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       # taz.de -- Die Hysterie der Herrenrunde: Männer weinen heimlich
       
       > Der Begriff Männerbünde wurde 1902 in Bremen geprägt. Warum sind die in
       > der weltoffenen Stadt so präsent? Es hängt wohl beides zusammen.
       
   IMG Bild: Auch für die Bremer Eiswette konstitutitv:die „räumliche und gesellschaftliche Absonderung“
       
       BREMEN taz | So was kann nur in Bremen passieren: Die „Eiswette von 1829“,
       ein Klub mit höchst zweifelhafter, kolonialistischer, antidemokratischer
       und judenfeindlicher Geschichte, hat den Präsidenten des Senats,
       Bürgermeister Carsten Sieling (SPD), zum alljährlichen Braunkohlessen
       eingeladen.
       
       Bis 1933 wäre ein solcher Wunsch abschlägig beschieden worden. Aber seit
       Beginn der Naziherrschaft, nach deren Bedürfnissen die Eiswettgesellschaft
       ihre Traditionsveranstaltung umgehend umgestaltet hatte, haben die
       Stadtstaat-Oberhäupter diesen Termin noch nie ausgelassen.
       
       Auch Sieling war schon dort. Er hatte sich auch jetzt wieder willig
       gezeigt, musste dann aber, [1][wegen der Trauerfeier für den ermordeten
       Bürgermeister der Partnerstadt Gdańsk,] kurzfristig absagen. In solchen
       Fällen greift in Bremen Artikel 115 der Landesverfassung: Der Präsident
       wird „durch den anderen Bürgermeister vertreten“, [2][heißt es dort.] Nur:
       Bürgermeisterin neben Sieling ist Finanzsenatorin Karoline Linnert (Grüne).
       Eine Frau. Und die Eiswettgesellschaft – ist ein [3][Männerbund].
       
       Konstitutiv für Männerbünde sind nicht demokratische Verfassungen,
       Konventionen und Gesetze, sondern die „räumliche und gesellschaftliche
       Absonderung“, wie Helmut Blazek 1999 in seiner einschlägigen Studie
       „Männerbünde – eine Geschichte von Faszination und Macht“ [4][schreibt].
       Verbunden ist dies mit der „Ausgrenzung und/oder Abwertung von Frauen“.
       Diese „Dramatisierung der Männerrolle“ könne dabei durchaus in spontane
       Gewaltakte ein münden, so Blazek. Verbale Gewaltakte sind dabei
       eingeschlossen: „Wir sind ein Herrenklub und machen diesen Gendergaga nicht
       mit“, pöbelte Eiswettpräsident Patrick Wendisch in der Bild bezüglich der
       Ankündigung Linnerts, für den Senat das Festmahl zu beehren.
       
       Auch wenn er es intellektuell bei ihm nicht dazu gereicht hat, den Sinn des
       polemischen, aber [5][auf Sprachpolitik und Forschung gemünzten Begriffs],
       den er verwendet hat, zu kapieren – der Mann ist kein Gangsta-Rapper,
       sondern er war mal Präses der Handelskammer. Es lässt sich also
       voraussetzen, dass er sich in einem angemessenen sprachlichen Register
       ausdrücken kann.
       
       Umso drängender scheint die Frage, was ihn zu einem derart
       zänkisch-hysterischen Tonfall hat verleiten können. Worum geht es? Was soll
       hier verteidigt werden, was kompensiert? Warum und wozu ist der Ausschluss
       von Frauen von einem gesellschaftlichen Ereignis so wichtig, den jüngst der
       Ostasiatische Verein in Bremen, der Club zu Bremen im Jahre 2000, der
       Reichstag 1919 und das Hamburger Matthiae-Mahl bereits 1622 unbeschadet
       überwunden haben?
       
       ## „Botschafter der Freien Hansestadt“
       
       Möglicherweise gibt’s da auch eine persönliche Dimension. Schließlich hatte
       Wendisch seine Bremer Karriere stark über die örtlichen Männernetzwerke
       organisiert – vom Schaffermahl über die Eiswette bis hin zum Bremer
       Tabak-Collegium, zu dessen Orga-Team er nach wie vor gehört: Diese
       „Herrengesellschaft“ fühlt sich selbst, warum auch immer, „als ein
       Botschafter der Freien Hansestadt Bremen“. Bei den Treffen werden
       holländische Tonpfeifen angezündet.
       
       Aber die Bedeutung des Eiswettevorfalls liegt jenseits von persönlichen
       Problemen, die eben nicht erklären können, warum sich solche
       frauenfeindlichen Körperschaften gerade in Bremen haben etablieren und
       halten können, einer Stadt, die in Vielem als liberal, als weltoffen, als
       fortschrittlich gilt. Warum ist das Land weiterhin Hochburg der
       Männerbünde, das die öffentlich-rechtliche Frauenquote entwickelt und das
       erste Landesgleichstellungsgesetz verabschiedet hat – und das sich
       eigentlich auch durch dieses Bild viel lieber repräsentiert sieht als durch
       einen reaktionären Klub von Rauchern mit viel Geld?
       
       Eben darum, ist vielleicht die plausibelste Antwort: Dass offenbar die Zahl
       von Männerbünden „mit der Komplexität von Gesellschaften steigt“, hatte die
       Ethnologin Karin von Welck, Hamburger Kultursenatorin a. D., schon 1990
       beobachtet: „Nirgends gibt es mehr Männerbünde als in der ‚westlichen
       Welt‘“, hebt sie hervor.
       
       Damit werden sie sichtbar als Teil der Verteidigungsanlage hegemonialer
       Männlichkeit im Sinne der australischen Gender-Forscherin Raewyn Connells.
       Denn mit gesellschaftlichem Fortschritt im Zuge von Demokratisierung bricht
       das Legitimitätsproblem des Patriarchats auf, die Dominanz der Männer sowie
       die Unterordnung der Frauen verliert an Akzeptanz, das Selbstbild erodiert.
       
       Wann ist der Mann ein Mann? Muskeln haben, furchtbar stark sein, alles
       können, doch, doch, eine ziemlich stressige Angelegenheit. Das weckt Angst,
       Versagensangst. Fast 90 Prozent der deutschen Männer haben dem Hannoveraner
       Psychologen Rolf Pohl zufolge Angst vor Frauen. Für Mitleid ist es aber zu
       früh. Denn aus dieser Hilflosigkeit erwächst oft Aggression: Eine mögliche
       Abwehrstrategie zur Bestätigung einer „intakten“ Männlichkeit sei es, hat
       Pohl vor ein paar Jahren [6][im taz-Interview erklärt], Feministinnen
       lächerlich zu machen – Stichwort Gendergaga –, bloß gebe es „natürlich
       immer Unterschiede in der Heftigkeit der Abwehr“, so Pohl: „Wo holt man
       sich eine ultimative Machterfahrung, wenn die Kontrolle über das eigene
       Leben zu entgleiten droht? Bei der Gruppe, von der man sich mit aller Macht
       abgrenzen will und die vermeintlich Schuld an der eigenen Misere trägt.“
       
       ## Gegenrede zur Theorie einer Frauenherrschaft
       
       Das ist, mit dem nötigen historischen Wissen, ein beunruhigender Befund.
       Denn die Rede vom Männerbund, die Vorstellung von ihm als einer
       Idealgemeinschaft, entsteht auf der Schwelle zum 20. Jahrhundert als Abwehr
       einer im Kaiserreich als Gefahr gedeuteten „Entmännlichung“ und
       „Feminisierung“ von Politik und Staat. Sie entsteht als direkte Gegenrede
       zur Theorie einer ursprünglichen Frauenherrschaft, die der Schweizer Johann
       Jakob Bachofen 1861 entwickelt hatte: Diese „Gynaikokratie“ sei „Zeugniss
       für den Fortschritt der Kultur“ das ist [7][seine These]. „An das Weib
       knüpft sich die erste Erhebung des Menschengeschlechts, der erste
       Fortschritt zur Gesittung und zu einem geregelten Dasein.“
       
       Und diese Gegenrede entsteht maßgeblich in Bremen, dem einzigen Land, in
       dem Frauen in der Kaiserzeit Versammlungen abhalten und Vereine gründen
       durften: Heinrich Schurtz, ein Assistent am hiesigen Museum für Natur-,
       Völker- und Handelskunde, heute Überseemuseum, erfindet 1902 den Begriff
       des Männerbundes, den nach dem Ersten Weltkrieg Wandervögel, Freikorps, SA
       und SS von ihm übernehmen. Mit seiner Theorie der Männerbünde sei es
       „möglich, den seit Jahren tobenden Streit über die Urformen der
       Gesellschaft in der Hauptsache beizulegen“, behauptet er mit direktem Bezug
       auf Bachofen. Männerbünde erwiesen sich „als die eigentlichen Träger fast
       aller höheren gesellschaftlichen Entwicklung“.
       
       Schon zwei Jahre zuvor hatte er in seiner „Urgeschichte der Kultur“ das
       Schreckensbild der „mit männlichen Instinkten begabten Frauen“ als
       Bedrohung [8][entworfen]: Wenn „deren Zahl sich allzu sehr mehrte, wäre das
       baldige Aussterben der mit ihnen beglückten Völker zu erwarten“, schreibt
       er. Die Anschlussfähigkeit an Diskurse der heutigen Reaktion ist
       augenfällig.
       
       Das Gute am diesjährigen Skandal: Die Fronten sind offen zutage getreten.
       Es ist nicht möglich, als fortschrittlich oder auch nur demokratisch gelten
       zu wollen, und zugleich Frauen- und demokratiefeindliche Folklore durch
       Bereitstellung von Räumen und persönliche Anwesenheit zu adeln.
       
       Es scheint, als hätte Bürgermeister Carsten Sieling das endlich eingesehen:
       Er hat angekündigt, der Eiswette künftig fernzubleiben. Damit würde er
       [9][mit einer mit der Machtergreifung der Nazis begonnen Tradition]
       brechen. Schön.
       
       Vielleicht ist es unbescheiden, aber eine gute Nachricht wird daraus erst,
       sobald er auch den grauen Rauchern des Bremer Tabak-Collegiums das Rathaus
       verwehrt.
       
       Die nächste Bastion, die fällt, könnte das Bremer Schaffermahl sein: Die
       neugewählte Präses der Bremer Handelskammer Janina Marahrens-Hashagen, die
       erste Frau in diesem Amt, hat am Freitag im Weser-Kurier [10][gefordert],
       dass auch Frauen als Schafferinnen bei der Traditionsveranstaltung dabei
       sein sollten. Der Vorsitzende des Männervereins Haus Seefahrt, der das
       Schaffermahl ausrichtet, hat das immerhin als „sehr denkbar“ bezeichnet.
       Zuvor muss er allerdings noch Männergespräche führen.
       
       26 Jan 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.dw.com/de/danzigs-b%C3%BCrgermeister-adamowicz-beigesetzt/a-47149148
   DIR [2] https://www.transparenz.bremen.de/sixcms/detail.php?gsid=bremen2014_tp.c.75088.de&template=20_gp_ifg_meta_detail_d
   DIR [3] /Archiv-Suche/!5563578&s=M%C3%A4nnerb%C3%BCnde/
   DIR [4] https://www.christoph-links-verlag.de/index.cfm?view=3&titel_nr=177
   DIR [5] /Archiv-Suche/!5348235&s=gendergaga/
   DIR [6] /Archiv-Suche/!5166706/
   DIR [7] https://archive.org/details/Bachofen-Johann-Mutterrecht/page/n37
   DIR [8] https://archive.org/details/bub_gb_YNpfAAAAIAAJ/page/n5
   DIR [9] https://docplayer.org/73403705-Die-geschichte-der-bremer-eiswette-von-arndt-frommann.html
   DIR [10] https://www.weser-kurier.de/bremen/bremen-wirtschaft_artikel,-schaffermahlzeit-offen-fuer-frauen-_arid,1801415.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Benno Schirrmeister
       
       ## TAGS
       
   DIR Internationaler Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen
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