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       # taz.de -- Aufregung wegen blasphemischer Kunst: Rabiat sein ist so einfach
       
       > In Israel protestieren arabische Christen gegen eine Skulptur. Die Frage,
       > was Kunst darf, steht im Raum – ist aber vielleicht die falsche.
       
   IMG Bild: Ist das Kunst oder kann das weg? Die Skulptur „McJesus“ des finnischen Künstlers Jani Leinonen
       
       Als Martin Kippenberger 1990 seinen Frosch mit Ei und Bierkrug ans Kreuz
       nagelte, hatte er ein Selbstporträt im Sinn. Wie ein ans Kreuz genagelter
       Frosch fühlte er sich nach seinem Drogenentzug. Immer wieder wurde die
       Skulptur mit dem Titel „Zuerst die Füße“ als blasphemisches Werk
       missverstanden und skandalisiert. Dabei war Kippenberger viel zu lustig und
       viel zu klug für eine derart banale Religionskritik.
       
       Dass einem Kippenberger in den Sinn kommt, wenn es um stumpfe, abgenutzte
       Gesten geht, ist die eigentliche Blasphemie. Denn Kippenberger hat mit
       einem Künstler wie Jani Leinonen, von dem Sie sicher noch nie gehört haben,
       rein gar nichts zu tun.
       
       Und dennoch: Leinonen ist ein finnischer Künstler und politischer Aktivist,
       der es mit seiner Skulptur eines ans Kreuz genagelten Ronald McDonald ins
       Museum of Art in Haifa geschafft hat. Ärgerlich genug, dass derart platte
       Konsumkritik – Sie wissen schon, die Ware ist heilig, die Ware ist die
       Religion des Kapitalismus – es in ein Museum schafft. Aber dass diese
       Langeweile noch skandalpolitisches Potential haben soll, ist kaum zu
       glauben.
       
       Doch Leinonens Skulptur „McJesus“, die seit Ende Juli in der
       konsumkritischen Ausstellung „Shop It!“ im israelischen Haifa zu sehen ist,
       sorgt unter arabisch-israelischen Christen gerade für viel Aufregung.
       Vergangenes Wochenende haben gar Hunderte versucht, in das Museum
       einzudringen. Sie warfen Brandätze und drei Polizisten wurden verletzt.
       Auch die israelische Kulturministerin Miri Regev hat sich mittlerweile
       eingeschaltet und forderte laut Haaretz wie die katholischen Bischöfe auch,
       das Werk solle aus der Ausstellung entfernt werden.
       
       Das bedeutendste Symbol der christlichen Religion dürfe nicht missbraucht
       werden, sagten die Bischöfe und auch das griechisch-orthodoxe Patriarchat
       möchte nun die Entfernung einiger Kunstwerke aus der Ausstellung erwirken:
       Gewisse Darstellungen von Jesus und Maria in der Ausstellung würden
       religiöse Gefühle verletzen.
       
       ## Kein Unterschied zwischen Kunst und Aktivismus
       
       Dem nicht genug, verlangt nun der Künstler selbst, dass sein Werk sofort
       abgehängt werde. Aus ganz anderen Gründen. Der Jerusalem Post sagte er
       nämlich, er sei der [1][antisemitischen Boykott-, Devestitions- und
       Sanktionsbeweung (BDS)] beigetreten, und verstieg sich zu der Aussage:
       „Israel benutzt Kultur offen als eine Form der Propaganda, um sein
       Besatzungsregime, Siedlerkolonialismus und die Apartheid über das
       palästinensische Volk weißzuwaschen oder zu rechtfertigen. Deshalb möchte
       ich nicht an dieser Ausstellung teilnehmen und habe das Museum gebeten,
       meine Kunstwerke aus der Ausstellung zu nehmen.“
       
       Nun kann man nicht von jedem Künstler verlangen, zu wissen, was Apartheid
       ist und auch nicht, sich näher mit der israelisch-palästinensischen Politik
       zu beschäftigen, aber wissen könnte er, dass die Organisation, der er sich
       so freimütig angeschlossen hat, gar nicht möchte, dass Israel überhaupt
       existiert.
       
       Leinonen macht keinen Unterschied zwischen Kunst und politischem
       Aktivismus. 2011 gründete er die so genannte „Food Liberation Army“. Sie
       stahl eine lebensgroße Statue von Ronald McDonald in Helsinki und drohte,
       den Clown zu enthaupten, sollte McDonalds keine Fragen zur Ethik des
       Unternehmens beantworten. Die Clownsgeschichte eskalierte zu einer
       zirkusreifen Nummer und die Polizei beschlagnahmte schließlich Handys und
       Computer in Leinonens Haus.
       
       Vielleicht muss jede Generation immer wieder dieselben Fragen diskutieren
       wie die Generation vor ihr, was für viele dann einfach Langeweile erzeugt.
       Vielleicht gibt es aber einfach schlechte Kunst und vielleicht ist Kunst
       nicht immer Kunst, sondern manchmal eben einfach politischer Aktivismus.
       
       Anstatt immer bloß zu fragen, was Kunst eigentlich darf, sollten wir eine
       Diskussion darüber führen, was Kunst eigentlich kann. Theodor W. Adorno
       beispielsweise sah gerade in der Nutzlosigkeit von Kunst ihren
       Wahrheitsgeshalt aufscheinen. Kunst, die direkte politische Agitation oder
       direktes Abbild der Realität sein möchte, sah er demselben
       Nützlichkeitsgedanken unterworfen wie die Produkte der Kulturindustrie.
       Oder, wie es bei ihm in der „Ästhetischen Theorie“ heißt: „Rabiate
       Kulturkritik ist nicht radikal.“ Oder kann ein Ronald McDonald am Kreuz
       tatsächlich noch Ihren Blick affizieren?
       
       15 Jan 2019
       
       ## LINKS
       
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   DIR Tania Martini
       
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