fast hätte ich aufgegeben, als Werner endlich
       sprach:
       
       „Es ist euch gelungen, Ihr habt das Herz mir bezwungen; Und die Treue, sie
       ist doch kein leerer Wahn; So nehmet auch mich zum Genossen an.“
       
       13 Jan 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Julia Boek
       
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