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       # taz.de -- Japanischer Musiker Haruomi Hosono: „Ich mache nur, was mir vorschwebt“
       
       > Der japanische Musiker Haruomi Hosono ist in seinem Land ein Star. Ein
       > Gespräch über Vogelzwitschern im Dschungel und elektronische
       > Klangerzeuger.
       
   IMG Bild: Der Musiker Haruomi Hosono ist bekannt für elektronische Musik, spielt aber auch gern akustisch
       
       taz: Haruomi Hosono, in Japan sind Sie ein Superstar. Auch im Rest der Welt
       kennt man Sie durch Ihr Mitwirken beim Yellow Magic Orchestra (YMO).
       Dennoch haben Sie erst vor Kurzem Ihr erstes Konzert außerhalb Ihrer Heimat
       gespielt, als Sie in London Ihr aktuelles Programm live gespielt haben. Wie
       haben Sie das empfunden? 
       
       Haruomi Hosono: Vor diesem Auftritt war ich doch etwas aufgeregt, wie das
       Publikum mich und meine aktuelle Musik aufnehmen würde. Meine alten Songs
       kennen vielleicht noch ein paar Leute. Aber mein aktuelles Set ist eher
       akustisch geprägt. Dann merkte ich aber schnell, dass die Zuschauer ähnlich
       positiv wie in Tokio auf die neuen Songs reagieren. Mir kam es beinah so
       vor, als wäre ich zu Hause. Eigentlich bin ich sehr schüchtern. Als unsere
       Musik mit YMO in den Siebzigern und Achtzigern in den Charts landete, war
       das für mich eine schlimme Zeit. Am liebsten hätte ich mich verkrochen,
       aber ich war nun zu berühmt, um unerkannt in der Öffentlichkeit zu bleiben.
       Aber jetzt, nach diesem Konzert in London, bin ich entspannt und kann mir
       gut vorstellen, auch einmal in kleinen Clubs in Los Angeles, New York oder
       Berlin zu spielen.
       
       Hat es Sie überrascht, dass eine US-Plattenfirma jetzt Ihre alten Soloalben
       erneut veröffentlicht, die im Original in Japan vor mehr als 40 Jahren
       herauskamen? 
       
       Vor zwei, drei Jahren bemerkte ich, dass meine Musik in verschiedenen Ecken
       der Welt plötzlich wiederauflebt. Mich verblüfft dieses Interesse. Ich
       dachte, ich werde veräppelt, als ich hörte, dass das Label Light in the
       Attic gleich mehrere Alben von mir wieder veröffentlicht, nicht nur eins,
       sondern fünf Werke, ein Querschnitt meiner Karriere.
       
       In Japan werden Sie Sensei genannt. Sie gelten also als ein hochverehrter
       Meister, der einen Weg vorlebt und seinen Schülern etwas vermittelt. Was
       genau definieren Sie als Ihre Aufgabe?
       
       Ich habe nie bewusst versucht, Vorreiter einer Musik zu sein, sondern
       verfolgte immer nur das, worauf ich gerade Lust hatte. Über die Jahre
       interessierte ich mich für unterschiedliche Kulturen und deren Musik,
       woraus ich dann meinen eigenen Stil entwickelte. Das erzähle ich auch
       meinen SchülerInnen. Sie sollen versuchen, so wie ich es tun konnte, immer
       freie Hand in ihrer Kunst zu bekommen, damit sie genau die Musik machen
       können, die ihnen vorschwebt.
       
       Auf dem Album „Paraiso“ (1978) haben Sie erstmals mit Ryuichi Sakamoto und
       Yukihiro Takahashi zusammen gespielt, woraus dann das Yellow Magic
       Orchestra entstand. Wie erinnern Sie die Arbeit im Studio? 
       
       Unser Zusammenspiel zündete sofort, wir spürten, dass unsere Chemie zu
       einem befriedigenden Ergebnis führt. Sakamoto brachte zum Beispiel eine
       Rhythmusbox mit, die wir in einigen Stücken mit Kinderinstrumenten
       verknüpften. Das klang dann plötzlich bei „Shambhala Signal“ wie ein
       balinesisches Gamelan-Metallophon. So entstanden viele Klänge des Albums
       eher spielerisch und nebenher. Sounds auch mal nach dem Zufallsprinzip zu
       erzeugen, ist etwas, das mir heute noch sehr gefällt.
       
       In den siebziger Jahren begeisterten Sie sich für die „Exotica“ genannte
       Loungemusik des damals völlig unbekannten US-Komponisten Martin Denny und
       brachten dessen Konzept der spielerischen Aneignung von Folk-Musik mit
       neuem elektronischem Equipment in Ihre eigene Form. 
       
       Als Kind habe ich die Songs von Martin Denny oft im japanischen Radio
       gehört. Seine Musik war für mich ein wahrer tropischer Dschungeltrip, in
       dem Vögel zwitschern und allerlei unbekannte Perkussionsklänge zu hören
       sind. Mein Lieblingsstück hieß „Quiet Village“. Seine Musik blieb unbewusst
       in mir und so um 1975, als ich mit einem neuen Soloalbum beschäftigt war,
       erinnerte ich mich wieder daran. Aber ich konnte sein Album in Tokio
       nirgendwo finden. Also bat ich einen Sammler, sie mir auf eine Kassette zu
       kopieren. Ab dann hörte ich täglich Martin Denny und seinen Kollegen Arthur
       Lyman; beide US-Komponisten, und sie lebten auf Hawaii. Ihre
       Vorstellungswelt von Hawaii und „Exotica“ eignete ich mir umgekehrt wieder
       an und stellte mir dabei Okinawa vor, die eine japanische Inselwelt ist,
       die von der Vegetation her mit Hawaii vergleichbar ist. Ich fand diese
       umgekehrte Spiegelung von mir als Asiaten auf US-Künstler, die Fernost
       imaginieren, reizvoll.
       
       Im Jahr 1978 erschien Ihr erstes komplett elektronisches Soloalbum „Cochin
       Moon“. Dafür arbeiteten Sie mit dem renommierten Künstler Tadanori Yokoo
       zusammen, mit dem Sie zuvor eine gemeinsame Reise durch Indien unternommen
       hatten. 
       
       Wir wollten so etwas wie einen Soundtrack zu einem fiktiven Bollywood-Film
       schaffen. Einige Zeit vorher hatte unser Kollege Isao Tomita sein Album
       „Clair de lune“ veröffentlicht, eine elektronische Interpretation von
       Debussys Musik. Als ich das zum ersten Mal hörte, war ich völlig geflasht.
       Die Musik wurde vom Computer gesteuert, aber die Artikulationen waren so
       reich. Also setzte ich mich mit Hideki Matsutake in Verbindung, der den
       Synthesizer auf Tomitas Album programmiert hatte. Ich bat ihn, mit mir am
       Album „Cochin Moon“ zu arbeiten. Hideki, wenn du das liest, ohne dich wäre
       mein Sound nichts! Denn damals war ich noch ein blutiger Anfänger in der
       Arbeit mit elektronischem Equipment. Hideki hatte all diese riesigen
       Synthesizer, Moogs und Arps, damals sündhaft teuer übrigens. Er war bei der
       Klangmanipulation so schnell, als säße er an einer Supermarktkasse. Also
       brachte die Zusammenarbeit, die bis in die Anfangszeit mit YMO anhielt, uns
       beiden Vorteile.
       
       Auf Ihrem Album „Philharmony“ nahmen Sie bereits 1982 die seinerzeit
       rudimentäre Technologie des Samplings vorweg, durchaus aus einer
       avantgardistischen Position heraus. 
       
       Die achtziger Jahre habe ich als Zeit des großen Umbruchs beim Musikmachen
       in Erinnerung behalten. Vom Analogen ging es allmählich hin zum Digitalen.
       Elektronische Klangerzeuger entwickelten sich ab dann in kürzeren
       Abständen weiter, was bald enormen Einfluss auf die Produktionen nahm.
       Während ich an „Philharmony“ arbeitete, kam der Sampler Emulator heraus,
       ich legte mir einen zu, der hatte die Seriennummer 060. Das erste Gerät
       bekam übrigens Stevie Wonder! Sampling wurde damals zu einem wichtigen
       Konzept, also beschloss ich, ein ganzes Album damit aufzunehmen. Außerdem
       hört man hier den Sequenzer MC-4. Damit konnte ich Länge, Lautstärke und
       Tonhöhe der Sounds leichter programmieren. So lernte ich, wie man Sounds
       analysiert und zusammensetzt. Dieser Prozess verlief für mich spielerisch,
       und bevor ich mir darüber richtig klar werden konnte, hatte ich das Album
       fertiggestellt. Ich habe aber dafür ein paar Wochen fast nur im Studio
       verbracht und dort sogar auf dem Fußboden geschlafen.
       
       Ihr Album „Omni Sightseeing“ (1989) ist das Werk, das die
       abwechslungsreichste Zusammenfassung Ihrer vielen musikalischen Interessen
       bietet. 
       
       Dankeschön! Für mich war das Konzept von „Omni Sightseeing“ damals eine Art
       Metapher für Musiker, die sich durch verschiedene Genres ausdrücken,
       ähnlich wie ein Tourist, der einen Kontinent bereist und in verschiedene
       Kulturen eintaucht. Damit variierte ich eine Idee des US-Trompeters Jon
       Hassell. Seine Theorie besagt, dass Musik in einer experimentellen
       Mischform aus Elementen unterschiedlicher Herkunft etwas Neues ergibt. Ich
       nahm algerische Rai-Musik, Exotica, Ambient, Jazz und Acid-House, und die
       einzelnen Bestandteil ergeben in der Summe etwas Neues, verspieltes
       anderes.
       
       6 Jan 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Olaf Maikopf
       
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