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       # taz.de -- Energiewende gerät ins Stocken: Laues Lüftchen
       
       > Das Zugpferd der Energiewende, der Windkraftausbau, hat sich 2018 mehr
       > als halbiert. Für neue Windräder fehlt die Fläche.
       
   IMG Bild: Oh, ein einsames kleines Windrädchen: Der Ausbau der Windkraftanlagen bis 2038 scheint utopisch
       
       Dieser Satz gehört noch immer zu den schönsten in der turbulenten
       Geschichte deutscher Energiepolitik: „Regenerative Energien wie Sonne,
       Wasser oder Wind können auch langfristig nicht mehr als vier Prozent
       unseres Strombedarfs decken.“ Das war 1993. Die großen Energieversorger
       hatten in Zeitungsanzeigen und auf Plakaten für Atomkraft geworben. Heute,
       25 Jahre später, decken erneuerbare Energien nicht 4, sondern 40,4 Prozent
       des Strombedarfs. Ein Meilenstein. 2003 waren es noch 8,5 Prozent. 15 Jahre
       später fast fünfmal so viel. Bis zur Jahrhundertmitte sollen es mindestens
       80 Prozent sein. Vor allem die Windkraft hat eine erstaunlich dynamische
       Entwicklung hingelegt. Mit 59.000 Megawatt entspricht die installierte
       Leistung – die allerdings bei Flauten sehr viel weniger Strom erzeugt –
       etwa 60 großen Atommeilern.
       
       Betrachtet man die tatsächliche Stromerzeugung, ist die Windkraft in
       Deutschland nach der Braunkohle der wichtigste Energieträger. Vergangenes
       Jahr produzierten Windräder an Land und auf dem Meer zusammen 113
       Milliarden Kilowattstunden. Damit deckten sie über 80 Prozent des
       Strombedarfs aller Privathaushalte.
       
       Doch das Arbeitspferd der Energiewende lahmt. 2018 ist der Zubau
       eingebrochen. Statt der im Schnitt der vergangenen Jahre üblichen 4.000
       Megawatt Onshore-Wind kamen nur knapp 2.500 MW dazu, nicht einmal die
       Hälfte des Vorjahrs, als neue Windparks mit 5.300 MW aufgestellt wurden.
       „Der Markteinbruch ist dramatischer als erwartet“, sagt Hermann Albers,
       Präsident des Bundesverbands Windenergie. In diesem Jahr dürfte die Kurve
       noch stärker knicken.
       
       Gründe für den Niedergang gibt es viele. Der wichtigste: Für neue Windräder
       fehlt schlicht die Fläche. Ohne genehmigte Standorte werden die Ausbauziele
       der Bundesregierung aber zur Farce. Die will mit ihren Auktionen in den
       nächsten Jahren einen Umfang von jeweils 4.000 MW ausschreiben. Angesichts
       der dramatisch eingeschränkten Flächenkulisse könnten es Luftbuchungen
       bleiben. Die Flächenverfügbarkeit ist zum Nadelöhr geworden. So wurden in
       den ersten drei Quartalen 2018 nur für 330 Anlagen und 1.100 MW
       Genehmigungen erteilt – ein Drittel der Bewilligungen früherer Jahre. „In
       den kommenden Ausschreibungsrunden könnte mangels genehmigter Standorte
       kein ausreichender Wettbewerb zustande kommen“, warnte schon vergangenen
       Sommer die Regierungskommission zur Begleitung der Energiewende.
       
       ## 2020 fallen erste Anlagen aus der Förderung
       
       Seitdem hat sich die Lage noch verschärft. Bundesländer wie Bayern oder
       Sachsen-Anhalt stehen heftig auf der Bremse und weisen kaum noch Flächen
       für neue Windflügler aus. In Schleswig-Holstein sind die Windvorranggebiete
       vom Gericht kassiert worden, mit neuen Flächen ist nicht vor 2020 zu
       rechnen. Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) will den
       Windrädern landesweit über eine Bundesratsinitiative die seit 1997 im
       Baugesetzbuch festgeschriebene „privilegierte Zulässigkeit“ streichen. Der
       CDU-Bundesparteitag forderte im Dezember ebenfalls ein Ende der
       Privilegierung. Und die mit mehreren windkraftkritischen Abgeordneten
       besetzte „Arbeitsgruppe Akzeptanz“ der Bundesregierung droht mit weiteren
       Ausbaurestriktionen wie Höhenbegrenzungen, Mindestabständen und neuen
       Planungsvorgaben.
       
       Auch die Klagen häufen sich. Dort wo Anwohner, Bürgerinitiativen oder
       Vogelschützer die Gerichte anrufen, hindert dies die Projektierer, sich an
       den Ausschreibungen zur Förderung zu beteiligen. Nach Branchenschätzungen
       sind mehr als 200 geplante Anlagen durch Rechtsstreitigkeiten blockiert.
       
       Doch die eigentliche Zeitenwende kommt nächstes Jahr. Ende 2020 fallen die
       ersten Anlagen aus der Förderung. Auf 20 Jahre wurde die Einspeisevergütung
       angelegt, als mit der Jahrhundertwende die Energiewende Fahrt aufnahm. Auch
       die in den 1990er Jahren gebauten Windturbinen werden großzügigerweise bis
       2020 gefördert. Dann ist Schluss. Das Wendejahr könnte zum Horrorjahr der
       Branche werden, weil einer ganzen Armada an Windrädern mit rund 4.000
       Megawatt Gesamtleistung das Förderende bevorsteht. In den Folgejahren sieht
       es nicht besser aus. Bis 2025 fallen 16.000 Megawatt aus dem Fördersystem,
       das sind fast 30 Prozent der heute installierten Onshore-Windkraft.
       
       Der Weiterbetrieb dieser mindestens 20 Jahre alten Dinos wird für die
       Betreiber schwierig. Viele ihrer Windräder sind nicht nur alt, sondern auch
       technisch überholt. Ohne Förderung sind sie nur an sehr windreichen
       Standorten auskömmlich – bei einem Börsenstrompreis von mindestens 5 Cent
       pro Kilowattstunde. 5 Cent, das ist die Schätzung der Stromgestehungskosten
       für Windräder durch die Bundesnetzagentur. In den letzten Jahren lag der
       Börsenpreis oft weit darunter, weil Überkapazitäten die Preise drücken und
       der Markt bei den CO2-Kosten versagt.
       
       ## 40 Prozent der Altanlagen sind nicht zu erneuern
       
       Anreize, um die Auslaufmodelle weiterzubetreiben oder durch moderne
       Neuanlagen mit höherer Stromausbeute zu ersetzen, sind nicht in Sicht. Im
       Gegenteil: Auf investitionswillige Betreiber, die weitermachen wollen,
       warten zusätzliche Kalamitäten. Wollen sie ihr Windrad am gleichen Standort
       durch ein größeres und effizienteres Modell ersetzen – das sogenannte
       Repowering –, müssen sie ein komplett neues Genehmigungsverfahren
       durchlaufen, was eine am Standort zwischenzeitlich angesiedelte Vogelart
       schnell zunichtemachen kann. Das Aufstellen einer besseren Windmaschine am
       alten Ort ist für die Betreiber auch deshalb attraktiv, weil die
       Infrastruktur bereits erschlossen ist und die Anwohner sich mit den Anlagen
       arrangiert haben.
       
       Inzwischen haben sich die Voraussetzungen für den Bau neuer Windanlagen
       erheblich verschärft. Nach Aussagen der Fachagentur Windenergie an Land
       werden sich mindestens 40 Prozent der Altanlagen nicht repowern lassen.
       Strengere Abstandsregeln für Windräder zu Wohnhäusern gelten zwar nicht für
       bestehende Anlagen, aber für „Modernisierungen“ am gleichen Standort. Dabei
       wäre ein Repowering flächen- und umweltschonend, weil bereits erschlossene
       Standorte und Infrastrukturen weitergenutzt werden. Auf den vorgeprägten
       Flächen könnten Neuanlagen zudem deutlich mehr Strom erzeugen.
       
       Mit dem absehbaren Stilllegungsszenario dürfte die Energiewende, deren
       wichtigste Säule die Windkraft ist, in den kommenden Jahren heftig ins
       Stocken geraten. Ein Ausgleich für die Windflaute durch Solar ist kaum
       möglich. Den Zuwachs für die Photovoltaik hat die Bundesregierung klar
       begrenzt. Zudem fallen Solarpanels nachts aus, sie kommen nur auf ein
       Drittel der Volllaststunden der Windräder. Ab 2020 könnte erstmals der
       Abriss alter Windräder den Zubau übertreffen. Eine Umfrage der Fachagentur
       bestätigt die finsteren Aussichten der Branche. Rund die Hälfte der
       Anlagenbetreiber sieht nach dem Auslaufen der Förderung das Ende ihrer
       Windräder kommen.
       
       ## Erneuerbare Energien schultern ab 2038 die Hauptlast
       
       Einige Windmüller suchen noch nach alternativen Vermarktungsmodellen. Sie
       wollen die Energie nicht mehr nur als „Graustrom“ ins Netz einspeisen,
       sondern direkt den Ökostromanbietern verkaufen oder auch an Großunternehmen
       wie Ikea, die ihr Image mit Grünstrom aufpolieren. Doch eine rentierliche
       Direktvermarktung ist wohl nur für eine Minderheit der Anlagen möglich.
       
       Und die Politik? Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) gilt als Bremser
       der Erneuerbaren. Den Staatssekretärsposten für die Energiewende, die
       politische Schlüsselstelle zur Umsetzung, ließ er über ein Jahr vakant,
       bevor sie am 1. Februar mit dem Chef der Wuppertaler Stadtwerke besetzt
       wird. Bei der weltgrößten Windmesse in Hamburg im vergangenen Herbst
       wartete die Branche, die mehr als 160.000 Menschen in Deutschland
       beschäftigt, vergebens auf den Minister. Altmaier schickte einen
       Abteilungsleiter.
       
       Am Dienstag zieht die Branche Bilanz. Nach dem Windjammer der
       Offshore-Betreiber vergangene Woche wird auch der zehnfach größere Sektor
       an Land die Alarmtaste drücken. Dabei hat erst am Wochenende die
       Kohlekommission vorgeschlagen, spätestens 2038 den letzten Kohlemeiler
       abzuschalten. Dann müssen die erneuerbaren Energien die Hauptlast der
       Stromversorgung schultern. Doch dazu braucht es deutlich mehr Anlagen.
       
       29 Jan 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Manfred Kriener
       
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