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       # taz.de -- Warschauer Ghetto-Kämpfer gestorben: „Ich sah die Deutschen flüchten!“
       
       > Simcha „Kazik“ Rotem führte als Kurier die wenigen Überlebenden aus dem
       > brennenden Warschauer Ghetto. Er wurde 94 Jahre alt.
       
   IMG Bild: Simcha Rotem (Mitte links) beim 70. Jahrestag des Warschauer Aufstands
       
       Am Ende krochen sie durch einen Abwasserkanal. Simcha „Kazik“ Rotem, der
       junge Kurier, hatte die Führung übernommen. Nur rund 100 Meter von einem
       deutschen Posten entfernt, kam die Gruppe von 40 Juden aus dem Untergrund
       an die Oberfläche. Es war der 10. Mai 1943. Der Warschauer-Ghetto-Aufstand
       war von den Nazis niedergeschlagen worden, die letzten Überlebenden
       verließen das brennende Ghetto.
       
       An der Straße wartete ein Lastwagen, am Steuer saß ein Bekannter von Simcha
       Rotem, der mit Spitznamen „Kazik“ genannt wurde. Die Gruppe wurde
       aufgenommen, und der Lkw fuhr aus Warschau heraus, in die Wälder, dort wo
       Guerillagruppen sich verstecken. Die Kämpfer sind noch am Leben, aber sie
       haben noch nicht überlebt. Rotem wird danach weiter im Untergrund arbeiten
       und Juden vor dem Zugriff der SS retten.
       
       Am vergangenen Samstag ist Simcha „Kazik“ Rotem in Jerusalem verstorben. Er
       wurde 94 Jahre alt. Rotem war einer der letzten noch lebenden Kämpfer im
       Ghetto-Aufstand, und er hat sein Leben lang von seinem Widerstand gegen den
       Massenmord berichtet. Bei der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem
       engagierte er sich in einem Komitee, das die Menschen auswählte, die als
       „Gerechte unter den Völkern“ geehrt werden, weil sie als Nicht-Juden in der
       NS-Zeit Juden das Leben gerettet haben.
       
       Der Überlebende Simcha „Kazik“ Rotem war in Israel, wohin er noch zu
       britischen Mandatszeiten eingewandert war, eine unbestrittene Autorität der
       Geschichte. Am Sonntag fanden in israelischen Schulen Gedenkveranstaltungen
       für ihn statt. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und Staatspräsident
       Reuven Rivlin würdigten Rotem. „Seine Geschichte und die Geschichte des
       Aufstands werden unser Volk für immer begleiten“, schrieb Netanjahu.
       
       ## Jüdischer Widerstand
       
       Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde lange kolportiert, die Juden hätten sich
       „wie die Schafe zur Schlachtbank“ führen lassen. Der vielfältige
       Widerstand, aber auch die immensen Schwierigkeiten, überhaupt etwas gegen
       die SS unternehmen zu können, blieb lange unterschätzt. Der Warschauer
       Aufstand aber gilt als wichtigstes Ereignis dieses jüdischen Widerstands,
       das beweist, mit welchem Todesmut Menschen sich zu wehren verstanden.
       
       Fast einen Monat lang, vom 19. April bis zum 16. Mai 1943, dauerte die
       Rebellion in dem mit Stacheldraht abgeschlossenen Warschauer Ghetto, aus
       dem zuvor schon Zehntausende Menschen in das Vernichtungslager Treblinka
       deportiert und dort ermordet worden waren. Mehr als eine halbe Millionen
       Menschen waren zeitweise in dem Ghetto eingepfercht, ohne ausreichende
       Nahrung und medizinische Versorgung, immer bedroht von neuen Deportationen.
       Als der Aufstand ausbrach, waren nur noch rund 50.000 Juden übrig, die
       ebenfalls deportiert werden sollten.
       
       „Auf den Sieg haben wir nie gehofft“, hat Simcha Rotem einmal gesagt. „Es
       ging uns nicht um den ‚ehrenhaften Tod‘, wie viele denken. Wir wollten nur
       die Art des Todes wählen – eine leichtere als die in der Gaskammer.“
       
       Die Nazis waren anfangs von dem Aufstand völlig überrascht. Sie hatten
       nicht damit gerechnet, dass diese Menschen, unzureichend bewaffnet und
       körperlich stark unterernährt, so etwas wagen würden. „Ich habe zum ersten
       Mal gesehen, wie Deutsche vor Juden flüchteten!“, [1][erinnerte sich Simcha
       Rotem an den Beginn der Revolte].
       
       ## Er wanderte 1947 nach Israel ein
       
       Rotem wurde 1924 in einer säkularen Familie in Warschau geboren. Schon als
       Jugendlicher schloss er sich der zionistischen Bewegung an, die für einen
       jüdischen Staat in Palästina eintrat. 1942 trat Simcha „Kazik“ Rotem der
       Jüdischen Kampforganisation ZOB bei und arbeitete während des Aufstands als
       Kurier. Nach der Niederschlagung des Aufstands bestand seine Aufgabe darin,
       die wenigen Überlebenden aus dem Ghetto zu schmuggeln.
       
       Nach der Befreiung schloss sich Rotem der Brichah-Bewegung an, die Juden zu
       Tausenden aus Europa in das damals britische Palästina brachten. Er selbst
       wanderte 1947 in das Land ein und kämpfte im folgenden Jahr im
       Unabhängigkeitskrieg Israels.
       
       Nach seinem Tod ist nur noch eine einzige Person bekannt, die sich am
       Warschauer Ghetto-Aufstand beteiligte. Die heute 89-Jährige Aliza
       Vitis-Shomron hatte als junges Mädchen Flugblätter für die Revolte
       verteilt.
       
       26 Dec 2018
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.juedische-allgemeine.de/juedische-welt/der-letzte-kaempfer/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Klaus Hillenbrand
       
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