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       # taz.de -- Kinderschutz in Hamburg: Weichgespülte Expertise
       
       > Die Enquetekommission Kinderschutz legt Empfehlungen vor. Statt konkreter
       > Forderungen gibt es viele Prüfaufträge, etwa zur Regeldichte bei
       > Jugendämtern.
       
   IMG Bild: Die Tür zurück in die Familie dürfe nicht versperrt sein, so die Kommission
       
       Hamburg taz | Nach zwei Jahren Arbeit hat die Enquetekommission
       „Kinderschutz und Kinderrechte weiter stärken“ ihren Bericht mit insgesamt
       70 Empfehlungen vorgelegt. Es sei die „besondere Leistung“ dieser
       Kommission, wesentliche Fragen „einvernehmlich“ verabschiedet zu haben,
       sagte der Vorsitzende Christian Schrapper. Und der SPD-Obmann Uwe Lohmann
       lobte, die Kommission habe, „das Wissen rund um den Kinderschutz und
       Kinderrechte“ gestärkt.
       
       Einig sind sich alle darüber, dass die Kinderarmut bekämpft werden muss und
       die Kinderrechte ins Grundgesetz gehören. Der 700-Seiten-Bericht enthält
       umfangreiches Material, ein Fundus für die Jugendarbeit. Doch dem
       vorangestellten Empfehlungsteil sieht man an, wie heftig gerungen wurde.
       
       Eine wichtige Streitfrage war: Hat Hamburg in dem Bemühen, den Kinderschutz
       zu verbessern, zu viele Regeln und Vorschriften für Jugendamtsmitarbeiter
       erlassen, wie es Mitarbeiter des Allgemeinen Sozialen Dienstes (ASD) und
       linke Professoren kritisiert haben?
       
       In sehr diplomatischer Weise gibt die Kommission ihnen Recht. Nur sind die
       Formulierungen oft verschwommen. Eine „Folge der vielen Kompromisse“, wie
       die Linksfraktion schreibt, die noch ein eigenes Votum angefügt hat, wie
       FDP, CDU und AfD.
       
       ## Schäden durch staatliche Obhut nicht erforscht
       
       Ein Problem ist zum Beispiel, dass Kinder heute, wenn sie aus Familien
       genommen werden, zu lange in Kinderschutzhäusern verwahrt werden. Die
       Kommission, die aus acht Wissenschaftlern und neun Politikern bestand,
       schreibt in ihrem Bericht, obwohl es das System der Inobhutnahme seit
       Langem gibt, fehlten „systematische Erkenntnisse“ darüber, „ob und
       gegebenenfalls wie Sekundärschädigungen auftreten“. Sprich: zur Frage, ob
       die Kinder eben durch die lange staatliche Obhut einen Knacks kriegen.
       
       Auch seien Versuche, dies schonender zu machen, nicht ausgewertet worden.
       Und bei älteren Kindern könnten Inobhutnahmen ihrem Selbstbestimmungsrecht
       im Wege stehen. Kinder sollten besser an den Entscheidungen beteiligt
       werden. Die Kommission regt hierzu Forschung an. Der Linken dauert das zu
       lange. Man brauche konkrete Schritte, um die Verweildauer bei Inobhutnahmen
       zu senken.
       
       ## Strukturen der Jugendhilfe müssen auf den Prüfstand
       
       Ein politischer Zankapfel ist die 2011 von der SPD eingeführte
       „Jugendhilfeinspektion“, die nach Todesfällen von Kindern die
       Jugendamtsabläufe untersuchte. Die Landesarbeitsgemeinschaft ASD und die
       Linke fordern, sie abzuwickeln, weil sie missbraucht werde, um einzelne
       Mitarbeiter an den Pranger zu stellen. Im Endbericht findet sich diese
       Forderung nicht.
       
       Die Kommission empfiehlt aber, die strikte Trennung der Aufgaben in den
       Jugendämtern zu überprüfen. Seit einigen Jahren gibt es „Netzwerkmanager“,
       die für Kontakte im Viertel zuständig sind, und „Fallmanager“, die die
       Fälle betreuen. Das könne zu einer „fehlenden Kommunikation“ führen. Denn
       auch die Fallführer benötigten Zeit für „Präsenz im Sozialraum“, um
       Vertrauen zu den Familien zu schaffen. Das erfuhr die Kommission durch eine
       Online-Befragung aller ASD-Mitarbeiter. Diese Befragung sollte es künftig
       regelmäßig geben, sagte die Grünen-Abgeordnete Anna Gallina.
       
       ## Zu wenig Zeit, zu viele Regeln
       
       Die Enquetekommission empfiehlt zudem, „regelmäßig zu prüfen“ ob die
       vereinbarten Regelwerke sinnvoll sind. Dafür sollen auch Einschätzungen
       betroffener Kinder, Jugendlicher und Eltern einbezogen werden. Ein paar
       Eltern und Kinder durften das bereits in einer „Fallwerkstatt“ im Auftrag
       der Kommission proben.
       
       Kritisch sehen die Experten auch das seit 2012 unter großem Aufwand
       eingeführte Qualitätsmanagementsystem (QMS) für die Jugendämter. Zum einen
       würden die dort dargestellten Prozessverläufe „auch bei größter Bemühung
       unübersichtlich“. Zum anderen könnte ein solches Regelwerk Fachkräfte auch
       dazu verleiten, Regeln abzuarbeiten oder Zuständigkeiten bei anderen zu
       sehen, statt zu handeln. 
       
       Nicht gut weg kommt auch das 2012 eingeführte Computersystem „Jus IT“, das
       ASD-Mitarbeiter als zu unhandlich kritisieren. Hier gibt die Kommission
       aber noch eine Gnadenfrist und schreibt, man brauche eine „Verbesserung
       beziehungsweise Neuentwicklung eines Dokumentationssystems“. Eine
       Zeitschiene fehlt.
       
       ## Vertrauensbildende Maßnahmen
       
       Mit die konkretesten Hinweise gibt es zur Öffentlichkeitsarbeit:
       Journalisten sollen eingeladen werden, um die Arbeit der Jugendämter
       kennenzulernen. Einmal im Jahr soll „Tag des Jugendamtes“ sein, um die
       Bürger aufzuklären. Die Mitarbeiter bräuchten auch die Anerkennung der
       Zivilgesellschaft.
       
       Es sei auch künftig nicht garantiert, dass kein Kind mehr zu Schaden kommt,
       resümierte der Vorsitzende Schrapper. „Das wäre vermessen.“
       
       Um den Kinderschutz ist es ohnehin ruhig geworden. Die Linke hatte die
       Enquetekommission seit Jahren gefordert, auch damit die Opposition nicht
       mehr jeden Fall eines toten Kindes ausschlachtet, reflexhaft nach
       Schuldigen sucht. Sie habe den Eindruck, dass man nun eine Basis habe,
       sagte die Linke Sabine Boeddinghaus. Die 22 Sitzungen mit 132 Stunden
       hatten wohl auch den Charakter einer Fortbildung für die Abgeordneten.
       
       18 Jan 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Kaija Kutter
       
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