# taz.de -- Kolumne So nicht: Der Feind schreibt mit
> Was nützt uns die Pressefreiheit, wenn wir sie nicht nutzen? Die
> Freiheit, rechtes Agendasetting zu ignorieren, sollten wir uns nehmen.
IMG Bild: Ignorieren ist nicht immer ungefährlich. Manchmal aber doch der bessere Rat
Ein Jahr lang wurde ich ständig gefragt, ob es nicht besser wäre, die
Klappe zu halten, weil man mit dem vielen Lärm um den inhaftierten
Journalisten Deniz Yücel den türkischen Präsidenten doch nur noch mehr
verärgern würde.
Stets lautete meine Antwort so wie die Antwort der Initiative #FreeDeniz,
die den Lärm vor allem in Form der Organisation kollektiven Hupens
verantwortete: Wir lassen uns von einem Diktator nicht den Mund und schon
gar nicht das Hupen verbieten. Wenn wir zu dem Unrecht schweigen, hat
Erdoğan erreicht, was er mit der Inhaftierung unschuldiger Journalisten
erreichen will: Abschreckung, Einschüchterung, Sieg.
Es gab in diesem Jahr eine überwältigend große Anteilnahme. Es gab aber
auch Kollegen und Kolleginnen, die nicht auf den Demos für die Freilassung
von Deniz teilnahmen mit dem Argument: Man sei Journalist, kein „Aktivist“.
Warum aber sollte ein Bauarbeiter oder eine Lkw-Fahrerin für Pressefreiheit
demonstrieren, wenn es Journalisten nicht tun?
Nütz es oder schadet es?
In diesen Tagen muss ich immer wieder an diese verstörenden Fragen und
Haltungen denken, wenn ich sehe, wie Kollegen und Kolleginnen darum ringen,
wie sie über Nazis, Rechte, AfD, Identitäre und andere berichten sollen.
Und manchmal denke ich dabei: Der Feind schreibt mit.
Mit dem Erstarken der AfD ist für Journalisten eine neue Frage
dazugekommen: Schadet das, was ich schreibe, den Rechten oder nutzt es
ihnen? Längst ist jeder Pups, den Rechtsradikale, Identitäre und AfD
lassen, eine Meldung wert.
Ich glaube, dass es richtig ist, sich diese Frage ständig zu stellen. Ich
glaube aber, dass die Anschlussfrage lauten muss: Wie sehr diktieren mir
die Rechten schon, was ich schreibe? Überall, wo Rechtsextreme stärker
werden, lässt sich nämlich eines beobachten: die Abgrenzung nach links.
Alles Provo
Weil man die eh nie mochte mit ihren nervigen Haltung, ständig alles in
Frage zu stellen, bastelt man sich die Linke zusammen, nennt sie
ideologisch, gewaltverherrlichend, aktivistisch, die komplexe Lage
versimplifizierend und glaubt, dass die Rechtsextremen durch die
Linksextremen nur noch rechtsextremer werden. Und ist sich irgendwann ganz
sicher: das Problem mit den Rechtsextremen hat sich erledigt, wenn die
Linken erledigt sind.
Kurt Tucholsky, dessen 129. Geburtstag in diesen Tagen gefeiert wird, war
von den Nazis die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen worden. In seinem
Lebenslauf zum Einbürgerungsantrag an die Schweden schrieb er: „Da die
öffentliche Meinung, wenn die Geschäfte nicht gut gehn, gern alles, was ihr
nicht paßt, als ‚bolschewistisch‘ ansieht, so wurde Tucholsky mitunter als
Kommunist bezeichnet. Das ist unrichtig: er war nach dem Kriege Mitglied
der unabhängigen sozialdemokratischen Partei, und nach deren Verschmelzung
mit der sozialdemokratischen Partei Mitglied der SPD. Andern Partein hat er
nicht angehört.“
Was nützt uns unsere Pressefreiheit, wenn wir sie nicht nutzen? Nehmen wir
uns die Freiheit und ignorieren rechte Provokation.
17 Jan 2019
## AUTOREN
DIR Doris Akrap
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