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       # taz.de -- Schule vs. Schule: Grüner Wedding in Gefahr
       
       > Unterstützer der Gartenarbeitsschule in der Weddinger Seestraße sehen den
       > ökologischen Lernort bedroht – ausgerechnet durch einen Schulneubau.
       
   IMG Bild: Kindern die Chance geben, mitten in der Stadt Natur zu erfahren – das ist das Anliegen der Berliner Gartenarbeitsschulen (Symbolbild)
       
       Berlin braucht mehr Schulen für die steigende Anzahl der Schüler*innen, 65
       sollen bis 2022 entstehen. Nur: Wo in Berlin gibt es noch freie Bauflächen?
       Die logische Folgerung aus diesem Dilemma könnte sein, dass für Neues Altes
       weichen muss.
       
       Genau das ist die Befürchtung im Fall des Schul-Umwelt-Zentrums (SUZ)
       Mitte. Konkret geht es um den Standort der Gartenarbeitsschule an der
       Seestraße 74 in Wedding, die zum SUZ gehört. Gleich nebenan soll eine neue
       Grundschule gebaut werden. Noch steht hier das Haus der Gesundheit, doch
       das ist verschimmelt und wird abgerissen. Die neue Grundschule wird jedoch
       mehr Platz benötigen als dieser alte Bau. Denn das Musterraumprogramm für
       Berliner Grundschulen sieht eine lange Liste von Funktionen vor, die ein
       Schulneubau erfüllen muss, sowohl für das Gebäude als auch für Flächen
       unter freiem Himmel – Pausenhof, Rückzugsorte und wenn möglich auch ein
       Schulgarten. Das braucht Platz, und so entsteht die abstruse Situation,
       dass zwei Bildungsorte in Konkurrenz geraten könnten.
       
       Die Gartenarbeitsschule in der Seestraße gibt es seit über 60 Jahren. Sie
       ist eine von 14 in Berlin, die erste wurde 1920 in Neukölln gegründet.
       Diese aus der Reformpädagogik entstandenen Lernorte sollen es Berliner
       Schul- und Kita-Kindern ermöglichen, Umweltbildung ganz konkret zu erleben:
       beim Gemüseanbau auf eigenen Beeten, bei der Ernte und dem Verarbeiten von
       Selbstangebautem und auch beim Beobachten der Natur, die sie umgibt. Nur
       rund 35 Prozent der Berliner Schulen haben derzeit einen eigenen
       Schulgarten. Die anderen können stattdessen die Angebote der
       Gartenarbeitsschulen nutzen.
       
       Mit der letzten Änderung des Berliner Schulgesetzes 2016 wurden die
       Gartenarbeitsschulen darin als „außerschulische Lernorte“ verankert. Die
       Nachfrage von Schulen und Kindergärten steigt beständig – auch aufgrund der
       Vorgaben für Umweltbildung im Rahmenlehrplan. Das SUZ Mitte bräuchte daher
       eher mehr als weniger Platz. Nun muss es jedoch darum bangen, wie viel
       Fläche die Gartenarbeitsschule an den Schulneubau abgeben muss.
       
       Über die konkreten Baupläne wird noch diskutiert, denn bislang ist erst
       theoretisch geklärt, wie die neue Grundschule aussehen soll. Der Senat hat
       sich auf zwei verschiedene Prototypen geeinigt – einen für eine drei- und
       einen für eine vierzügige Grundschule. Diese Prototypen sollen an mehreren
       Standorten – individuell angepasst – gebaut werden, also auch auf dem
       Grundstück in der Seestraße, wo die Gartenarbeitsschule Wedding ihren
       Standort hat. Das Bauvorhaben trägt zwar den Namen der Adresse des noch
       stehenden Hauses der Gesundheit „Reinickendorfer Straße 60“. Doch alles
       deutet darauf hin, dass der Schulneubau mehr Fläche in Anspruch nehmen
       wird.
       
       ## Online-Petition gestartet
       
       Besonders in Gefahr sind die Schul- und Kita-Beete der benachbarten
       Gartenarbeitsschule, die Wiesen, auf denen seit Jahrzehnten Obstbäume
       wachsen, und die Imkerei, denn sie grenzen direkt an die Neubauflächen.
       „Sie sind dabei, einen folgenschweren Fehler zu begehen – auf dem Rücken
       von rund 10.000 Kita- und Schulkindern. Sie wollen 15 Kitas und 20 Schulen
       im Bezirk einen wichtigen Lernort entziehen“, heißt es deshalb in einer
       Online-Petition, die sich an den Bezirk Mitte und das Land Berlin richtet.
       Initiiert hat die Petition Stephan Knorre, beim Deutschen Kinderschutzbund
       Berlin zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit. Sein Arbeitgeber ist Träger
       einer Kita, deren Kinder Beete in der Seestraße betreuen und auch die
       anderen Bildungsangebote nutzen.
       
       Marie Mösinger backt gerade Plätzchen mit einer Kindergruppe, als sie von
       den Bauplänen erzählt, die im SUZ derzeit alle stark beschäftigen. Mösinger
       ist eigentlich Ärztin im Bundeswehrkrankenhaus, aber seit sie vor Jahren
       hier ihr Freiwilliges Ökologisches Jahr absolvierte, verbringt sie viel
       freie Zeit in der Gartenarbeitsschule. „Hierher kommen viele Kitas mit
       Kindern, die integrativ betreut werden, und auch Grundschulen schicken die
       Klassen mit Schülern hierher, die besser lernen, wenn sie praktische
       Arbeiten übernehmen können. Jeder Zentimeter Fläche wird hier genutzt“,
       berichtet die Ärztin, die sich darüber beschwert, dass der Bezirk derart
       bewährte Einrichtungen zu wenig beachte, wenn es darum gehe, neue
       prestigeträchtige Projekte auf den Weg zu bringen.
       
       Auch Stephan Knorre befürchtet, dass es nur ein erster Schritt sein könnte,
       wenn die Gartenarbeitsschule für den Schulneubau tatsächlich Flächen
       abgeben muss. „Berlin braucht Schulen, aber hier werden zwei wichtige
       Bildungsangebote gegeneinander ausgespielt“, sagt er. Nach seiner
       Wahrnehmung hat das SUZ in der Planung des Bezirks zu wenig
       Mitspracherecht. Auch darauf möchte er mit der Petition hinweisen.
       
       Für den Bezirk Mitte ist das Schulbauvorhaben auf dem Grundstück des
       maroden Hauses der Gesundheit sozusagen ein Glücksfall, denn so einfach ist
       es in der Berliner Innenstadt nicht, an Bauflächen in ausreichender Größe
       zu kommen, „auf denen man die Vorgaben des Musterraumprogramms größtenteils
       erfüllen kann“, erklärt Carsten Spallek (CDU), Bildungsstadtrat von Mitte.
       Die frei werdende Fläche gemeinsam mit einem Teil des SUZ-Geländes könnte
       für eine neue Grundschule prima passen. Der neue Grundschulprototyp kann
       als modulares System an den jeweiligen Standort angepasst werden.
       
       ## „Kompromisse finden“
       
       „Wir werden Kompromisse finden müssen. Vielleicht kann man ja auf einen
       Schulgarten verzichten, wenn man eine Gartenarbeitsschule als Nachbarn
       hat“, gibt der Bezirksstadtrat als Beispiel vor. Spallek zufolge wird die
       Gartenarbeitsschule ausreichend berücksichtigt werden. Sein Kollege Ephraim
       Gothe (SPD), Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung, bestätigt allerdings
       schriftlich, dass es flächenmäßig Überschneidungen mit dem SUZ-Gelände
       durch die nötige Umsetzung der Musterraumprogrammpunkte „Gymnastikwiese“,
       „Schulgarten“ und „Pausenfläche“ geben wird.
       
       Konkreter sind die Pläne noch nicht, und so möchten sich auch die Grünen
       noch nicht darauf festlegen, dass die Gartenarbeitsschule tatsächlich
       verkleinert werden muss. Andreas Otto, der baupolitische Sprecher der
       Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus, sieht zwar, dass bei der Planung neuer
       Grundschulen oft das Drumherum vergessen und nur an die Gebäude selbst
       gedacht werde. „Im konkreten Fall ist aber noch nichts abschließend
       beschlossen und man kann ja auch mal etwas umdenken und höher statt breiter
       bauen oder einen Garten aufs Dach verlegen“, schlägt er vor. Doch auch das
       wäre für die Gartenarbeitsschule ein Problem – vor allem für den alten
       Baumbestand. Denn ein Nachbarhaus mit vielen Stockwerken würde dem
       Grundstück und allem, was dort wächst, die Sonne nehmen.
       
       7 Jan 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jana Tashina Wörrle
       
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