URI: 
       # taz.de -- Reaktionen auf Gesetzentwurf zu 219a: Abtreibungen bleiben ein Tabuthema
       
       > ÄrztInnen und Opposition lehnen den §219a-Kompromiss ab. Sie kritisieren,
       > dass nach wie vor keine Rechtssicherheit bestehe.
       
   IMG Bild: Der Gesetzentwurf sei nur eine scheinbare Verbesserung, sagt Linkenpolitikerin Cornelia Möhring
       
       Berlin taz | Mehr als ein Jahr hat die Koalition gerungen – nun liegt der
       [1][Gesetzentwurf der Bundesregierung] zur Änderung des Paragrafen 219a
       vor. Der Paragraf, der es ÄrztInnen verbietet, auf ihren Webseiten darüber
       zu informieren, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, soll bestehen
       bleiben. Die Informationsmöglichkeiten für ungewollt Schwangere sollen aber
       durch eine neue Ausnahmeregelung verbessert werden.
       
       Der Entwurf, der der taz vorliegt, sieht vor, dass ÄrztInnen und
       Krankenhäuser künftig „ohne Risiko der Strafverfolgung“ darüber informieren
       dürfen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Weitere
       Informationen über Abbrüche sollen durch Verlinkung „auf entsprechende
       Informationen neutraler Stellen“ zugänglich gemacht werden. Dazu soll etwa
       die Seite der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung gehören.
       
       Zudem soll die Bundesärztekammer künftig eine „zentral geführte Liste“ mit
       ÄrztInnen veröffentlichen, die Abtreibungen durchführen. Dort darf auch
       über die angewandten Methoden informiert werden, die eine Ärztin oder ein
       Arzt anbietet: also beispielsweise darüber, ob in einer bestimmten Praxis
       ein medikamentöser oder operativer Schwangerschaftsabbruch möglich ist. Die
       Bundesärztekammer soll die Liste monatlich aktualisieren.
       
       Im Eckpunktepapier der Bundesregierung vom Dezember war noch von einer
       Studie die Rede, um Informationen zu den „seelischen Folgen von
       Schwangerschaftsabbrüchen“ zu gewinnen. Neben der ungeklärten
       Rechtssicherheit für ÄrztInnen war insbesondere dieser Passus auf
       [2][heftige Kritik] gestoßen. Im nun vorgelegten Gesetzentwurf ist er nicht
       mehr enthalten. Stattdessen soll die Qualifizierung von ÄrztInnen
       ausgeweitet werden. Auch soll die Pille für Frauen künftig bis zum 22.
       Geburtstag kostenfrei verfügbar sein, also zwei Jahre länger als bisher.
       
       ## „Klitzekleiner Schritt nach vorne“
       
       Die VerhandlerInnen, Bundesjustizministerin Katarina Barley,
       Bundesfrauenministerin Franziska Giffey (beide SPD),
       Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und Kanzleramtsminister Helge Braun
       (beide CDU) zeigten sich zufrieden. Barley sagte, die Koalition stelle
       sicher, „dass betroffene Frauen in einer persönlichen Notsituation an die
       Informationen gelangen, die sie benötigen“. Die neue Vorschrift sorge für
       Rechtssicherheit.
       
       Spahn sagte den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland: „Mit diesem
       Kompromiss findet die große Koalition einen ausgewogenen Ausgleich.“
       Werbung für Abtreibungen werde es auch in Zukunft nicht geben. „Ein
       Schwangerschaftsabbruch ist kein medizinischer Eingriff wie jeder andere.“
       Zustimmung kam auch vom Präsidenten der Bundesärztekammer, Frank Ulrich
       Montgomery. Die entsprechende Liste werde die Bundesärztekammer natürlich
       führen.
       
       Die von Strafverfahren betroffenen Ärztinnen hingegen kritisierten den
       Entwurf. Von einem „klitzekleinen Schritt nach vorne“ sprach die
       Allgemeinärztin [3][Kristina Hänel], deren Verurteilung im November 2017
       die Debatte um den Paragrafen ausgelöst hatte. „Unterm Strich bleibt, dass
       wir Ärztinnen und Ärzte zu potenziellen Kriminellen gemacht werden, wenn
       wir unserer ärztlichen Pflicht nachkommen und unsere Patientinnen
       informieren“, sagte Hänel der taz.
       
       Ihre Webseite bleibe weiter strafbar, Kriminalisierung und Stigmatisierung
       blieben genauso erhalten wie das generelle Misstrauen gegenüber Frauen.
       „Deswegen ist das für mich kein akzeptabler Vorschlag.“ Hänel sagte, sie
       sei weiter bereit, bis zum Bundesverfassungsgericht zu gehen.
       
       Der Entwurf ist das Resultat eines monatelangen Ringens zwischen den
       Ministerien. Während die SPD den Paragrafen am liebsten gestrichen hätte,
       wollte die Union unbedingt an ihm festhalten. Das Ergebnis soll schon
       Mittwoch kommender Woche im Kabinett beschlossen werden. Unklar ist
       bislang, ob die Bundestagsfraktionen von SPD und Union um des
       Koalitionsfriedens willen zustimmen werden – oder ob die Diskussion nun auf
       dieser Ebene weitergeht.
       
       ## Ein „unwürdiger Eiertanz“
       
       Erste Reaktionen fielen verhalten aus. CDU-Chefin Annegret
       Kramp-Karrenbauer und CSU-Chef Markus Söder kündigten an, den Kompromiss
       der Bundesregierung genau zu prüfen. Es müsse sichergestellt sein, dass das
       Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche nicht „durch die Hintertür“
       abgeschafft werde, sagte Kramp-Karrenbauer am Dienstag. Söder sagte, wenn
       der Entwurf nicht den „Vorstellungen der Union“ entspreche, „dann müssen
       wir halt nochmal drüber reden.“
       
       Immer wieder hatten Unionsabgeordnete es abgelehnt, dass MedizinerInnen,
       die Abbrüche durchführen, selbst darüber informieren dürfen. Elisabeth
       Winkelmeier-Becker, rechtspolitische Sprecherin der Fraktion, schlug am
       Dienstag einen „klar vorformulierten Textbaustein“ für ÄrztInnen vor, den
       diese auf ihre Homepage stellen könnten.
       
       Bei der SPD hielt man sich zunächst mit Bewertungen zurück. Der
       Bundestagsabgeordnete Falko Mohrs sagte, erst müsse man „noch ein paar
       Dinge klären und verstehen“. Dazu gehöre etwa die Frage, wie genau der
       Verweis auf die Methoden zu verstehen sei. Es gebe unterschiedliche
       Einschätzungen darüber, ob ÄrztInnen diese künftig selbst nennen können
       oder nicht. Um solche inhaltlichen Aspekte werde es in der Fraktionssitzung
       am Dienstagnachmittag gehen.
       
       Von einem „unwürdigen Eiertanz“ sprach hingegen Maria Noichl, Vorsitzende
       der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen (ASF). „Ich kann genau
       sehen, welche Zeilen in diesem Entwurf mit einem roten und welche mit einem
       schwarzen Stift geschrieben wurden“, sagte Noichl. Die ASF bleibe bei ihrer
       Forderung: „219a muss weg.“
       
       ## Unklar, was erlaubt und was verboten ist
       
       Die Opposition kritisierte das Papier scharf. „Auf den ersten Blick erweckt
       die Bundesregierung den Eindruck, dass der Entwurf eine Verbesserung ist“,
       sagte die frauenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag,
       Cornelia Möhring. „Es ist aber eine Verschlechterung.“ Die Rechtssicherheit
       bestehe lediglich darin, dass nun klar sei, dass jegliche weitergehende
       Information nicht möglich sei. „Wir brauchen die Abschaffung dieses
       unsäglichen Paragrafen“, sagte Cornelia Möhring.
       
       Die FDP wertete die Einigung als „Kotau der SPD vor dem Koalitionspartner“:
       „Die Messlatte für uns war immer, dass die Informationen, die Kristina
       Hänel auf ihrer Webseite bereithält, nicht mehr strafbar sind“, sagte
       Fraktionsvize Stephan Thomae der taz. Das sei mit diesem Gesetzentwurf
       nicht der Fall. Es gebe nach wie vor eine parlamentarische Mehrheit im
       Bundestag für die Abschaffung des Paragrafen 219a, so Thomae. „Die SPD muss
       sich jetzt bekennen.“
       
       „Rechtssicherheit schafft man so nicht“, sagte auch Ulle Schauws,
       frauenpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag. Was genau künftig
       erlaubt und was verboten sei, gehe aus dem Entwurf nicht hervor. „Das ist
       keine gute Lösung – aber die SPD versucht, es als eine zu verkaufen.“
       
       29 Jan 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Kommentar-Gesetzentwurf-zu-219a/!5569402
   DIR [2] /Sozialwissenschaftlerin-zu-Paragraf-219a/!5556140
   DIR [3] /Werbung-fuer-Schwangerschaftsabbruch/!5542601
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Patricia Hecht
   DIR Dinah Riese
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Paragraf 219a
   DIR Schwarz-rote Koalition
   DIR Bundesärztekammer
   DIR Gesetzentwurf
   DIR Kristina Hänel
   DIR Schwerpunkt Paragraf 219a
   DIR Schwerpunkt Paragraf 219a
   DIR Schwerpunkt Paragraf 219a
   DIR Kristina Hänel
   DIR Schwerpunkt Paragraf 219a
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Kompromiss zu Paragraf 219a: Schlimmer als vorher
       
       Der Paragraf, der Infos über Schwangerschaftsabbrüche verbietet, soll
       reformiert werden. Die Kritik am Gesetzentwurf ist groß.
       
   DIR Juristin über Referentenentwurf zu 219a: „Orwell'sche Abstrusitäten“
       
       Der Gesetzentwurf der Regierung zur Reform des Paragrafen 219a löse die
       bestehenden Probleme nicht, sagt Maria Wersig vom Juristinnenbund.
       
   DIR Nach Reformvorschlag für Paragraf 219a: Spahn plant Studie zu Abtreibungen
       
       Gesundheitsminister Jens Spahn lässt eine Studie zu „seelischen Folgen“
       eines Schwangerschaftsabbruchs ausarbeiten – trotz Kritik.
       
   DIR Gynäkologin zu §219a-Entwurf: „Wo bleibt die Informationsfreiheit?“
       
       Nora Szász hält den Entwurf der Bundesregierung für unzureichend: Ihren
       Patientinnen würden weiterhin wichtige medizinische Details vorenthalten.
       
   DIR Kommentar Gesetzentwurf zu §219a: Der Druck wirkt
       
       Die Koalition bewegt sich in zu kleinen Schritten. Wenn es Grund zum Feiern
       gibt, dann wegen der Frauen, die immer weiter für ihre Rechte kämpfen.
       
   DIR Infos über Schwangerschaftsabbrüche: Koalitionseinigung zu Paragraf 219a
       
       Ärzte und Krankenhäuser sollen darauf hinweisen dürfen, dass sie
       Abtreibungen vornehmen. „Meine Homepage bleibt strafbar“, kritisiert
       Kristina Hänel.