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       # taz.de -- Neues Album der Jazzsängerin Holly Cole: Was für den faulen Nachmittag
       
       > Klassisch, aber gut: „Holly“, das neue Album der kanadischen Jazzsängerin
       > Holly Cole bietet bewährten Jazz mit Pop-Appeal.
       
   IMG Bild: Jazzsängerin Holly Cole, hier bei einem Auftritt in Hamburg
       
       Man hatte sich für gesättigt gehalten, ja fast schon immun dieser Art von
       Musik gegenüber. Von gutem Stoff aus dem Great American Songbook wimmelt es
       nun mal in der Plattensammlung, und auf einige der Stücke und Interpreten
       kommt man durchaus gerne zurück – daher waren Zweifel angebracht,
       angesichts des neuen Albums der kanadischen Künstlerin Holly Cole.
       
       Die 55-jährige Sängerin hat das klassische Jazzrepertoire schon immer mit
       unerschrockenem Pop-Appeal dargeboten und damit auch Hits aus der Ära der
       Tin Pan Alley das allzu Wertkonservative ausgetrieben. [1][Vor über 20
       Jahren traute sie sich mit „Temptation“ ein Album mit lauter
       Tom-Waits-Covern]. Das war mutig und ist mehr als gutgegangen.
       
       Also dann, reingehört – und auf Anhieb drangeblieben bis zum Schluss. Für
       ihr neues Werk, schlicht „Holly“ betitelt, würde ich Frau Coles halbe
       Backlist drangeben.
       
       Das liegt auch an der neuen Band, die Holly Cole beim Löwenanteil der Songs
       im Rücken hat. Was etwa der Pianist und Organist (für einmal in dieser
       Reihenfolge) Larry Goldings abliefert, ist unverschämt vielseitig und
       geschmackssicher. Mal haut er wie ein Stride-Pianist in die Tasten, mal
       begleitet er sparsam und elegant, auf „Teach me Tonight“ zieht er an der
       Hammond B3 genüsslich alle Zuckerwasserregister.
       
       ## Mustergültige Interpretationen
       
       Goldings hat sich an der Seite von John Scofield nach oben gespielt und ist
       hier auch für die Arrangements verantwortlich. Eine Überraschung ist auch
       der Posaunist Wycliffe Gordon, der auch als Holly Coles Gesangspartner mit
       Jimmy-Scott-Timbre in Erscheinung tritt. Als Bläser holt er Scott Robinsons
       Tenorsax-Soli, die wie auf einem Luftkissen dahinschweben, wieder auf den
       Boden der Tatsachen herunter.
       
       Und dann ist da die Sängerin selbst: bezaubernd wie eh, aber auch hörbar in
       den allerbesten Jahren angekommen. Wie sie, je nach Song und Text, in alle
       denkbaren Rollen schlüpft, wie ihre Phrasierung die Message von Mose
       Allisons „Your Mind is on Vacation“ bis zur unmissverständlichen
       Kenntlichkeit durchknetet, das ist dann doch entschieden antikonservativ.
       Auf diese Weise lässt man sich („Your Mouth is working overtime“) gerne für
       dreieinhalb Minuten zur Schnecke machen, im nächsten Song ist ohnehin
       wieder alles anders. Bei „Lazy Afternoon“ liegt man entspannt in der Sonne
       und hört hinter Stimme und Orgel zwischen den Tupfern von Trommel und
       Gitarre das sprichwörtliche Gras wachsen.
       
       Was dieses anspruchsvolle Repertoire der Stimme abverlangt, interpretiert
       Holly Cole so mustergültig wie ihre großen Vorgängerinnen, aber bei allem
       Respekt auch so unbefangen, dass man selbst bei einem Klassiker wie
       Gershwins „I was doing all right“ nicht vor Ehrfurcht erstarrt. Holly Cole
       & Co. glänzen, ohne dafür schuften zu müssen.
       
       ## Ganz weit vorn im Regal
       
       Im Kleingedruckten taucht dann eine Produzenten-Eminenz auf: Russ Titelman,
       inzwischen freischaffend, hat Holly Coles Band zusammengetrommelt, gesellte
       der Chefin bei drei Songs aber auch wieder ihr altes Trio um den Pianisten
       Aaron Davis bei. Was bei „Holly“ sonst noch auf sein Kerbholz geht, ist
       schwer auszumachen, aber Produzenten sind bekanntlich dann am besten, wenn
       sie am Gelingen eines Albums einfach nicht ganz unschuldig sind.
       
       Neulich beim Herumlungern in einem der innerstädtischen Elektrokaufhäuser,
       wo man neben CDs inzwischen wieder Vinyl erwerben kann, sah ich „Holly“
       ziemlich weit vorne im Regal der Jazz-Charts platziert. Ein gutes Zeichen.
       
       30 Jan 2019
       
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