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       # taz.de -- Linker Innenpolitiker über Rot-Rot-Grün: „Der Innensenator lässt sich treiben“
       
       > Die SPD bremst bei Bürgerrechten, weil Linke und Grüne nicht mehr Kameras
       > wollen. Beim Thema innere Sicherheit knirscht es, weiß Niklas Schrader.
       
   IMG Bild: Niklas Schrader im Berliner Abgeordnetenhaus
       
       taz: Herr Schrader, wo bleibt der Polizeibeauftragte, den Berlin laut
       rot-rot-grüner Koalitionsvereinbarung bekommen soll? 
       
       Niklas Schrader: Ich gehe davon aus, dass der Polizeibeauftragte Anfang
       2020 kommt. Der Gesetzeswurf dafür steht weitgehend.
       
       Das hieß es schon letztes Jahr. Wo klemmt' s? 
       
       Die SPD hat den Polizeibeauftragten und andere Punkte, die wir im
       Koalitionsvertrag vereinbart haben, gestoppt. Hintergrund ist, dass wir in
       der Koalition einen Konflikt um das ASOG haben.
       
       Die SPD will das Berliner Polizeigesetz ASOG verschärfen. Sie will die
       elektronische Fußfessel für Gefährder einführen, den finalen Rettungsschuss
       für die Polizei und einiges mehr – richtig?
       
       Die Wunschliste der SPD ist ziemlich lang. Auch die Telefonüberwachung
       mittels stiller SMS zur Gefahrenabwehr gehört dazu. Nichts von all dem
       steht in der rot-rot-grünen Koalitionsvereinbarung.
       
       Sie sind erst seit kurzem innenpolitischer Sprecher der Linken. Ihr
       Vorgänger, Hakan Taş hatte den Wünschen der SPD eine klare Absage erteilt.
       Wie sehen Sie das? 
       
       Der Sprecherwechsel bedeutet keinen Kurswechsel. Hakan und ich haben in
       diesen Fragen eng zusammengearbeitet.
       
       Welchem Flügel bei den der Linken gehören Sie an? 
       
       Ich gehöre keiner Strömung an. Ich bin jemand, der daran glaubt, dass die
       Linken über Regierungsbeteiligungen etwas erreichen können. Dass wir nicht
       nur radikale Oppositionsarbeit machen können. Ob so oder so, ich bin einer,
       der die Bürgerrechte hochhält und bewahren möchte.
       
       Wie könnte Bewegung in die festgefahrene Debatte mit der SPD kommen? 
       
       Indem der Koalitionsvertrag umgesetzt wird: Polizeibeauftragter, Reform des
       Versammlungsgesetzes, Volksabstimmungsgesetz, Transparenzgesetz – all das
       muss umgesetzt werden. Das darf nicht davon abhängig gemacht werden, ob wir
       der SPD weitergehende Befugnisse für die Polizei im ASOG einräumen.
       
       Was heißt das konkret? 
       
       Ich erwarte von der SPD ein Einlenken. Dass sie die Punkte, die gravierende
       Grundrechtseinschränkungen bedeuten, vom Tisch nimmt. Dann kann man gucken,
       ob man bei weniger gravierenden Dingen einen Kompromiss schmiedet. Bei der
       Fußfessel und dem Rettungsschuss zum Beispiel ist vollkommen klar, dass wir
       da nicht mitgehen. Unter dem Strich darf keine Verschärfung des
       Polizeigesetzes herauskommen.
       
       Sehen Sie bei der Telefonüberwachung Spielraum? 
       
       Das kommt auf das Gesamtergebnis an. Um die Verhandlungen nicht zu
       erschweren, möchte ich darauf aber nicht detailierter eingehen. Wir werden
       jedenfalls nichts machen, das der anlasslosen Überwachung die Tür öffnet.
       
       Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) soll kürzlich im
       Koalitionsausschuss über ideologisches und kleinteiliges Denken seiner
       Koalitionspartner geklagt haben. Ziehen Sie sich den Schuh an? 
       
       Nein. Wir haben eine klare bürgerrechtliche Linie. Wir sind da viel klarer
       als die SPD. Aber wir sind durchaus bereit, mit der SPD und den Grünen eine
       rationale Sicherheitspolitik zu machen
       
       Was verstehen Sie darunter? 
       
       Die Polizei da stärken, wo sie es nötig hat. Was den Umgang mit den
       kriminalitätsbelasteten Orten angeht, sind wir mit Innensenator Geisel
       durchaus einer Meinung. Mit mehr Einsatzkräften und einer klugen,
       kiezorientierten Polizeiarbeit haben wir es geschafft, am Alex und am Kotti
       die Kriminalität deutlich zu senken. Das gilt auch für die
       Gewaltkriminalität. Beim Taschendiebstahl ist es gelungen, die Zahlen
       dadurch zu senken, dass die Strukturen hinter den Taten ermittelt wurden.
       Das hat alles nichts mit mehr Befugnissen für die Polizei zu tun oder mit
       Videoüberwachung. Und da frag ich mich schon, warum stärken wir diese
       erfolgreichen Ansätzen nicht? Warum vertreten wir das nicht selbstbewusst,
       anstatt uns von der Opposition treiben zu lassen?
       
       Heißt dass, Sie fühlen sich von der Initiative des früheren
       CDU-Justizsenators Thomas Heilmann getrieben, der ein Volksbegehren zur
       Ausweitung der Videoüberwachung gestartet hat? 
       
       Nein. Aber mein Gefühl ist, Innensenator Geisel lässt sich treiben. Das
       kriegen wir zu spüren.
       
       In einem Interview hat Geisel gerade bekräftigt, dass er Videoüberwachung
       an kriminalitätsbelasteten Orte einführen möchte. Insbesondere die Linke
       müsste sich bewegen. Sonst drohe die Variante Heilmann, also deutlich mehr
       Videoüberwachung, weil das Volksbegehren gute Aussichten auf Erfolg habe. 
       
       Ich teile Geisels Einschätzung nicht. Dass das Volksbegehren gewinnen wird
       und man dagegen nichts tun kann, zeugt von wenig Selbstvertrauen.
       
       Die erste Hürde für ein Volksbegehren hat die Heilmann-Initiative bereits
       genommen. Wenn es gelingt in der zweiten Stufe 170.000 Unterschriften zu
       sammeln, wäre der Weg frei für einen Volksentscheid. 
       
       Ich glaube, dass es gar nicht so weit kommt, weil ich die berechtigten
       Zweifel des Senats an der verfassungsmäßigen Zulässigkeit des Volksbegehren
       teile. Aber selbst wenn: 170.000 Unterschriften sind kein Pappenstiel. Das
       muss man erst mal schaffen. Dazu braucht man viele Leute. Das ist ja kein
       Volksbegehren, das an der Basis entstanden ist…
       
       … so wie der Fahrradvolksentscheid.
       
       Ja. Das sind ein paar Funktionäre und der Millionär Herr Heilmann, die das
       am Laufen halten. Ich denke, dass wir gute Argumente haben, mit denen wir
       die Bevölkerung überzeugen können. Diese Initiative will eine weitgehend
       grenzenlose Videoüberwachung einführen mit modernster intelligenter
       Videotechnik wie Gesichtserkennung und so weiter.
       
       Das Volksbegehren tritt für 1.000 Kameras an 50 Orten ein. 
       
       Geisel unterliegt einem Trugschluss, wenn er glaubt, er kriegt das
       Volksbegehren mit ein bisschen Videoüberwachung vom Tisch. Man kann
       Videoüberwachung nicht mit Videoüberwachung bekämpfen.
       
       Die Grünen haben auf ihrem letzten Parteitag im November erklärt,
       Videoüberwachung könne maximal anlassbezogen und zeitlich begrenzt
       erfolgen. Sind die Grünen offener für Videoüberwachung als die Linken? Gibt
       es da einen Dissens? 
       
       Eigentlich nicht. Aber manchmal werde ich schon gefragt, weshalb die Grünen
       so zurückhaltend bei dem Thema sind. Nach außen erscheinen aber schon wir
       Linken mehr als die, die gegen Videoüberwachung kämpfen. Das ist kein
       wirksames Instrument gegen Kriminalität. Sich trotzdem darauf einzulassen,
       hieße, die gleiche Symbolpolitik zu machen, wie es das Volksbegehren
       propagiert. Außerdem: das Volksbegehren wäre damit ja nicht vom Tisch. Ich
       glaube nicht, dass der Heilmann-Initiative an Kompromissen gelegen ist. Die
       wollen einen Sieg erringen und den Senat beschädigen.
       
       Was sagt Geisel, wenn Sie ihm das vorhalten? 
       
       Er sehe das anders. Die Heilmann-Initiative habe gute Erfolgsaussichten.
       Mein Eindruck ist, dass Geisel das Volksbegehren auch dazu benutzt, um uns
       unter Druck zu setzen.
       
       Warum sollte er das tun? 
       
       Weil er seine eigene Videoüberwachung durchbringen will, klar.
       
       Haben Sie sich Regieren so vorgestellt? 
       
       Ja, das war mir durchaus klar. Aber mir persönlich macht es Riesenspaß,
       auch wenn es manchmal sehr anstrengend und schwierig ist.
       
       Haben Sie Ihre Grundsätze in der Koalitionszeit schon mal über Bord
       geworfen? 
       
       Nein. Es muss einem in einer Koalition aber klar sein, dass man nie alles
       kriegt, was man will. Aber wenn es an die Grundsätze geht, muss man sich
       irgendwann die Frage stellen, ob man so eine Koalition noch mittragen will.
       An den Punkt sind wir aber noch nicht gekommen.
       
       Wann wäre so ein Punkt erreicht? 
       
       (lacht) Ich werde jetzt nicht einzelne Punkte aus dem ASOG nennen, die aus
       meiner Sicht Grundsätze wären. Gegen meine Grundsätze wäre aber schon, dass
       wir schwere Grundrechtseingriffe beschließen, die sicherheitspolitisch
       nichts bringen. Dass wir Politik für die Schlagzeilen machen um
       Handlungsfähigkeit zu demonstrieren, obwohl das effektiv nichts bringt,
       außer, dass die Freiheit der Leute eingeschränkt wird. Wenn dieses
       Grundprinzip infrage steht, wäre für mich Schluss in der Koalition.
       
       11 Feb 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Plutonia Plarre
       
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