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       # taz.de -- Keine Anklagen gegen Helfer: NSU-Ermittlungen stecken fest
       
       > Klagt die Bundesanwaltschaft weitere Terrorhelfer an? Ein halbes Jahr
       > nach dem NSU-Prozess hat sie das immer noch nicht entschieden.
       
   IMG Bild: Die Ermittlungen „im Sande verlaufen“? Die Vertreter der Bundesanwaltschaft im NSU-Prozess
       
       BERLIN taz | Im Juli 2018 sprach Richter Manfred Götzl [1][das Urteil im
       NSU-Prozess]: lebenslänglich für Beate Zschäpe, Haftstrafen bis zu zehn
       Jahre für vier Mitangeklagte. Es war der erste, vorläufige Abschluss der
       juristischen Aufarbeitung der Rechtsterrorserie. Und womöglich auch der
       letzte?
       
       Denn ein halbes Jahr nach dem Urteil vor dem Münchner Oberlandesgerichts
       hat die Bundesanwaltschaft immer noch nicht entschieden, ob sie weitere
       Helfer des NSU-Trios anklagt – oder nicht. Die Ermittlungen dazu liefen,
       teilte die Behörde diese Woche auf Nachfrage der taz mit. Eingestellt sei
       nichts. Anklagen aber gebe es ebenfalls noch nicht.
       
       Über Jahre hatte das NSU-Trio Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt
       aus ihrem Versteck in Sachsen das Land mit Terror überzogen: Zehn Menschen
       wurden erschossen, neun davon Migranten. Dazu kamen drei Bombenanschläge
       und 15 Raubüberfälle. Dem Trio stand dabei eine ganze Reihe an Helfern zur
       Verfügung – die ihnen Wohnungen, Papiere und Waffen beschafften, womöglich
       auch beim Ausspähen der Tatorte halfen.
       
       Vier der Helfer wurden in München verurteilt: Carsten S., Holger G., André
       Eminger und der frühere NPD-Mann Ralf Wohlleben. Die Bundesanwaltschaft
       aber nahm schon vor Jahren Ermittlungen gegen neun weitere Personen auf –
       acht Sachsen und ein Thüringer –, die das Trio unterstützt haben sollen.
       Diese Verfahren sind aber offenbar ins Stocken geraten.
       
       ## Anklagen „nicht absehbar“
       
       Bundesanwalt Herbert Diemer hatte der taz schon kürzlich am Rande
       [2][seines Zeugenauftritts im Brandenburger NSU-Untersuchungsausschuss
       gesagt,] zu den Ermittlungen gegen die Neun gebe es nichts Neues. Nun
       räumte auch das Bundesinnenministerium auf eine Linken-Anfrage ein, dass es
       in den Verfahren seit Dezember 2017 keine Durchsuchungen mehr gegeben habe.
       Auch die Erhebung von Anklagen sei „noch nicht absehbar“.
       
       Ein Sprecher der Bundesanwaltschaft sagte der taz, die Verdachtsmomente
       gegen die Beschuldigten hätten sich bisher nicht weiter erhärtet, um ein
       Gerichtsverfahren anstreben zu können. Mit wie viel Personal noch ermittelt
       werde, wollte er nicht mitteilen. „Bitte haben Sie dafür Verständnis.“
       
       Offenbar hat die Bundesanwaltschaft damit zu kämpfen, dass die Taten schon
       so lange zurückliegen. Ein Problem liegt aber auch im Münchner NSU-Urteil
       begründet. Denn dort kam etwa André Eminger mit einer zweieinhalbjährigen
       Hafstrafe denkbar glimpflich davon, [3][noch im Gerichtssaal wurde er aus
       der U-Haft entlassen] – obwohl der Sachse der wohl engste Vertraute des
       NSU-Trios war. [4][Mehr als 14 Jahre unterstützte er die Abgetauchten],
       half Zschäpe noch auf der Flucht. Das Gericht indes erklärte, es sei nicht
       sicher zu belegen, dass Eminger etwas von den Terrortaten mitbekam. Wenn
       dies, so fragen sich die Ermittler, nun aber bereits für Eminger gilt, der
       bei den Untergetauchten regelmäßig ein und aus ging, wie hoch liegt dann
       erst die Beweishürde für die anderen Helfer?
       
       Das Bundesinnnenministerium weist aber darauf hin, dass Verjährungen für
       die Unterstützung des NSU-Terrors vorerst nicht anstehen: Diese drohten
       weder dieses noch kommendes Jahr. Zudem werde weiter ein extra Verfahren
       „gegen Unbekannt“ geführt, wo alle neue Hinweise im NSU-Komplex aufgenommen
       werden können.
       
       ## Scharfe Kritik von Opferanwalt
       
       Sebastian Scharmer, Anwalt der Tochter des NSU-Mordopfers Mehmet Kubasik,
       übt scharfe Kritik am Vorgehen der Ermittler. „Der Generalbundesanwalt
       lässt diese Verfahren seit Jahren im Sande verlaufen. Wir glauben nicht
       daran, dass hier überhaupt noch etwas ermittelt wird.“ Scharmer befürchtet,
       dass die Verfahren nur deshalb noch offen gehalten würden, „um den
       Hinterbliebenen des NSU-Terrors oder Untersuchungsausschüssen Auskünfte und
       Akteneinsicht zu verweigern“.
       
       Wer nach dem NSU-Terror auch davonkommen könnte, ist der Verfassungsschutz.
       Denn das Innenministerium teilt nun auch mit, dass im vergangenen Jahr im
       NSU-Komplex keine Präsidenten, Amtsleiter oder V-Personen-Führer des
       Verfassungsschutzes mehr vernommen wurden. Ermittlungsverfahren gegen
       Beamte des Geheimdienstes seien „nicht anhängig“.
       
       Dabei ist bis heute unklar, warum auch der Verfassungsschutz dem Trio
       jahrelang nicht auf Schliche kam, obwohl er etliche V-Leute im Umfeld der
       Untergetauchten hatte – und warum dort kurz nach dem NSU-Bekanntwerden
       Spitzel-Akten geschreddert wurden. Einzig der für das Schredder
       verantwortliche frühere Referatsleiter Lothar Lingen wurde bisher belangt –
       mit einer Geldbuße von 3.000 Euro. Im Gegenzug wurde sein Verfahren wegen
       „Verwahrungsbruch“ eingestellt.
       
       Auch hier übt Scharmer Kritik am Vorgehen der Bundesanwaltschaft. Es gebe
       „klare Anhaltspunkte“, dass es im Verfassungsschutz Wissen über die
       Strukturen des NSU-Netzwerkes gebe, so der Anwalt. Wenn der
       Generalbundesanwalt hier keine Vernehmungen mehr vornimmt, spreche dies
       dafür, dass er „seine bequeme These von einem isolierten Trio nicht
       gefährden“ wolle.
       
       23 Jan 2019
       
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