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       # taz.de -- Abschlussbericht der Kohlekommission: Zerreißprobe für Klimaschützer
       
       > Sie haben gekämpft, aber längst nicht alle Ziele erreicht. Dennoch
       > stimmen die Umweltverbände am Ende zu – im Gegensatz zu vielen
       > AktivistInnen.
       
   IMG Bild: Der Tagebau in Hambach
       
       Berlin taz | Anstrengend dürfte es für alle Beteiligten gewesen sein. Am
       Freitagmorgen pünktlich um 8 Uhr hatten sich die 28 Mitglieder der
       Kohlekommission mit ihren MitarbeiterInnen und den Gästen aus der Politik
       im festlichen Ludwig-Erhard-Saal im Bundeswirtschaftsministerium
       [1][versammelt]. Nur in den ersten Minuten war die Presse dabei und durfte
       beobachten, wie sich alle Beteiligten freundlich begrüßten. Dann folgten 21
       Stunden mit viel Kaffee, Schnittchen, Pizza vom Bringdienst – und extrem
       harten Verhandlungen.
       
       Doch niemand stand in der Nacht vor so schweren Entscheidungen wie die drei
       Vertreter der Umweltverbände. Denn viele Trophäen waren schon im Vorfeld
       verteilt worden: Die Bundesländer hatten ihre [2][Strukturhilfen]
       durchgesetzt, die Konzerne ihre [3][Entschädigungen], die Gewerkschaften
       die Absicherung für die Kohlekumpel. BUND-Chef Hubert Weiger,
       Greenpeace-Geschäftsführer Martin Kaiser und Kay Niebert, Präsident des
       Deutschen Naturschutzrings (DNR), hatten bis zum Beginn der finalen Sitzung
       für ihre Mitglieder hingegen noch nichts herausgeholt.
       
       Die aus ihrer Sicht entscheidenden Frage, wann welche Kraftwerke
       abgeschaltet werden, war bis zuletzt offen geblieben. Und sie hatten sich
       im Vorfeld weit aus dem Fenster gelehnt. „Im Jahr 2030 muss der
       Kohleausstieg abgeschlossen sein“, hatte Kaiser noch kurz vor der letzten
       Sitzung verkündet. „Nur so kann Deutschland seine Klimaziele erreichen.“
       
       Am Samstagmorgen um kurz vor fünf [4][steht fest]: Das letzte deutsche
       Kohlekraftwerk geht nicht 2030 vom Netz, wie die Verbände öffentlich
       gefordert hatten, und auch nicht in der ersten Hälfte der 2030er Jahre, wie
       sie insgeheim gehofft hatten. Sondern 2038. Oder – falls eine Überprüfung
       im Jahr 2032 ergibt, dass es nötig und möglich ist, auch schon 2035.
       Trotzdem haben die Umweltverbände dem Ergebnis zugestimmt.
       
       Wenige Stunden später verteidigen ihre Vertreter diese Entscheidung vor der
       Bundespressekonferenz. „Der Durchbruch ist uns gelungen“, sagt
       DNR-Präsident Niebert. „Das Ergebnis ist ein Mut machendes Signal“, meint
       Weiger. Und auch Greenpeace-Mann Kaiser ist sichtbar müde, aber zufrieden:
       „Das Industrieland Deutschland steigt aus der Kohleverstromung aus.“
       
       Das Enddatum halten sie zwar für deutlich zu spät, und auch den Verzicht
       auf verbindliche Zwischenziele für den Zeitraum zwischen 2022 und 2030
       kritisieren sie scharf. Diese Haltung wollen sie in einem gemeinsamen
       Sondervotum zum Bericht festhalten. Dass sie trotzdem zugestimmt haben,
       liegt vor allem an der ersten Phase des Ausstiegs. Bis zum Jahr 2022 geht
       im Vergleich zu 2017 etwa ein Drittel der Kohlekapazität vom Netz. Ein Teil
       davon war bereits vorher beschlossen. Zusätzlich stillgelegt werden sollen
       Steinkohlekraftwerke mit einer Leistung von rund 4 Gigawatt und
       Braunkohlekraftwerke mit 3 Gigawatt.
       
       Das entspricht etwa sechs mittleren Braunkohleblöcken. Welche das sind, hat
       die Kommission nicht explizit festgelegt. Doch weil mit dem Ausstieg im
       Westen und mit den ältesten Kraftwerke begonnen werden soll, ist ziemlich
       klar, auf welche es hinauslaufen wird: Die vier älteren am Standort Neurath
       und dazu zwei bis drei Blöcke in Niederaußem. Weil alle diese Kraftwerke
       aus den Tagebauen Hambach und Garzweiler II beliefert werden, steht für die
       Umweltverbände fest: „Damit ist der Hambacher Wald gerettet, und ein großer
       Teil der Umsiedlungen kann ebenfalls vermieden werden“, sagt
       Greenpeace-Geschäftsführer Kaiser.
       
       Im Abschlusstext selbst steht das nicht so explizit. Da heißt es nur, die
       Kommission halte den Erhalt des seit Jahren von Klima-AktivistInnen
       besetzten und juristisch umkämpften Waldstücks für „wünschenswert“ und
       schlage einen neuen „Dialog um die Umsiedlungen“ vor. Doch auch
       Tagebau-Betreiber RWE, der einen Erhalt des Hambacher Walds bisher für
       technisch ausgeschlossen erkärt hatte, sagte nun, man sehe den Wunsch der
       Kommission kritisch, sei aber gesprächsbereit.
       
       ## Rettung des Hambacher Walds ist nicht sicher
       
       Dass der Hambacher Wald gerettet ist, davon sind viele KlimaaktivistInnen
       allerdings nicht überzeugt. „Was mit dem Hambi und den Dörfern passiert,
       ist unklar“, erklärte Nike Mahlhaus vom Bündnis Ende Gelände, das in den
       letzten Jahren Aktionen gegen die Braunkohle organisiert hatte. Für sie
       steht fest: „Was die Kohlekommission vorlegt, ist kein Konsens.“ Ende
       Gelände will darum weiter protestieren. Auch von VertreterInnen der
       streikenden SchülerInnen kam scharfe Kritik. Linus Steinmetz, der der
       Kommission am Freitag noch einen offenen Brief überreicht hatte, nannte die
       Einigung auf [5][Twitter] einen „Verrat an uns Jugendlichen“ und kündigte
       an, die Streiks würden fortgesetzt.
       
       Protest kam auch von der Grünen Liga. In der Lausitz sollten
       „Steuermilliarden praktisch ohne Gegenleistung fließen“, kritisierte der
       aus der ostdeutschen Umweltbewegung hervorgegangene Verband. Die
       Vertreterin der Lausitzer Tagebaubetroffenen, Hannelore Wodtke, hatte darum
       als einziges Mitglied der Kommission gegen den Abschlussbericht gestimmt.
       
       ## Weitere Proteste
       
       Auch Greenpeace und andere halten weitere Proteste für notwendig, um den
       Kohleausstieg zu beschleunigen. In der Kommission sei aber nicht mehr
       durchzusetzen gewesen, heißt es. Zwar gab es mit einer zehnköpfigen
       „Klimagruppe“ innerhalb der achtundzwanzigköpfigen Kommission zunächst eine
       Sperrminorität, mit der einige Forderungen von Industrie und Gewerkschaften
       abgewehrt werden konnten. Nachdem jedoch einzelne Mitglieder dieser Gruppe
       in der Nacht zu Samstag signalisiert hatten, mit dem letzten Kompromiss
       leben zu können, hätte ein Ausscheren der Umweltverbände die Entscheidung
       nicht mehr aufhalten können.
       
       Weil das Papier im Vergleich zum Status Quo viele Vorteile bringe und der
       weitgehende Konsens die Umsetzung durch die Politik wahrscheinlicher mache,
       habe man sich am frühen Morgen zur Zustimmung entschieden, hieß es. Nicht
       nur für Greenpeace-Geschäftsführer Kaiser war das nach eigenen Worten „eine
       extrem schwierige Entscheidung“. Man hoffe, dass die Basis die Entscheidung
       verstehe. „Wir wollten nicht den Lindner machen“, sagt DNR-Präsident Kai
       Niebert unter Anspielung auf den Abbruch der Jamaika-Verhandlungen nach der
       Bundestagswahl 2017. „Schlechter Klimaschutz ist besser als gar kein
       Klimaschutz.“
       
       27 Jan 2019
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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