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       # taz.de -- Umgang mit Rechten: Gewalt als Agenda
       
       > Gegen die Neue Rechte braucht es neue Strategien. Denn sie will das
       > Gewaltmonopol des Staats nach ihren Vorstellungen ausweiten.
       
   IMG Bild: Gut geschützt vor Demonstrant*innen: der AfD-Abgeordnete Armin-Paul Hampel
       
       Vor fünf Jahren [1][interviewten wir] für die taz zwei Vertreter großer
       Antifagruppen. Sie hatten einen Kongress mit dem Titel „Antifa in der
       Krise“ organisiert. Was die Aktivisten damals sagten, nahm die heutige
       [2][Debatte über den Angriff] auf den Bremer AfD-Landesvorsitzenden Frank
       Magnitz vorweg: Es ging um die Frage, welche Rolle Gewalt im Kampf gegen
       rechts spielt.
       
       Ihr Gegner, so sagten die beiden damals, habe sich verändert. Im Zuge der
       Eurokrise ab 2010 habe es heftige politische Verschiebungen gegeben.
       Überall [3][gewännen rechtspopulistische Parteien], denen nicht ohne
       Weiteres beizukommen sei. Die „klassischen“, wie sie es nannten,
       Antifa-Strategien des Aufspürens, Outens und Angreifens von Nazis – sie
       seien gegen die aufkommenden Rechtspopulisten „vollkommen ungeeignet“.
       
       Bis dahin war es vor allem um die NPD und deren Umfeld gegangen. Die machte
       nie einen Hehl daraus, dass sie die Demokratie verachtete. Die Antifa
       bekämpfte die Partei unter anderem dadurch, dass sie NPDler in deren
       Nachbarschaft, beim Arbeitgeber oder bei der Presse outete – etwa mit
       „Achtung, Nazi“-Flugblättern. Das brachte diesen oft erhebliche Probleme
       ein. Es galt als ausgemacht, dass die NPD auch die Partei rechter Schläger
       war. Dass Antifa-Aktivisten NPDler verprügelten traf deshalb oft auf
       gewisses Verständnis.
       
       Beides ist bei der AfD nicht drin. Dort aktiv zu sein, ist gesellschaftlich
       nicht geächtet. Ein Outing ist deshalb sinnlos. Und für körperliche Gewalt
       gegen AfDler hat die Mehrheitsgesellschaft kein Verständnis – [4][siehe
       Magnitz]. Beides liegt daran, dass die AfD bislang jedenfalls zweierlei für
       sich reklamiert, was für die NPD nicht galt: Sich dem Grundgesetz
       verpflichtet zu fühlen – und selbst keine Gewalt auszuüben.
       
       ## Der Staat soll die Gewalt erledigen
       
       Die damalige Analyse der Antifa-Gruppen war deshalb richtig. Doch dem Bild,
       das die Partei von sich selbst zeichnet, muss in einem Punkt widersprochen
       werden. Die AfD lebt auch von ihrer Beteuerung, das staatliche
       Gewaltmonopol zu achten. Daraus schöpft sie Legitimität, darauf fußen ihre
       Opferinszenierungen und ihre Kampagnen gegen „linke Gewalt“.
       
       Die Agenda der AfD aber ist darauf angelegt, die Nutzung des staatlichen
       Gewaltmonopols bis weit jenseits des heute Akzeptierten zu erweitern. Die
       Partei selbst will keine Gewalt ausüben – der Staat soll das für sie
       erledigen. Für ihre Bewertung spielt das bislang kaum eine Rolle.
       
       In der Debatte über die Attacke auf Magnitz wurde das Gewaltmonopol
       vielfach beschworen. Eine Kombination aus Aufklärung, der Erfahrung der
       Weltkriege und des Nationalsozialismus haben die Nutzung dieses
       Gewaltmonopols in westlichen Demokratien zivilisatorisch eingehegt. Hier
       bedeutet demokratisch legitimiert nach der Erfahrung der
       Mehrheitsgesellschaften meist auch: moralisch legitim.
       
       Dass Staaten mit ihrem Gewaltmonopol so umgehen, dass sich dies mit
       allgemeinen moralischen Vorstellungen verträgt, ist indes eher die Ausnahme
       als die Regel. Willkür, Entwürdigung, Unterdrückung Homosexueller, Folter,
       Verschwindenlassen – all dies geschieht auch in Staaten mit leidlich
       demokratisch gewählten Regierungen, seien es die Philippinen oder sei es
       Mexiko, die Türkei oder Russland.
       
       ## Staatliche Gewalt ist nicht böse
       
       Wer in Deutschland das staatliche Gewaltmonopol hochhält, verweist in der
       Regel auf dessen moralisch legitime Nutzung. Hier praktizierte Formen
       staatlicher Gewalt, etwa das Räumen bewohnter Häuser oder Abschiebung wird
       von der Mehrheitsgesellschaft nicht als Gewalt eingestuft. Weil sie
       demokratisch legitimiert sind, gelten sie auch als moralisch
       gerechtfertigt. Die implizite Folgerung daraus lautet: Weil staatliche
       Gewalt nicht böse ist, ist auch nicht böse, wer die Gewalt beim Staat
       belassen will – wie die AfD es für sich in Anspruch nimmt.
       
       Das bedeutet nicht, dass diese Grundannahme nie irritiert würde. Die
       Irritation setzt meist umso früher ein, je weiter links jemand steht.
       Konservative sind tendenziell der Auffassung, der Staat dürfe ruhig etwas
       härter sein, während Linke der Meinung sind, er habe sich stärker
       zurückzuhalten.
       
       Die Linke will, dass auch Dinge, die der Staat tut, als Gewalt benannt
       werden: Die Verhinderung von Seenotrettung auf dem Mittelmeer etwa,
       besonders hartes Vorgehen der Polizei gegen DemonstrantInnen, bestimmte
       Waffenexporte oder Vorfälle wie die kürzliche [5][Abschiebung aus dem
       Kreißsaal] einer Klinik.
       
       Solche Vorfälle sind gesamtgesellschaftlich skandalisierbar. Der Staat
       gerät in solchen Fällen unter Rechtfertigungsdruck, und zwar auch deshalb,
       weil der bürgerliche Konservatismus zivilisatorischen Mindeststandards
       verpflichtet und auf diese festzunageln ist. Das unterscheidet ihn von
       denen, die weiter rechts stehen.
       
       Die AfD verschleiert diesen Unterschied mit der Beteuerung ihrer
       Verfassungstreue. Bisher wird ihr – zu Recht – vor allem eine Verrohung der
       Sprache („Merkelnutte“, „Halbneger“, „Messermigration“) vorgeworfen. Doch
       darin scheint die Politik, die sie betreiben wird, wenn man sie lässt,
       bereits auf.
       
       Die Agenda der Neuen Rechten ist darauf angelegt, die zivilisatorische
       Einhegung des Gewaltmonopols durch Gesetze und demokratische Kultur
       aufzulösen. Das heißt: die Nutzung des Gewaltmonopols auszuweiten und damit
       gegen Grund- und Minderheitenrechte zu verstoßen.
       
       Im Bundestag wollte die AfD wissen, wie viele Menschen mit Behinderung
       „durch Heirat innerhalb der Familie entstanden“ seien und in wie vielen
       dieser Fälle es eine Migrationsgeschichte gebe. Der Bundestagsabgeordnete
       Thomas Seitz schwadronierte über die Wiedereinführung der Todesstrafe, auch
       wenn er dies kurz darauf als „Provokation“ abtat.
       
       Aufschlussreich sind Passagen aus Büchern und Interviews des Thüringer
       AfD-Landesvorsitzenden Björn Höcke, die der Münsteraner Soziologe Andreas
       Kemper in den vergangenen Monaten herausgearbeitet hat. Kemper hat es, wie
       Anfang der Woche bekannt wurde, mit seinen Recherchen über Höcke sogar als
       Quelle in das jüngste Verfassungsschutzgutachten über die Partei geschafft.
       
       ## Das Unterlaufen von Mindeststandards ist Programm
       
       Höcke sieht Deutschland demnach als Kraftzentrum des europäischen
       Großraums, von dem die Zurückdrängung des Islams auszugehen habe. Höcke
       schwebt ein Generationen andauerndes, „großangelegtes Remigrationsprojekt“
       vor, eine „Renovation“ des europäischen Kulturraums, zu der „gewaltsamste
       Verfahren“ nötig seien. Die Maßnahmen, die ergriffen werden müssten, würden
       unseren „eigentlichen Moralvorstellungen zuwider laufen“, so Höcke.
       
       Erforderlich sei eine „wohltemperierte Grausamkeit“, denn
       „existenzbedrohende Krisen“ erforderten „außergewöhnliches Handeln“. Die
       Verantwortung dafür trügen diejenigen, die „die Notwendigkeit dieser
       Maßnahmen mit ihrer unsäglichen Politik herbeigeführt haben“. Der „Feind“
       sei der „Menschenrechtsextremismus“, so stellte Höcke mit Verweis auf den
       AfDler Wolfgang Gedeon klar. Der wiederum hatte eine „existentielle
       Bedrohung der europäischen Völker und ihrer Kulturen“ behauptet.
       
       Seitz hat wenig Einfluss und auch Höcke ist nicht bestimmend für die
       Partei. Doch was Rechtspopulisten tun, wenn sie die Macht erlangen, ist
       etwa in Ungarn zu besichtigen. Dort wird Flüchtlingen in sogenannten
       Transitzonen Nahrung verweigert, Obdachlosigkeit mit Gefängnis bestraft.
       Oder in Italien, wo die Regierung unverblümt darauf hinwirkt, dass Menschen
       in den Flüchtlingsbooten ertrinken.
       
       Dieses Unterlaufen zivilisatorischer Mindeststandards ist hier Programm.
       Für zivilgesellschaftliche Korrektive sind solche Staaten kaum noch
       zugänglich. Daraus folgt nicht, dass es richtig wäre, die AfD so zu
       behandeln, wie die Kameradschaftsnazis, die Terror auf den Straßen
       verbreiten. Es folgt aber daraus zurückzuweisen, wenn die AfD sich auf die
       eigene Gewaltfreiheit beruft. Worauf sie hinarbeitet, ist eine gewaltvolle
       Politik, und zwar sowohl nach linken als auch nach bürgerlich-konservativen
       Maßstäben. Das klarzumachen ist keine Bürgerkriegsrhetorik, sondern wohl
       der einzige Weg, das Tor zur Hölle wieder zuzuschlagen.
       
       23 Jan 2019
       
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   DIR Christian Jakob
       
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