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       # taz.de -- Kündigungen bei Buzzfeed, Vice und Co: Bumm. Krach. Schepper
       
       > Einst gefeierte Onlinemedien entlassen binnen kurzem 1.300 Leute. Bei
       > „Vice“ in Deutschland will man nun einen Betriebsrat gründen.
       
   IMG Bild: Einst gefeiert – und jetzt? Die Expansionsträume diverser Onlinemedien sind zerbrochen
       
       Berlin taz | In der Berliner Redaktion der Vice beschäftigen sie sich
       gerade mit Themen, die ihnen bisher eher fernlagen: Kontakt zur
       Gewerkschaft aufbauen, das Betriebsverfassungsgesetz lesen, einen
       Betriebsrat wählen. Sie tun das, weil sie um ihre Jobs fürchten. Am
       vergangenen Montag kündigte das Mutterhaus in den USA, Vice Media, an, 250
       Stellen zu streichen – ein Zehntel der weltweiten Belegschaft. Es trifft
       vor allem Büros in den USA, Mexiko und Großbritannien. Was auf die 130
       MitarbeiterInnen in Deutschland zukommt, ist unklar. Ob, und wie viele
       Stellen hier gestrichen werden, weiß niemand. Ob vielleicht sogar ganze
       Verticals geschlossen werden, also die Vice-Ableger, wie etwa die
       Musikredaktion Noisy, oder die Essensredaktion Munchies, weiß auch niemand.
       
       Gegenüber der taz wollten sich Vice-Sprecher zu den Kündigungen nicht
       äußern. Auch gegenüber der Belegschaft hält sich das Unternehmen zurück.
       Die Ankündigung, dass gekündigt wird, kam per Mail. Viel mehr Infos gab es
       seitdem nicht.
       
       Innerhalb der vergangenen zwei Wochen haben neben Vice Media auch Buzzfeed
       und die Huffington Post Entlassungen angekündigt – Buzzfeed entlässt rund
       250 MitarbeiterInnen, Verizon Media, Eigentümer der Huffington Post, 800.
       Die einst so gefeierten Onlinemedien streichen auf einen Schlag zusammen
       1.300 Stellen. Die Huffington Post schließt ihr Deutschland-Büro, das von
       Buzzfeed mit seinen acht MitarbeiterInnen bleibt erst einmal verschont.
       
       Stellenstreichungen sind zwar nichts Ungewöhnliches im Journalismus.
       [1][Zwischen 2008 und 2017 verlor knapp ein Viertel der JournalistInnen in
       den Newsrooms der USA ihren Job]. Das Besondere jetzt ist, welche
       Redaktionen betroffen sind: Medien, die fast ausschließlich im Netz
       publizieren – auf ihren Websites, in den sozialen Medien, in Video- und
       Audioformaten. Buzzfeed, Vice und Huffington Post sind drei der größten
       Player im digitalen Mediengeschäft. Sie haben den Journalismus
       netzkompatibel gemacht, indem sie ihn mit Unterhaltung verbunden und auf
       die sozialen Medien zurechtgeschnitten haben. Und jetzt?
       
       Erfolgsrezept: Reichweite 
       
       Vice startete 1994 als gedrucktes Lifestyle-Magazin und etablierte eine
       Art Borderline-Journalismus, berichtete vor allem über Drogen, Partys, Sex,
       Internet. 2013 beteiligte sich Rupert Murdoch via 21st Century Fox mit 70
       Millionen an dem Unternehmen. Mittlerweile betreibt Vice mit Viceland sogar
       eigene Fernsehsender. Die Huffington Post startete 2005 als Online-Magazin.
       HuffPo-Mitgründer Jonah Peretti zog weiter und gründete 2006 Buzzfeed.
       
       Buzzfeed galt mit seiner Mischung aus Nachrichten und leicht bekömmlichen
       Inhalten lange als schlechter journalistischer Witz. Dann aber verwandelte
       es sich in das angebliche Erfolgskonzept für profitable News im Netz.
       Anfang der 2010er Jahre versprach Buzzfeed vor allem eines: Reichweite, und
       zwar über die sozialen Netzwerke, die sich zum primären Nachrichtenkanal
       der sogenannten Millenials entwickelten. 150 Millionen Besuche verzeichnete
       Buzzfeed monatlich im Jahr 2014. Zum Vergleich: Die New York Times sprach
       damals [2][von 30 Millionen Besuchen auf der Website]. Investoren sahen
       darin den Schlüssel zu einem jüngeren Werbepublikum.
       
       Investitionsfirmen pumpten Hunderte Millionen Wagniskapital in das
       Start-up. Die Investoren hofften auf Profite durch virales Marketing und
       Native Advertising – Werbung, die wie redaktioneller Inhalt aussieht. Der
       Wert von Buzzfeed wurde 2015 [3][auf 1,5 Milliarden Dollar] geschätzt.
       
       Es folgte der große Rausch: Büros weltweit, rasant wachsende Teams. Die
       Redaktionen lockten mit paradiesischen Arbeitsbedingungen: Bei Buzzfeed
       spendierte man Austern und Muscheln zum Mittag. Vice veranstaltete
       dekadente Partys für die MitarbeiterInnen, die in den Büros oft Überstunden
       schrubben. Work Hard, Play Hard. Im Zusammenhang mit Vorwürfen sexueller
       Belästigung im [4][Herbst 2017] gestand die Vice, anfangs ein „Jungs-Klub“
       gewesen zu sein. Diese Mentalität beherrschte auch die anderen
       Digitalmedien. Auch sie entstanden, weil ein paar junge Leute sich
       zusammenhockten und ein Geschäft aufbauten. Ahnung vom Business hatten die
       wenigsten. Egal. Der Erfolg gab ihnen recht. Dann aber kamen erste Zweifel
       auf. Buzzfeed etwa korrigierte seine Umsatzprognosen von Jahr zu Jahr nach
       unten. Bis heute haben die Investoren kaum Profite gesehen.
       
       Problem: extrem Abhängig von Facebook 
       
       Was Buzzfeed, Vice und Co falsch gemacht haben? Darauf findet man
       unterschiedliche Antworten. Vielleicht haben sie zu viel versprochen, ihre
       Möglichkeiten überschätzt. Vielleicht war es falsch, von ständigem Wachstum
       auszugehen in einem Markt, der sich weiter fragmentiert.
       
       Dazu kommt, dass Buzzfeed, Vice, HuffPo und die anderen sogenannten
       Online-Natives abhängig sind von den großen Plattformbetreibern Facebook
       und Google. Kaum jemand tippt www.vice.com in seinen Browser ein. Das
       Publikum kommt über soziale Medien: YouTube, Instagram, Facebook. Sobald
       deren Betreiber ihre Algorithmen verändern oder falsche Zahlen herausgeben,
       wird das zum existenziellen Problem.
       
       Ab 2015 zum Beispiel entstand in der Branche ein Video-Hype. Facebook hatte
       behauptet, Anzeigen ließen sich neben Videos besser verkaufen als neben
       Text. Also zogen die Redaktionen Personal aus dem Bereich Text ab, um mehr
       Videos zu produzieren. Ende 2016 kam heraus: Facebooks Video-Zahlen
       [5][waren aufgeblasen.] Anfang 2018 veränderte das Netzwerk dann seinen
       Algorithmus und platzierte die Statusmeldungen von Freunden höher als die
       der [6][Nachrichtenredaktionen.] Die Besuchszahlen bei Vice und Buzzfeed
       brachen radikal ein.
       
       Während die vielversprechenden Digitalen nun Leute entlassen, geht es
       Facebook fantastisch. Knapp 17 Milliarden Dollar hat das Unternehmen allein
       im 4. Quartal 2018 eingenommen, reiner Gewinn: 6,9 Milliarden. Trotz aller
       Vorwürfe über Manipulation und Fake News steht Facebook besser da denn je.
       
       Unabhängigkeit wagen 
       
       Schon länger versuchen die Online-Natives daher unabhängiger zu werden.
       Oder ringen zumindest um eine bessere Verhandlungsposition. Buzzfeed-Chef
       Peretti hat im November eine [7][Fusion mit anderen Online-Medien]
       vorgeschlagen. Seit Kurzem kooperiert Buzzfeed zudem mit dem Unternehmen
       Group Nine, an dem auch der deutsche Springer-Konzern beteiligt ist. Es
       geht darum, Messinstrumente zu entwickeln, um Website-Aufrufe besser
       einschätzen zu können.
       
       Dazu versuchen die Redaktionen neue Einnahmen zu erschließen. Das
       funktioniert bei Buzzfeed beispielsweise mit seinem Essens-Ableger Tasty.
       Dort werden Kochvideos produziert in Kooperation mit Walmart. Die
       Kochrezepte werden als Kochbuch veröffentlicht, auch das bringt Geld. 2017
       verdiente Buzzfeed rund ein Viertel seines Umsatzes mit solchen Konzepten,
       außerhalb der klassischen Werbung.
       
       Aber auch mit besserer Verhandlungsposition gegenüber Facebook und neuen
       Geldquellen bleibt das Grundproblem: Die Preise für Onlinewerbung sinken
       stetig.
       
       Gerade erst hat Buzzfeed seinen größten Scoop gefeiert. Ein Reporter
       veröffentlichte das Dossier eines ehemaligen Geheimdienstlers, das beweisen
       soll, dass Donald Trump Verbindungen zu Russland pflegt.
       
       Gutes Personal 
       
       Auch die deutschen Ableger produzieren längst Qualität. Buzzfeed
       Deutschland wird [8][geleitet von dem ehemaligen Correctiv-Mitbegründer
       Daniel Drepper mit investigativem Anspruch]. Chefin der deutschsprachigen
       Vice ist die frühere Stern-Journalistin Laura Himmelreich. Was das Personal
       angeht, trennt diese Medien nichts mehr von den etablierten Redaktionen.
       
       Im Berliner Büro der Vice hängt seit Freitagmorgen die Einladung: Zusammen
       mit Verdi will die Belegschaft einen Betriebsrat gründen. Unterschrieben
       haben 20 der 130 MitarbeiterInnen, inklusive drei Führungskräfte. Ihr
       Vorbild ist die „[9][Vice Union]“ der US-Belegschaft. Die Geschäftsführung
       des deutschsprachigen Vice teilt mit, dass sie die Gründung des
       Betriebsrats respektiere und sich auf eine produktive Zusammenarbeit freue.
       
       In den USA, wo das Arbeitsrecht laxer ist, haben die entlassenen Kollegen
       auch angefangen, sich zu organisieren – allerdings auf eine andere Art. Ein
       gekündigter Buzzfeed-Mitarbeiter hat eine Website aufgesetzt: „[10][Hire a
       Buzzfeeder]“, eine Stellenbörse, auf der sich geschasste Ex-Buzzfeeder
       vorstellen. 133 Leute inserieren dort.
       
       8 Feb 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.pewresearch.org/fact-tank/2018/07/30/newsroom-employment-dropped-nearly-a-quarter-in-less-than-10-years-with-greatest-decline-at-newspapers/
   DIR [2] https://de.scribd.com/doc/224332847/NYT-Innovation-Report-2014
   DIR [3] http://fortune.com/2015/07/31/buzzfeed-nbc-universal-valuation/
   DIR [4] /Nach-New-York-Times-Recherche/!5473338
   DIR [5] https://www.wsj.com/articles/facebook-overestimated-key-video-metric-for-two-years-1474586951
   DIR [6] /Medienreaktion-auf-Update-von-Facebook/!5475507
   DIR [7] https://www.nytimes.com/2018/11/19/business/media/buzzfeed-jonah-peretti-mergers.html
   DIR [8] /Der-andere-Rechercheverbund/!5456940
   DIR [9] http://www.viceunion.org/
   DIR [10] https://hireabuzzfeeder.herokuapp.com/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Anne Fromm
   DIR Peter Weissenburger
       
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       „Buzzfeed“ bringt bereits seit Jahren Hintergründe und News. Nun will es
       auch in Deutschland eigene Themen setzen und vor allem: recherchieren.