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       # taz.de -- Nachrichtenformat für Instagram: Ein Gruß aus der Küche
       
       > Mit der „News-WG“ hat der BR ein Nachrichtenformat für Instagram
       > entwickelt. Es ist schnell, dialogisch und da, wo die Zielgruppe ist.
       
   IMG Bild: Erklären den Brexit bei der Teatime: Sophie von der Tann (l.) und Helene Reiner
       
       München taz | Helene Reiner sitzt mit ihrem Laptop am WG-Esstisch und
       scrollt. „Zahlen, Zahlen, Zahlen“, murmelt sie, scrollt immer weiter und
       schüttelt den Kopf. Die 28 Jahre alte Journalistin filmt sich selbst, wie
       sie Hunderte Seiten Haushaltsentwurf der Bundesregierung überfliegt. Ihre
       FollowerInnen sollen sie bei der Recherche beobachten können. Und Reiner
       vermittelt den Eindruck, noch nicht wirklich zu kapieren, was es mit diesem
       Bundeshaushalt auf sich hat.
       
       In den folgenden jeweils 15-sekündigen Clips präsentiert sie, was sie sich
       zu dem Thema im Laufe des Tages draufgeschafft hat: wie der
       Haushaltsentwurf zusammengesetzt ist, was die Opposition daran zu meckern
       hat und wie man 356 Milliarden Euro sonst noch ausgeben könnte. Die Clips
       landen als Storys auf Instagram, wo die Haushaltsdebatte in Konkurrenz
       tritt zu InfluencerInnen, die Produkte promoten, und Aufnahmen von
       Rucksackreisen alter Schulfreunde.
       
       Helene Reiner ist Teil der [1][News-WG], einem Nachrichtenformat auf
       Instagram, das sie während ihres Redaktionsvolontariats beim Bayerischen
       Rundfunk mit ihren Kolleginnen Sophie von der Tann und Ann-Kathrin Wetter
       entwickelt hat. „Wir hatten die Aufgabe, ein digitales News-Format für
       junge Leute zu erfinden“, sagt Helene Reiner.
       
       Ganz analog fragten sie ihre Zielgruppe in der Münchner Innenstadt, wie und
       wo man sie heutzutage erreicht und welche Probleme Jugendliche mit
       traditionellen Nachrichtenformaten haben. Das Ergebnis: „Die meisten haben
       zwar das Bedürfnis, sich über Tagesaktuelles zu informieren, glauben aber,
       inhaltlich nicht mitzukommen, oder sind mit der Flut an Informationen im
       Netz überfordert“, sagt Ann-Kathrin Wetter.
       
       ## 84 Prozent der Jugendlichen sind bei Instagram aktiv
       
       Die Volontärinnen entschieden, ihr Publikum da abzuholen, wo es sich
       sowieso aufhält: Instagram ist in Deutschland Plattform der Teenager. Laut
       dem [2][Social-Media-Atlas 2017/2018] nutzen etwa 84 Prozent der 14- bis
       19-Jährigen das Netzwerk aktiv. „Wir wollten uns mit dem Format zwischen
       die Sukkulenten und die Lockenstäbe einfügen, ohne aufzufallen“, sagt
       Reiner. Ein ambitioniertes Vorhaben, denn Instagram ist eher eine Plattform
       für die ästhetische Inszenierung des eigenen Lebens als für Politik und
       gesellschaftliche Debatte.
       
       Wie also UserInnen gewinnen? Mit einer Mischung aus
       Nachrichtenjournalismus, der wenig voraussetzt, und ein bisschen
       influencen. Denn das News-WG-Team, das mittlerweile aus insgesamt fünf
       Personen besteht, produziert sein Format aus einer vom BR gestellten
       Wohngemeinschaft heraus und verknüpft Polit-News mit dem Alltag der jungen
       Frauen. Reiner und von der Tann diskutieren den Brexit bei der Teatime auf
       dem Sofa, livestreamen eine Party zur bayerischen Landtagswahl, erklären
       die Schufa an der eigenen Auskunft und die AfD-Spendenaffäre am WG-Konto.
       Inhalte aus der hübsch eingerichteten Wohnung heraus zu posten, passt zum
       selbstdarstellerischen Instagram und macht die drei nahbarer.
       
       Da die Frauen versuchen, News auf Augenhöhe zu machen, und selber zugeben,
       nicht jeden Sachverhalt gleich zu verstehen, seien die Hemmungen der
       ZuschauerInnen gering, sich mit Fragen direkt an den Kanal zu wenden. Von
       „Helene, wo hast du deinen Mantel her?“ bis „Könntet ihr noch mal das neue
       Polizeiaufgabengesetz erklären?“.
       
       ## NutzerInnen werden zu ProtagonistInnen der News
       
       Im Gegenzug lässt die News-WG keine Gelegenheit aus, die Community
       miteinzubeziehen. Spielerisch mit dem Abstimmungstool („Was glaubt ihr,
       gibt die Bundesregierung mehr für Soziales oder für Verteidigung aus?“)
       oder indem sie betroffene NutzerInnen zu einem Thema befragen: Marie, die
       eine Psychotherapie macht, erklärt dann zum Beispiel, was sie von Spahns
       neuen Plänen für psychisch Kranke hält.
       
       Seit September hat der Account über 15.000 FollowerInnen. „Wir haben uns so
       gefreut, als uns die ersten User außerhalb der üblichen Medien-Bubble
       abonniert haben“, sagt Reiner: Das Publikum sei divers, von SchülerInnen
       und StudentInnen über Fashion-Account-InhaberInnen bis zu Berufstätigen,
       die zum klassischen „Tagesschau“-Publikum gehören.
       
       Immer mehr Zeitungen, Magazine und Nachrichtensendungen in Deutschland
       bewerben ihre Inhalte inzwischen auch auf Instagram. Die News-WG ist
       allerdings das bisher einzige Format, das ausschließlich für die Plattform
       produziert. Die WG hatte schon einige JournalistInnen aus
       Social-Media-Redaktionen zu Gast. „Und alle sind sie überrascht, wie
       aufwändig das ist, was wir hier machen“, sagt Reiner, „es steckt wirklich
       mega viel Arbeit dahinter.“
       
       Da Sophie von der Tann mittlerweile im ARD-Hauptstadtstudio arbeitet und
       Ann-Kathrin Wetter als Redaktionsmitglied hinter den Kulissen tätig ist,
       zieht nun der 24-jährige Max Osenstätter mit Helene Reiner zusammen.
       Beworben hat er sich natürlich über Instagram.
       
       10 Jan 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.instagram.com/news_wg/?hl=de
   DIR [2] https://www.faktenkontor.de/corporate-social-media-blog-faktzweinull/soziale-medien-fuer-gross-und-klein/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Leonie Gubela
       
       ## TAGS
       
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