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       # taz.de -- Aufklärungsarbeit im Fall Oury Jalloh: „Offen, ob es Beteiligung Dritter gab“
       
       > Vor 14 Jahren starb Oury Jalloh in seiner Zelle. Die Akten sind
       > geschlossen, doch es gibt viele Fragen, sagt Eddie Bruce-Jones von der
       > privaten Untersuchungskommission.
       
   IMG Bild: Feuerzeuge aus Protest gegen die These, Oury Jalloh habe sich selbst angezündet
       
       taz: Herr Bruce-Jones, am Montag vor 14 Jahren verbrannte der Sierra-Leoner
       Oury Jalloh im Dessauer Polizeigewahrsam. Die Generalstaatsanwaltschaft
       Naumburg hat vor Kurzem entschieden: [1][Die Akte bleibt geschlossen.] Hat
       Sie das überrascht? 
       
       Eddie Bruce-Jones: Ja, das hat es. Die Justiz hat dies in einem langen
       Bericht begründet, über 218 Seiten. Doch beim Durchlesen konnte ich keine
       zusammenhängende, realistische Darstellung der Ereignisse sehen, die zu
       Jallohs Tod führten.
       
       Die Kommission, die von der [2][Initiative Gedenken an Oury Jalloh]
       eingesetzt wurde, befasst sich weiter mit dem Fall. Wie arbeiten Sie? 
       
       Die Kommission besteht aus elf Mitgliedern – JuristInnen,
       WissenschaftlerInnen und AktivistInnen – aus Italien, Frankreich,
       Großbritannien, den USA, Österreich und Senegal sowie Deutschland. Unsere
       Kommunikation läuft in der Regel elektronisch, für wichtige Anlässe kommen
       wir aber auch persönlich zusammen. Alle arbeiten ehrenamtlich.
       
       Was hoffen Sie herauszufinden? 
       
       Offen ist vor allem, ob es eine Beteiligung Dritter gab, ob
       Brandbeschleuniger verwendet wurde und ob die ersten Ermittlungen der
       Behörden ordnungsgemäß durchgeführt wurden. Diese und andere Fragen wurden
       während der beiden Prozesse nicht gestellt. Die Staatsanwaltschaft
       ermittelte zunächst nur mit Blick auf mögliche Fahrlässigkeit der
       Polizisten. Doch die Anwälte der Familie haben sehr überzeugende Zweifel an
       dieser Theorie geäußert, und auch der leitende Oberstaatsanwalt Folker
       Bittmann stellte im April 2017 fest, dass es möglich sei, dass Polizisten
       Oury Jalloh verbrannt haben. Damit muss man sich befassen. Stattdessen
       wurde Bittmann der Fall weggenommen und weitere Ermittlungen wurden
       abgelehnt.
       
       Was haben Sie bislang konkret getan? 
       
       Wir haben uns unter anderem mit Familienangehörigen von Oury Jalloh und
       einem Vertreter der Bundesanwaltschaft getroffen. Wir werten Dokumente aus,
       die uns von Aktivisten zur Verfügung gestellt werden, etwa medizinische
       Berichte und nicht-vertrauliche Aktenteile aus den Gerichtsverfahren. Ziel
       ist, die rechtlichen, sozialen, historischen und politischen Aspekte des
       Falles zu beleuchten, um Wege zur Verbesserung der Menschenrechtssituation
       für die deutsche Gesellschaft zu finden.
       
       Wie sind Sie zu der Kommission gekommen? 
       
       Heute arbeite ich als Professor für Recht und Anthropologie in
       Großbritannien. Als Oury Jalloh starb, promovierte ich in europäischer
       Ethnologie in Deutschland und lebte in Berlin. Den zweiten Prozess in
       Magdeburg habe ich als Beobachter verfolgt. 2016 veröffentlichte ich ein
       Buch namens „Race in the Shadow of Law“. Darin analysiere ich die Rolle des
       zivilgesellschaftlichen Aktivismus bei der Untersuchung solcher
       Justizfälle.
       
       Die Generalstaatsanwaltschaft hat bei der Einstellung des Verfahrens unter
       anderem erklärt, der Vorwurf, es gebe institutionellen Rassismus, sei „aus
       der Luft gegriffen“. Was sagen Sie dazu? 
       
       Für mich steht Oury Jalloh in einer Reihe mit anderen Fällen, in denen
       meist Nicht-Weiße oder Menschen mit sogenanntem Migrationshintergrund
       Gewalt durch die Polizei erleiden oder von ihr getötet werden. Der Kontext
       dabei ist stets institutioneller und struktureller Rassismus und der
       historische Kolonialismus.
       
       Die Initiative Gedenken an Oury Jalloh hat den Generalbundesanwalt scharf
       dafür kritisiert, das Verfahren nicht an sich gezogen zu haben. Die
       Kommission hat einen Vertreter der obersten Anklagebehörde getroffen. Wie
       ist das verlaufen? 
       
       Das Treffen war im März 2018 in Berlin. Der Vertreter hat uns dabei noch
       einmal erklärt, dass aus seiner Sicht die Kriterien des
       Gerichtsverfassungsgesetzes für die Übernahme einer Untersuchung durch den
       Bundesanwalt nicht erfüllt waren.
       
       Konnten Sie das nachvollziehen? 
       
       In dieser Frage sind möglicherweise verschiedene Interpretationen des
       Gerichtsverfassungsgesetzes möglich.
       
       Wird es ein Klageerzwingungsverfahren geben? 
       
       Ja. Die Anwältin Gabriele Heinecke hat am 4. Januar 2019 einen Antrag auf
       Klageerzwingung beim Oberlandesgericht in Naumburg eingereicht. Eine Klage
       beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte kommt ebenfalls in Frage.
       Die kann aber erst erfolgen, wenn die Anwälte alle nationalen Rechtsbehelfe
       ausgeschöpft haben.
       
       Auch der Landtag von Sachsen-Anhalt hat zwei sogenannte Berater eingesetzt,
       die den Fall untersuchen sollen. Was erwarten Sie von denen? 
       
       Nach meinem Verständnis haben die Sonderermittler im Landtag von
       Sachsen-Anhalt ihre Arbeit noch nicht aufgenommen, weil das
       Gerichtsverfahren noch nicht abgeschlossen ist. Das kann noch eine Weile
       dauern – möglicherweise Jahre.
       
       7 Jan 2019
       
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