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       # taz.de -- Statistik zu rechten Gewalttaten: Bremens unbekannter Mordversuch
       
       > In Bremen hat es 2018 einen rechten Mordversuch gegeben, erklärt die
       > Bundesregierung. Der Fall war der Öffentlichkeit bislang unbekannt.
       
   IMG Bild: Rechte TäterInnen verschwinden nur in der Statistik.
       
       Bremen taz | Seit Jahren ringen Opferberatungen und Behörden um die
       Erfassung und Anerkennung von Opfern rechter Gewalt. Dass sich die
       offizielle Zahl von Toten rechtsextremer Angriffe nun von 83 auf 85 erhöht
       hat, geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der
       Linkspartei von Ende Januar hervor, die der taz vorliegt (siehe Kasten).
       Ein vollendeter Totschlag und sechs Tötungsversuche werden darin für 2018
       vorläufig aufgezählt. Darunter ist auch ein Mordversuch in Bremen von
       Anfang 2018. Das aber sorgt hier für Verwunderung: Über die Tat ist in der
       Stadt bislang öffentlich nichts bekannt.
       
       „23. Januar 2018, Bremen, 1 Tatverdächtiger“, diese Angaben stehen in der
       Tabelle, die rechts motivierten Tötungsdelikte für 2018 auflistet. Die Tat
       ist in keiner Pressemitteilung der Polizei oder Staatsanwaltschaft erwähnt.
       
       Die Bundestagsabgeordnete Martina Renner (Linke) hatte die Anfrage
       erstellt. „Der versuchte Mord in Bremen ist der nächste Fall, bei dem
       Polizei und Staatsanwaltschaft die Öffentlichkeit im Unklaren lassen“, sagt
       sie. Das Verschweigen rechter und rassistischer Tatmotive habe in der
       Bundesrepublik Tradition. Davon zeugten auch die äußert lückenhaften
       BKA-Statistiken. „Die Tötungsdelikte seit 2016 belegen einmal mehr, dass
       rechte Gewalt eine immense Bedrohung in Ost- und West zugleich ist“, findet
       Renner.
       
       Auch Kristina Vogt, Fraktionschefin der Bremer Linken, zeigte sich
       verwundert, dass eine Öffentlichkeitsarbeit der Polizei und
       Staatsanwaltschaft zu der Tat ausblieb. „Solche Delikte dürfen nicht
       verschwiegen werden, es sei denn aus sehr guten Gründen.“ Sie kündigte an,
       das in der Bürgerschaft zu thematisieren.
       
       Zuständig für die Erfassung politisch motivierter Straftaten sind die
       Landesbehörden. Auf Nachfrage der taz erklärte die Bremer
       Staatsanwaltschaft am Montag zu dem Fall: Die Tat habe sich gegen einen
       50-Jährigen gerichtet und sich während der Arbeit in einer
       Behindertenwerkstatt ereignet. Der Geschädigte, der gebürtig aus dem Iran
       stamme, habe unter anderem Prellungen und eine Platzwunde am Kopf erlitten.
       Der Täter leide an einer Variante von Autismus, besondere politische
       Aktivitäten seien von ihm nicht bekannt geworden. „Er hatte seit dem Jahr
       2008 eine Angst vor Muslimen entwickelt“, erklärte die Staatsanwaltschaft.
       
       Das Landgericht Bremen hat ihn laut Staatsanwaltschaft im Oktober 2018
       wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu
       einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und seine Unterbringung in
       einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Dazu, warum über die als
       rechts motiviert gemeldete Tat nicht informiert wurde, könnten leider keine
       konkreten Angaben mehr gemacht werden.
       
       Seit Jahren gehen die Statistiken über Taten mit rechtsextremem oder
       rassistischem Hintergrund von staatlichen Stellen und
       zivilgesellschaftlichen Opferberatungen auseinander. Während die
       Bundesregierung seit 1990 nun insgesamt 85 Delikte mit Todesfolge erfasst,
       listet etwa die [1][Amadeu-Antonio-Stiftung bis Mitte 2018 „mindestens 194
       Todesopfer“] auf. Der Tagesspiegel und Zeit Online kommen [2][in einer
       Langzeitrecherche] auf „mindestens 169“ Todesopfer.
       
       Von 1949 bis 1990 wurde rechtsextreme Gewalt nicht systematisch erfasst.
       Erst nachdem 1989 die Gewalttaten massiv anstiegen waren, wurde begonnen,
       Opfer und Angriffe zu registrieren. Angriffe auch auf Homosexuelle,
       Behinderte und Obdachlose wurden lange nicht als Staatsschutzdelikte
       eingeordnet. Die Kritik führte erst 2001 zur Einführung des
       Definitionssystems „Politisch motivierte Kriminalität“.
       
       ## Beratungsstellen kritisieren Verharmlosung
       
       Beratungsstellen kritisieren, Taten würden schon dann oft nicht mehr als
       politisch rechts erfasst, wenn bei den Ermittlungen ein solches Tatmotiv
       nicht mitgedacht wird. In anderen Fällen würden Auseinandersetzungen als
       Streit unter Jugendlichen verharmlost.
       
       Die Schwierigkeit bei der Erfassung der Taten offenbart sich in der Antwort
       der Bundesregierung auch in Bezug auf einen Sprengstoffanschlag am
       S-Bahnhof Hamburg-Veddel, einem Stadtteil, in dem viele MigrantInnen
       wohnen. Am 29. Oktober 2018 verurteilte [3][das Landgericht Hamburg den
       Täter Stephan K. zu einer zehnjährigen Haftstrafe]. K. war bereits [4][vor
       26 Jahren zu achteinhalb Jahren Haft verurteilt worden] – wegen der
       Ermordung des ehemaligen Kapitäns [5][Gustav Schneeclaus], weil dieser
       Adolf Hitler als Verbrecher bezeichnet hatte. Der Mord an Schneeclaus zählt
       ganz offiziell als rechts motiviert.
       
       Im Oktober erklärte die Richterin dann, K. sei womöglich nicht mehr
       strukturell in der rechtsextremen Szene verankert, habe aber „bis heute
       eine rechtsextreme Gesinnung“ und sei ein „glühender Anhänger Adolf
       Hitlers“. Ausländerfeindliche Anschlagspläne könne sie dennoch nicht
       feststellen. In der Statistik des Innenministeriums gehen solche Nuancen
       unter. Die Tat in Hamburg sei „keinem Phänomenbereich zugeordnet“, heißt es
       dazu.
       
       11 Feb 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.opferfonds-cura.de/zahlen-und-fakten/todesopfer-rechter-gewalt/
   DIR [2] https://www.tagesspiegel.de/politik/interaktive-karte-todesopfer-rechter-gewalt-in-deutschland-seit-der-wiedervereinigung/23117414.html
   DIR [3] /!5543689/
   DIR [4] /!5469497/
   DIR [5] /!5489072/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jean-Philipp Baeck
   DIR Andreas Speit
       
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