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       # taz.de -- Männerbünde in Bremen: Ein Meer aus Frack und Smoking
       
       > Beim Eiswettfest feiern jeweils am dritten Januarsamstag rund 800 Herren.
       > Frauen sind von der fast 200-jährigen Tradition bis heute ausgeschlossen.
       
   IMG Bild: Der „Eiswettenschneider“ und die „Heiligen Drei Könige“ stellen sich zur Eiswette auf
       
       Bremen taz | Carsten Meyer-Heder soll den Bann endlich brechen. Nach 73
       Jahren SPD-Vorherrschaft in Bremen will der IT-Unternehmer bei der
       Landtagswahl im kommenden Mai erster CDU-Regierungschef nach Kriegsende im
       kleinsten Bundesland werden.
       
       Die nötigen Stimmen, das weiß er, muss er auch außerhalb der konservativen
       Stammwählerschaft einsammeln. Er sei „nicht reich geboren“, erzählt der
       Schlips-Verweigerer im taz-Interview, er hat Zivildienst geleistet und war
       erfolgloser Rockmusiker. In seinem Blog grüßt er mit „Hallo Leute“ und
       informiert ganz unmackerhaft: „Ich hatte meinen ersten Auftritt live im
       Fernsehen und jede(r), der/die es gesehen hat, hat meinen Stress gemerkt.“
       Er kenne aber auch, beruhigt Meyer-Heder die traditionelle CDU-Klientel,
       „ein paar Leute der Bremer Gesellschaft über die Eiswette“.
       
       Beim Eiswettfest entern am dritten Januarsamstag rund 800 Herren in Frack
       oder Smoking zu Klängen aus Wagners Tannhäuser den Festsaal des Bremer
       Maritim-Hotels. An weiß gedeckten Tischen, die an diesem Abend Eisschollen
       heißen, wird den Eiswettgenossen und ihren Gästen reichlich Alkohol und
       üppiges Essen serviert, erwartet werden namhafte Spenden für die
       Seenotrettung. Lauthals gebrülltes Hepphepphurra und die launige Rede eines
       Perücke tragenden „Notarius Publicus“ über die fast 200-jährige Historie
       der Eiswette gehören zum ritualisierten Programm.
       
       Eiswettnovizen erscheinen „mit Kerzen in der Hand samt Kleckerschutz aus
       Bierdeckel oder Serviette, wie kleine Jungs“, erzählt ein mehrmaliger Gast.
       „Die Eiswettgenossen fühlen sich wichtig, sie wollen dazugehören.“
       Trinkfestigkeit ist erwünscht, auch wenn sie nicht zum Tugendkanon aus
       „Armut, Demut, Keuschheit und Gehorsamkeit“ gehört, auf den die Novizen
       verpflichtet werden.
       
       Die neu erworbene Mitgliedschaft ist gut fürs Ego und fürs Geschäft. Wer
       einen Radiologen braucht oder einen Rechtsanwalt, wird unter den Genossen
       fündig. Die sind stets füreinander da, in jeder Hinsicht.
       
       Nur eine Voraussetzung müssen die vom Präsidium Erwählten aufweisen:
       männliche Geschlechtsteile. Wenn der CDU-Bürgermeisteraspirant erklärt, mit
       der Eiswette habe er Zutritt zur Bremer Gesellschaft gewonnen, zeugt das
       zwar von einem bedenklich beschränkten Verständnis von Gesellschaft,
       andererseits illustriert es Bremer Realität: Die liberale, weltoffene
       Hansestadt ist voller Männerbünde.
       
       Beim Hamburger Matthiae-Mahl nahmen Frauen immer schon teil, der dortige
       Übersee-Club und der Düsseldorfer Industrie-Club haben Zugangssperren
       abgebaut, so wie andere Männerkontaktbörsen auch. In Bremen feiert der
       Männerklüngel weiterhin rauschende Feste, der Fortschritt ist eine
       Schnecke. Der Ostasiatische Verein immerhin nimmt nun weibliche Mitglieder
       auf, obwohl das die Chancen der Herren auf einen Platz beim jährlichen
       Curry-Essen mindert.
       
       ## Prestigeträchtige Herrensause
       
       Die Schaffermahlzeit als prestigeträchtigste Herrensause mit, laut
       Selbstwahrnehmung, deutschlandweiter Ausstrahlung, schien sich dem Ruf nach
       Gleichbehandlung ebenfalls nicht länger zu verschließen. Vor vier Jahren
       erweckte die einladende „Stiftung Haus Seefahrt“ den Eindruck, Frauen seien
       nunmehr als Gäste willkommen. Die örtliche Presse war begeistert („Frauen
       haben es geschafft“). Beim sechsgängigen Schaffermahl tafeln insgesamt 300
       Kaufmänner, Kapitäne und ihre Gäste in der prächtigen Oberen Rathaushalle
       unter historischen Schiffsmodellen.
       
       Tatsächlich hat die Stiftung getrickst. „Das Einladen weiblicher Gäste ist
       auf damaligem Beschluss der zuständigen Gremien auf den A-Tisch
       beschränkt“, erklärt Matthias Claussen, derzeit Vorsteher von Haus
       Seefahrt. Tisch A steht an der Stirnseite quer und ist recht kurz. 2018
       saßen dort drei Frauen unter 24 Männern, der übrige Saal ein Meer aus Frack
       und Smoking.
       
       Der Gaststatus ist ohnehin nur die zweitbeste Art, am Schaffermahl
       teilzunehmen. Schaffer sein ist besser. „Man redet immer über die
       Schaffermahlzeit“, schwärmte Schifffahrtskaufmann Ralph-Hillard Geuther,
       als er vor einigen Jahren als zweiter Schaffer das Mahl mitfinanzieren
       durfte, dessen Erlös Seemannswitwen und dem nautischen Nachwuchs zugute
       kommt.
       
       ## Klassischer Männerbund
       
       Fortan war Geuther Mitglied der Stiftung Haus Seefahrt, ein klassischer
       Männerbund mit Geheimniskrämereien und rigiden Regeln, wie sie bei allen
       archaischen Männergruppen von der Poro-Gesellschaft in Liberia bis zu den
       Ngaing auf Papua-Neuguinea üblich sind. Die Aufnahme von Frauen gilt in den
       Bünden, deren Entstehung als Ausdruck von Gebärneid interpretiert wird, als
       Tabubruch.
       
       Das Undenkbare könnte dennoch unausweichlich werden, wenn Ende Januar die
       Schiffbeschilderungsunternehmerin Janina Marahrens-Hashagen zur Präses der
       Bremer Handelskammer gewählt wird. Die Unternehmervereinigung gibt vor dem
       Schaffermahl einen Empfang im Schütting, anschließend müssen die Kaufmänner
       zum Prachtspachteln im Rathaus nur den Marktplatz überqueren.
       
       Früher blieben die weiblichen Mitglieder des Handelskammerparlaments dem
       Empfang im eigenen Haus fern. 2011 waren sie erstmals dabei, vollzählig.
       „Wir Frauen sollten Flagge zeigen, dass wir dazugehören“, erklärte
       Marahrens-Hashagen, damals Vizepräses. Acht Jahre später hat die
       Schaffermahlzeit ein Problem, wenn Bremens hochrangigste Unternehmerin vom
       höchsten Feiertag der Kaufleute ausgeschlossen bleibt.
       
       ## Weichgespülter Antrag
       
       Vorsteher Claussen sieht die Bredouille. Er könne sich Schafferinnen
       durchaus vorstellen, signalisiert der Asien-Kaufmann, wie andere vor ihm.
       Eine Veränderung, schiebt Claussen gleich nach, könne aber nicht mit einer
       knappen Brexit-Mehrheit beschlossen werden. Die Herren hätten es zudem
       nicht gern, „wenn sie unter dem Eindruck stehen, dass sie sich politischem
       Druck beugen müssen“.
       
       Hatte doch die Linke im bremischen Parlament 2013 einen Antrag eingebracht,
       wonach die Obere Rathaushalle nur noch für Veranstaltungen zur Verfügung
       gestellt werden darf, zu der Frauen und Männer gleichberechtigt Zugang
       haben. Ein weichgespülter Antrag von SPD und Grünen wurde verabschiedet.
       Als private Stiftung, sagt Claussen, seien sie nicht ans
       Diskriminierungsverbot von Artikel 3 Grundgesetz gebunden. Andererseits:
       „Wir sind ja keine Gynäkophoben.“ Und lacht.
       
       Einen ganz eigenen Begriff von Tradition pflegt das Bremer Tabak Collegium
       (BTC), das erst in den 1950er-Jahren von der Tabakindustrie ins Leben
       gerufen wurde. Drei Mal im Jahr trinken, rauchen und reden
       „Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens“ (BTC) auf Einladung der
       Gesellschaft mit beschränkter Haftung zu preußisch inspirierten und selbst
       ausgedachten Ritualen, aber ganz ohne wohltätige Ambition.
       
       ## Etwa drei Frauen in zehn Jahren
       
       AfD-Gründungsmitglied Konrad Adam war lange führend dabei, seit 2010 sitzt
       Karl-Heinz Paqué, Chef der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung, im
       Organsiationskomitee („Kleines Gremium“). CDU-Kandidat Meyer-Heder ließ
       sich kürzlich bewirten, der sozialdemokratische Wirtschaftssenator ist
       Stammgast.
       
       Etwa drei Frauen, genauere Angaben kann das BTC nicht machen, waren unter
       Hunderten Männern in den vergangenen zehn Jahren anwesend. Auf die Frage,
       wie das mit der tatsächlichen Geschlechterrelation bei den „bedeutenden
       Persönlichkeiten“ zusammen passe, mailt die Assistentin der
       Geschäftsführung: „Die Fakten sind bekannt, eine weitere Beantwortung Ihrer
       Frage erübrigt sich insofern.“
       
       Die Herren palavern in edlen Locations, auch mal in einem Schloss, dessen
       Eigentümer sich mit Königliche Hoheit anreden lässt. Finanziert wird das
       BTC, das stets sein eigenes Gestühl mitbringt, von Unternehmen, die sich
       gern als Förderer von Frauen und Vielfalt präsentieren, darunter KPMG und
       die Bremer Sparkasse. Das Dezembertreffen findet in der Oberen Rathaushalle
       statt, entgegen dem Bürgerschaftsbeschluss.
       
       ## „Tradition“ bei reichhaltiger Verpflegung
       
       Bürgermeister Carsten Sieling, einst Sprecher der SPD-Linken im Bundestag,
       erscheint zur fast frauenfreien Schaffermahlzeit ebenso wie zur Eiswette.
       In bemerkenswerter Aneignung einer Parole der 68er geht er „gerade als
       linker Sozialdemokrat rein in solche Institutionen, um sie aufzurütteln“.
       Im selben Atemzug greift Sieling die Sprachregelung der Männerbünde auf,
       wonach Frauen nicht ausgeschlossen, sondern nur „nicht eingeladen“ werden.
       
       Auch Sielings Politikerkollegen von Norbert Lammert bis Olaf Scholz
       schätzen „Tradition“ bei reichhaltiger Verpflegung sehr, statt
       Veranstaltungen fernzubleiben, die Frauen diskriminieren. Sachsens Michael
       Kretschmer (CDU), diesjähriger Ehrengast der Schaffermahlzeit, lässt
       mitteilen: „Der Ministerpräsident hat sich über die Einladung gefreut, es
       ist eine große Ehre.“ Bei Diskriminierungen, die nicht das Geschlecht
       betreffen, sind einige Herren dagegen durchaus sensibel. „Dr. Sieling würde
       selbstverständlich an keiner Veranstaltung teilnehmen, die Menschen anderer
       Hautfarbe oder mit Handicaps ausschließen“, erklärt sein Sprecher.
       
       Manche Unternehmen deuten zumindest zartes Umdenken gegenüber dem BTC an.
       Ein Daimler-Mitarbeiter war zwar beim letzten Treffen dabei, aber „wir sind
       kein Mitglied und es gibt kein Sponsoring“, versichert ein Konzernsprecher.
       Coca Cola liefert nur noch „kostenlos alkoholfreie Erfrischungsgetränke“.
       Eine Sprecherin der Commerzbank erklärt, ihr Unternehmen habe sich „aus dem
       Engagement zurückgezogen“, und Siemens ist nach Angabe eines Sprechers
       „seit gut zwei Jahren nicht mehr Mitglied des Bremer Tabak-Collegiums“.
       
       18 Jan 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Gaby Mayr
       
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