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       # taz.de -- Seehofer stellt Migrationsbericht vor: Deutlich weniger Asylanträge
       
       > 2018 suchten in Deutschland deutlich weniger Menschen Schutz als im
       > Vorjahr. Ein Abschiebeabkommen mit Italien wird wohl nicht kommen.
       
   IMG Bild: Sind zufrieden: BAMF-Chef Hans-Eckhard Sommer und Innenminister Horst Seehofer (CSU)
       
       Berlin taz | Über den Streit um diese Zahl wäre nicht nur die Große
       Koalition fast nicht zustande gekommen. Auch die Unionsparteien hatten sich
       lange über die vom damaligen CSU-Chef Horst Seehofer [1][geforderte
       „Obergrenze“ von 200.000 Flüchtlingen im Jahr] gestritten. Dieser Wert, so
       erklärte Seehofer am Mittwoch bei der Vorstellung des Migrationsberichtes
       der Bundesregierung , sei von ihm nicht willkürlich gesetzt worden.
       
       Sie ergäben sich vielmehr aus seiner „Erfahrung aus 25 Jahren“. Die zeige
       nämlich, dass genau oberhalb dieses Maßes an Zuwanderung in Deutschland
       Parteien am rechten Rand erblühten: „Damals die Republikaner, heute die
       AfD“, sagte Seehofer.
       
       Dieser Logik zufolge müsste die AfD bereits seit 2017 wieder auf dem
       absteigenden Ast sein, was bekanntermaßen nicht der Fall ist. Die
       Asylzahlen nämlich blieben „deutlich unter Vereinbarungen der Koalition“,
       das war die wichtigste Nachricht, die Seehofer nach einem knappen Jahr im
       Amt verkündete.
       
       162.000 – so viele Menschen haben 2018 in Deutschland einen ersten
       Asylantrag gestellt. Und damit niemand diese Erfolgsmeldung mit
       Zahlentricksereien zu schmälern vermochte, wendete Seehofer die Statistik
       noch etwas: Die Obergrenze sei nämlich auch dann gewahrt, erläuterte er,
       wenn man die freiwillige Aufnahme von Flüchtlingen – im Schnitt etwa 3.500
       im Jahr – und die Familienzusammenführungen dazuzähle, und dafür
       Abschiebungen und freiwillige Ausreisen abzieht. Nach dieser Betrachtung
       ergibt sich ein fast identischer Wert von netto 165.000 Flüchtlingen im
       Jahr.
       
       ## Erhoffte Chancen
       
       Für Seehofer ein Erfolg auf ganze Linie: Die Maßnahmen, etwa das Abkommen
       mit der Türkei und die Personalaufstockung beim Bundesamt für Migration und
       Flüchtlinge hätten „die gewünschte politische Wirkung“ gehabt. Und auch die
       „Balance zwischen Humanität und Steuerung“ sei „bemerkenswert gut“
       geglückt. Weil der Migrationsdruck auch noch viele Jahre anhalte werde,
       versicherte Seehofer, dass es trotz der stark gesunkenen Asylzahlen keinen
       Personalabbau beim BAMF geben werden. Dessen Mitarbeiter würden für
       „Integration und Rückführung“ gebraucht.
       
       Nicht ganz so rund laufe es mit Italien: Seehofer hatte sich fest
       vorgenommen, mit Rom ein Abkommen zur schnelleren Abschiebung von
       Flüchtlingen abzuschließen, die über Italien nach Deutschland gekommen
       waren und deshalb hier kein Asyl bekommen sollen. Das Abkommen sei „fertig“
       sagte Seehofer, aber es werde von Italien „wohl aus innenpolitischen
       Gründen nicht unterschrieben“. Das kann man so sagen: Eben diese
       Dublin-Rückschiebungen nach Italien abzuwehren, ist eines der wichtigsten
       Vorhaben des rechten Innenministers Matteo Salvini.
       
       Im Dezember hatte das Bundeskabinett [2][einen Gesetzentwurf für das
       Fachkräfte-Zuwanderungsgesetz beschlossen.] Die erhofften Chancen für
       abgelehnte Asylbewerber, eine Aufenthaltserlaubis zur Erwerbstätigkeit
       aufzunehmen gab es nicht – die CSU hatte dies verhindert, sehr zum
       Missfallen auch der Wirtschaftsverbände. Jetzt schlug Seehofer andere Töne
       an. Um dem Fachkräftemangel zu begegen, sei es „richtig“, eine solche
       Möglichkeit für Geduldete zu schaffen, sofern diese „gute
       Integrationsansätze“ hätten und straffrei seien.
       
       Begleitet hatte Seehofer der von ihm eingesetzte BAMF-Chef Hans-Eckhard
       Sommer. Auch der hatte nur glänzende Nachrichten: Nur 35 Prozent der
       Asylbegehren hätten Erfolg, zügig und rechtssicher wie seit langem nicht
       sei die Verfahrensabwicklung in seiner Behörde: Drei Monate im Regelfall,
       höchstens zwei Monate in den „Ankerzentren“.
       
       ## Statistische Tricks
       
       Und auch die Gerichte hätten kaum etwas zu beanstanden: „17 Prozent der
       Asylklagen bei den Verwaltungsgerichten gehen heute zugunsten der Kläger
       aus, aber 38 Prozent zugunsten BAMF“, sagte Sommer. In den übrigen Fälle
       würde das Verfahren ohne Entscheidung beendet. Das komme nicht von
       ungefähr: Es gebe heute „keine Behörde in Deutschland, die eine derartige
       Qualitätskontrolle betreibt“ wie das BAMF, sagte Sommer.
       
       Ein „Zerrbild“, sei das, sagte die Linken-Abgeordnete Ulla Jelpke. „Das
       BAMF rechnet sich die Statistiken zu Asylklagen und Asylverfahrensdauern
       schön und die Schutzquote schlecht.“ So entstehe das falsche Bild einer
       hohen Ablehnungsquote und sehr vieler scheinbar ungerechtfertigter
       Asylanträge. Tatsächlich sei jeder zweite vom BAMF erteilte Asylbescheid
       positiv ausgefallen.
       
       Auch die Klagen vor den Verwaltungsgerichten seien in Wahrheit in fast
       einem Drittel der zu Ende verhandelten Klagen zugunsten der Schutzsuchender
       entschieden worden, bei den afghanischen Flüchtlingen gar „um die 60
       Prozent“. „Diese beachtlichen Zahlen sollen offenbar durch statistische
       Tricks verschleiert werden, weil sie nicht zu dem Bild passen, das Seehofer
       und die AfD von den Motiven der Schutzsuchenden zeichnen“, so Jelpke.
       
       Im vergangenen Jahr, so sagte Sommer, sei seine Behörde durch „die Vorgänge
       in Bremen stark verunsichert“ gewesen. Die dortige Staatsanwaltschaft hatte
       im April Ermittlungen gegen die Leiterin der BAMF-Außenstelle in Bremen
       aufgenommen. Diese sollte, so der Verdacht, in rund 1.200 Fällen zu Unrecht
       Asyl gewährt haben. Seehofer hatte damals von einem „handfesten und
       schlimmen Skandal“ gesprochen, die Außenstelle regelrecht abgeschaltet und
       die BAMF-Leiterin Jutta Cordt entlassen – und dafür den CSU-ler Sommer ins
       Amt gehievt.
       
       ## Selbst aufgeblasen
       
       Der „handfeste Skandal“ war auch eine Steilvorlage für Seehofers mit großem
       Getöse angekündigten „Masterplan Migration“. „Ich schaue nicht nur auf
       Bremen – ich will alles reformieren,“ sagte Seehofer damals. Die Sache kam
       ihm wohl durchaus zupass.
       
       [3][Indes war es mit dem Skandal nicht so weit her.] Mittlerweile so sagte
       Sommer nun, seien die Vorgänge in Bremen „im Detail aufgearbeitet.“
       Letztlich seien 145 Fälle „manipulativer Einflussnahme“ entdeckt worden –
       nachdem das BAMF 20.000 Entscheidungen überprüft hatte. Gegen „sechs oder
       sieben“ Mitarbeiter seien Disziplinarverfahren eröffnet worden, gegen zwei
       Personen ermittle die Staatsanwaltschaft.
       
       „Ansonsten ist für das Amt diese Phase Bremen beendet“, sagte Sommer. Seit
       November arbeite das BAMF in Bremen wieder normal. Ob ihm im Angesicht
       dieser Erkenntnisse leid tue, Cordt damals vor die Tür gesetzt zu haben?
       Keineswegs. Die „Entscheidung Cordt hatte mit Bremen zu 100 Prozent nichts
       zu tun“, behauptete Seehofer. Der damaligen BAMF-Leiterin sei „kein
       subjektiver Vorwurf“ gemacht worden. Gefeuert habe er sie wegen der
       „Gesamtsituation“.
       
       23 Jan 2019
       
       ## LINKS
       
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   DIR Christian Jakob
       
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