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       # taz.de -- Spielfilm „Glück ist was für Weicheier“: Krankheit, Tod und Pubertät
       
       > Die Tragikomödie „Glück ist was für Weicheier“ erzählt mit erstaunlich
       > viel Witz von einer Zwölfjährigen mit einer todkranken Schwester.
       
   IMG Bild: Wer steht wem zur Seite? Jessica (Ella Frey) und ihr Vater (Martin Wuttke)
       
       Bremen taz | Für das eigene Leben hat die zwölfjährige Jessica noch nicht
       viel Zeit gehabt. Ihre Mutter ist plötzlich gestorben und seitdem ist ihr
       Vater vom Tod besessen. Ihre geliebte ältere Schwester hat eine unheilbare
       Lungenkrankheit und wird auch nicht mehr lange leben.
       
       Kein Wunder also, dass Jessica sich selber bei all den Problemen um sie
       herum noch nicht finden konnte. Mit Bubikopf, in Jeans und T-Shirt ist sie
       kaum als weiblich zu erkennen. In der Schule wird sie deshalb gehänselt und
       „Neutrum“ genannt. Doch ein Mobbingopfer will sie nicht sein: Einem Jungen,
       der ihr die neuen Sportschuhe abnehmen will, antwortet sie mit ein paar gut
       platzierten Schlägen. Aber das macht sie nur noch mehr zur Außenseiterin.
       
       Um dieses Leben zu ertragen, hat sie eine Reihe von Zwängen entwickelt.
       Einige Zahlen sind böse und müssen unbedingt vermieden werden und auch
       sonst gibt nur das magische Denken ihr Hoffnung. Als sie in einem Buch über
       okkulte Praktiken liest, dass beim Beischlaf eine Krankheit von der einen
       auf die andere Person wechseln kann, plant sie, ihrer Schwester einen Mann
       ins Bett zu schicken.
       
       Vor ein paar Wochen kam der Dokumentarfilm [1][„Unzertrennlich“] in die
       Kinos, in dem sogenannte „Geschwisterkinder“ zu Wort kommen, die behinderte
       oder todkranke Brüder oder Schwestern in der Familie haben. Eine eben
       solche Familiensituation spielt die Regisseurin Anca Miruna Lazarescu in
       „Glück ist was für Weicheier“ in der Form einer Tragikkomödie durch, der ab
       heute in den Kinos startet. Der urspüngliche Filmtitel der Drehbuchautorin
       Silvia Wolkan war dementsprechend auch „Das Leben meiner Schwester“. In dem
       Spielfilm kann man viele der in dem Dokumentarfilm geschilderten
       Mechanismen erkennen. So hat Jessica Schwierigkeiten, sich anders als über
       ihre Schwester zu definieren. In der Schule hört sie Sätze wie: „So eine
       Verschwendung, dass die schöne Sabrina stirbt und nicht du.“
       
       ## Überforderte Eltern
       
       Auch die Überforderung der Eltern, in diesem Fall des alleinerziehenden
       Vaters, ist ein elementares Thema in beiden Filmen. Wolkan und Lazarescu
       war es wichtig, dass ihr Film nicht, wie im Genre des „Coming of Age“-Films
       sonst üblich, nur aus der Perspektive der Hauptfigur erzählt wird, sondern
       die Kamera für etwa ein Drittel des Films dem Vater folgt.
       
       Der ist durch den Tod seiner Frau völlig aus der Bahn geworfen. Er
       beschäftigt sich wie besessen mit dem Sterben, verdrängt aber gleichzeitig,
       wie zerstörerisch und endgültig es ist. Er arbeitet ehrenamtlich als
       Sterbebegleiter, lässt sich dabei aber überhaupt nicht auf die jeweiligen
       Patient*innen und ihre Probleme ein, sondern versucht stattdessen, das
       Sterben schönzureden. Er erzählt vom „Orgasmus des Todes“ und gibt den
       Ratschlag „Laden Sie den Tod zum Kaffee ein“.
       
       Wie hilflos der Vater als Seelsorger ist, bringt Lazarescu in einer
       zugleich komischen und tieftraurigen Sequenz auf den Punkt, in der er bei
       einem Sterbenden einen langen Monolog über seinen eigenen Verlust hält und
       dabei gar nicht merkt, dass der, den er trösten soll, während seiner Rede
       verstorben ist.
       
       Bei solchen Szenen zeigt sich, dass die in Rumänien geborene Lazarescu ein
       außergewöhnliches Regietalent ist: Denn wenn da nicht jede Nuance, jedes
       Wort und jede Geste stimmen würde, bekäme der Film einen so falschen Ton,
       dass er kaum noch zu retten ist. Aber Lazarescu gelingt es, ihre Figuren
       zugleich grotesk und liebevoll zu gestalten. Und abgesehen von ein paar
       dummcoolen Schülern in Jessicas Schulklasse schafft sie es auch, Klischees
       zu vermeiden.
       
       So ist die lungenkranke Sabrina alles andere als eine leidende Patientin,
       sondern ein übermütiger Teenager, der am liebsten Horrorfilme anschaut und
       zwar bettlägerig ist, aber doch so über die Stränge schlägt, dass ihr Vater
       im ganzen Haus Internetverbot verhängt hat. Ein Schulpsychologe, zu dem
       Jessica geschickt wird, als sie sich mal wieder gegen ihre Mobber gewehrt
       hat, ist nicht der übliche steife Akademiker, der alles besser weiß und
       nichts versteht, sondern ein Pädagoge voller Empathie, dessen Therapie
       zumindest in Ansätzen hilfreich ist.
       
       Er wird von Christian Friedel („Das weiße Band“) gespielt und auch sonst
       ist der Film bis in die Nebenrollen hochkarätig besetzt. So hat Sophie Rois
       als Hospizleiterin einen kurzen, aber sehr komischen Auftritt. Martin
       Wuttke, bekannt als Tatortkommissar, gibt der Figur des Vaters eine
       bewegende Mischung aus Verzweiflung, gutem Willen und Naivität, aber die
       Entdeckung des Films ist die vierzehnjährige Ella Frey, die sich so
       furchtlos und konzentriert in die Rolle von Jessica eingefühlt hat, dass
       man als Zuschauer in jedem Moment des Films ganz nah bei ihr ist.
       
       „Glück ist was für Weicheier“ spielt in der nordwestdeutschen Provinz und
       wurde zum Teil im niedersächsischen Rinteln und Bad Pyrmont gedreht. Da ist
       nichts geschönt, das Wohnhaus, die Schule und ein Schwimmbad sehen so aus,
       als würde tatsächlich seit Jahrzehnten in ihnen gelebt und gearbeitet. Das
       ist und soll auch kein großes Kino sein, dafür passen hier die Drehorte und
       die Ausstattung genau zur Geschichte.
       
       Der Film überzeugt gerade dann nicht mehr, wenn Lazarescu versucht, mehr
       zu machen, als das kleine Budget erlaubte. So hätte sie etwa besser auf
       eine Sequenz verzichtet, in der der Vater mit dem Auto einen Hirsch anfährt
       und ihn tötet. Denn da kein Geld für eine überzeugende Umsetzung da war,
       wird bei der Montage getrickst. Es gibt nur einen Knall, ein wenig Blut auf
       der Windschutzscheibe, ein großes totes Tier und ein Auto ohne jede Spur
       von einem Unfall. Eine völlig unglaubwürdige Sequenz und auch Wuttke kann
       sie nicht retten, wenn er pathetisch den Kopf des Tierkadavers um
       Verzeihung bittet.
       
       7 Feb 2019
       
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