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       # taz.de -- Debatte Politische Gewalt: Antifa ohne Faschismus
       
       > Wann ist politische Gewalt legitim? Viele Linke begehen einen großen
       > Denkfehler, wenn sie sich in der Tradition des Widerstands in der NS-Zeit
       > sehen.
       
   IMG Bild: Der Feind ist nicht so scharf umrissen, wie die Antifa gerne glaubt
       
       Aus heutiger Sicht wäre man gerne Claus Schenk Graf von Stauffenberg
       gewesen. Ein mutiger Mann, der bereit war, alles zu riskieren, um Hitler zu
       beseitigen. „Nie wieder“ und „Wehret den Anfängen“ [1][gehören zu den
       Lehren aus der Zeit der NS-Zeit], auf die sich die überwältigende Mehrheit
       der Bevölkerung in Deutschland inzwischen ohne Weiteres einigen kann.
       
       Die autonome Antifa-Szene hat diese Leitmotive des
       postnationalsozialistischen Deutschlands schon immer besonders ernst
       genommen. Sie wehrt den Anfängen – oder das, was sie dafür hält –, wo immer
       sie kann und mit allen Mitteln. Sie mag zwar kein Fan der
       Stauffenberg-Gruppe sein. Dazu war die zu militärisch, konservativ, zu
       adelig.
       
       Doch auch die Antifa hält es für legitim, ja, geboten, im Zweifel mit
       Gewalt Widerstand zu leisten – als eine Form der vorwärtsgewandten Notwehr
       im Angesicht einer zerstörerischen Macht. Und möchte jemand ernsthaft
       behaupten, dass nicht auch jenseits des schwarzen Blocks mindestens
       klammheimliche Schadenfreude empfunden wird, wenn dieser durchaus nicht
       gewaltfreie Widerstand [2][unsympathische Rechte] trifft? Etwa den
       AfD-Politiker Frank Magnitz, der in Bremen [3][von bislang noch Unbekannten
       zu Boden getreten wurde]?
       
       Die Antifa und ihre Sympathisanten begehen jedoch einen gewaltigen
       Denkfehler, wenn sie sich als die Erben des Widerstands gegen die Nazis
       sehen. Aus einem schlichten Grund: Wir leben nicht in einem faschistischen
       Staat. Die Antifa geht von völlig falschen Voraussetzungen aus. Mancherorts
       mag der Rechtsstaat schwach sein, [4][die Polizei gegenüber Neonazis zu
       passiv] und der Verfassungsschutz auf dem rechten Auge blind. Hier muss man
       die Durchsetzung von Recht, Gesetz und den Schutz von bedrohten Menschen
       einfordern, statt die Dinge als linksautonome Bürgerwehr selbst in die Hand
       zu nehmen und es Widerstand zu nennen.
       
       Nun könnte man argumentieren, dass die heutige autonome Antifa anknüpft an
       die Antifaschisten aus der Weimarer Republik, die – ebenfalls mit allen
       Mitteln – versuchten, Aufstieg und Machtergreifung der NSDAP zu verhindern.
       Doch auch dieser Vergleich ist anmaßend und ahistorisch. In der Weimarer
       Republik war die Demokratie für viele politische Akteure eine Option unter
       vielen. Sie bestand aus Menschen, die noch von der Untertanenmentalität des
       Kaiserreichs geprägt waren und sich in der politischen Instabilität, die
       folgte, verloren fühlten. Demokraten gab es einige, aber eine demokratische
       Grundhaltung war nicht gerade ein Massenphänomen.
       
       Heute dagegen blicken wir auf eine 70-jährige Demokratie in West- und eine
       30-jährige in Ostdeutschland zurück. Nur weil die neurechte Bewegung dem
       übrigen politischen Spektrum schwer auf die Nerven geht, geht nicht gleich
       die Demokratie unter. Das politische System in Deutschland ist viel
       widerstandsfähiger, als viele Linken zu glauben scheinen. Es hält aus, dass
       ein paar Neurechte Plakate an die Türen von Medienhäusern kleben und dass
       10 bis 15 Prozent der Wähler*innen keine multikulturelle Gesellschaft und
       weniger EU wollen. Solange gegen keinen Artikel des Grundgesetzes verstoßen
       wird – [5][was der Verfassungsschutz gerade prüft] –, müssen alle Übrigen
       das aushalten und die Gelegenheit nutzen, um die eigenen Argumente zu
       schärfen. Wann hat denn zuletzt mal jemand im Bundestag überzeugend
       ausbuchstabiert, was für die multikulturelle Gesellschaft spricht und warum
       wir sie brauchen?
       
       Was dagegen gar nichts bringt für den Diskurs, ist, ständig von „den
       demokratischen Parteien“ unter Ausschluss der AfD zu sprechen. Besonders
       linke Politiker formulieren es gerne so, doch das ist gefährlich. Es zeugt
       von einem tiefen Misstrauen gegenüber den Kontrollmechanismen unserer
       Demokratie. Denn wer das sagt, behauptet im Grunde: Unser politisches
       System hat versagt, weil es zulässt, dass eine nicht-demokratische Partei
       in den Bundestag gewählt werden konnte. Würde das stimmen, könnte
       tatsächlich nur noch Widerstand helfen.
       
       Tatsächlich aber werden nicht-demokratische Parteien nicht zugelassen zur
       Wahl. Kommen später Zweifel auf, sind Verfassungsschutz und – etwa bei der
       Leugnung des Holocausts – Strafverfolgungsbehörden zuständig. Politische
       Gegner als undemokratisch zu bezeichnen, ist vor allem eines: sehr bequem,
       bequemer, als sich gute Argumente zu überlegen und bei einem öffentlichen
       Wortgefecht zu bestehen.
       
       Das Grundgesetz hat uns mit allem ausgestattet, was wir brauchen, um als
       Demokratie auch Krisen zu meistern. Politische Gewalt ist deshalb falsch,
       nicht nur taktisch, weil es die AFD und die neurechte Bewegung stärkt,
       [6][sondern grundsätzlich]. Sie schwächt die Demokratie und verharmlost die
       echten Nazis und ihre verbrecherische NS-Diktatur.
       
       Die Antifa-Aktivisten möchten gerne Helden sein, die Widerstandskämpfer von
       heute. Das ist verständlich. Die meisten haben vielleicht auch die
       richtigen Ziele, nämlich eine gerechte Gesellschaft. Doch gerade der
       schwarze Block mit seinem brutal zur Schau gestellten Männlichkeitskult
       wirkt zuweilen eher wie ein Trupp veganer Taliban und so gar nicht wie die
       letzte Verteidigungslinie der Demokratie gegen den Faschismus.
       
       Frank Magnitz ist ein demokratisch gewählter Politiker. Er vertritt
       unappetitliche, teils haarsträubende Ansichten und gehört einem Teil der
       AfD an, der gerade vom Verfassungsschutz überprüft wird. Das aber macht ihn
       noch nicht zum Faschisten oder zu menschlichem Unrat. Sich auf Twitter
       darüber zu freuen, dass er angegriffen wurde und eine Kopfverletzung
       erlitt, kommt einer Entmenschlichung gleich, die eher dem politischen Lager
       zugerechnet wird, das man zu bekämpfen vorgibt. Mit echtem Antifaschismus
       hat das nichts zu tun. Wer ständig „Feuer!“ schreit, wird nicht gehört,
       wenn es wirklich brennt.
       
       3 Feb 2019
       
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