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       # taz.de -- Indiens Hindu-Fest Kumbh Mela: Wahlkampf mit 120 Millionen Pilgern
       
       > Zurzeit findet das weltgrößte Pilgerfest in Indien statt. Die
       > hindu-nationalistische Regierung instrumentalisiert die Feierlichkeiten
       > jedoch für Wahlpropaganda.
       
   IMG Bild: Gläubige beim Bad im Ganges in Prayagraj, dem früheren Allahabad
       
       Pune taz | Seit Wochen werben mehrseitige Zeitungsannoncen, Spots im
       Fernsehen und in den sozialen Medien für das Pilgerfest Kumbh Mela („Fest
       des Kruges“) am Ganges. Dort in der Stadt Allahabad, die gerade den
       Hindu-Namen Prayagraj erhielt, schmücken Hunderte riesige Werbetafeln alle
       Straßen, die vom Bahnhof zum gut gefüllten Festplatz führen.
       
       Die meisten zeigen Premierminister Narendra Modi und den Regierungschef des
       hiesigen Unionsstaates Uttar Pradesh, den Hindu-Mönch Yogi Adityanath. Sie
       tragen Slogans wie „Modi führt den Kampf, wir stehen hinter ihm“.
       
       Tausende überlebensgroße Pappständer mit dem Bild der Politiker, die über
       das Festgelände verteilt wurden, treffen nicht bei allen auf Zustimmung:
       „Ein unverschämter Missbrauch eines religiösen Festes“, urteilt die
       Pilgerin Kusum Sharma aus Zentralindien. „Die Leute durchschauen dieses
       Spiel doch“, sagt Abhilash Narain, ein Anwohner.
       
       Das hinduistische Badefest Kumbh Mela gilt als größte Menschenansammlung
       der Welt. Im Laufe der 48 Tage vom 15. Januar bis zum 4. März werden 120
       Millionen Pilger aus ganz Indien und Touristen aus aller Welt erwartet.
       
       ## Eigentlich ist das Großspektakel erst 2025 dran
       
       Eigentlich findet das Spektakel alle zwölf Jahre statt. Erst 2025 stehen
       die Sterne wieder so günstig, dass ein Bad im heiligen Ganges von allen
       Sünden reinwäscht und Eingang ins hinduistische Paradies Nirvana
       garantiert. Alle sechs Jahre wird ein kleineres Fest, die „halbe“ Kumbh,
       gefeiert.
       
       Doch im April und Mai finden in Indien Parlamentswahlen statt, und so wird
       das religiöse Großereignis auch zu einem politischen gemacht. Die
       Landesregierung hat den Festetat von 12 (2013) auf 42 Milliarden Rupien
       (500 Millionen Euro) erhöht, hat neue Straßen und Brücken bauen lassen,
       95.000 Toiletten auf- und 18.000 Reinigungskräfte eingestellt.
       
       Die Regierung will zeigen, dass sie das Massenereignis effektiv
       organisieren kann, und nutzt die religiösen Gefühle für ihre Propaganda.
       Denn es ist nicht sicher, ob die regierende hinduistische Volkspartei BJP
       bei den Wahlen ihre Macht verteidigen kann.
       
       Schon im Morgengrauen ist an den Badestellen Hochbetrieb. Es ist
       bitterkalt, die Besucher schützen sich mit Decken und wärmen sich an
       Feuern.
       
       Da ertönen Fanfaren und Trommelwirbel, und jubelnd nähert sich im
       Laufschritt eine Meute Tausender nackter aschebeschmierter Asketen. Ihre
       langen, verfilzten Haare flattern im eisigen Wind, doch in den Gesichtern
       ist schiere Ekstase zu sehen, wenn sie sich in die kalten Fluten stürzen.
       Die Tradition gewährt der Sekte der nackten Naga-Sadhus (Asketen) das
       Privileg, das heilige Bad zu eröffnen.
       
       ## Mission für einen Hindustaat
       
       Die Gemeinschaft der Hindus hat keine verfasste Kirche, keine gewählten
       Amtsträger, nicht einmal eine allgemeingültige Liturgie. Hunderte Kulte und
       Glaubenslehren wetteifern um die Gläubigen, darunter auch eine politische
       Ideologie, die Indien in einen Hindu-Staat überführen will – Hindutva.
       
       Ihre Anhänger wollen die diversen Kasten und Glaubenslehren einen, um
       Indien stark zu machen. Als Feindbilder dienen der Islam, der 500 Jahre
       Indien beherrschte, sowie die christliche Mission.
       
       Religiösen und anderen Minderheiten werden Rechte abgesprochen, ein
       antiquiertes Frauenbild verteidigt, die traditionelle Elite der Brahmanen
       verehrt.
       
       Vor allem der 1925 gegründete Verband Rashtriya Swayamsevak Sangh
       („Nationale Freiwilligenorganisation“ – RSS) propagiert diese Ideologie. Im
       Laufe der Jahre rief der RSS viele Verbände und Kampfgruppen ins Leben, die
       Hindutva in fast alle Bereiche des Lebens tragen.
       
       Aus ihren Reihen kamen auch die Mörder Mahatma Gandhis, der ihnen zu
       muslimfreundlich war. Am antikolonialen Freiheitskampf hatte der damals
       noch unbedeutende RSS nicht teilgenommen.
       
       ## Kampf gegen Minderheiten
       
       Nach der Unabhängigkeit schuf er die politische Partei BJP, die heute die
       Macht in vielen Bundesstaaten und in der Zentrale innehat. Sie arbeitet
       daran, Bildungssystem und Geschichtsschreibung nach Hindu-Fasson zu
       „reformieren“, drängt systematisch Rechte und Einfluss von Minderheiten,
       insbesondere der Muslime, zurück.
       
       Der größte Propagandaerfolg war die Zerstörung der Babri-Moschee im
       nordindischen Ayodhya 1992 durch fanatisierte Jugendliche. An derselben
       Stelle soll nach dem Willen des RSS ein Tempel für den Hindugott Rama
       entstehen.
       
       Doch ein vor Indiens oberstem Gericht anhängiges Verfahren um historische
       Rechte hat bislang den Baubeginn verhindert. Die hinduistische Kampftruppe
       Vishnu Hindu Parishad („Welt-Hindu-Rat“ – VHP), die die Zerstörung der
       Moschee maßgeblich organisierte, hat für den 30. Januar ein Treffen von
       Hindu-Mönchen auf dem Gelände der Kumbh Mela angekündigt. Sie will von den
       Asketen das Mandat zum Bau des Rama-Tempels erhalten.
       
       Doch inzwischen nutzt auch die Opposition das Pilgerfest. Am Sonntag badete
       Akhilesh Yadav, Uttar Pradeshs Ex-Regierungschef von der oppositionellen
       Samajvadi-Partei, im Ganges. Laut der Zeitung The Hindu wollen aus der
       oppositionellen Kongresspartei der Vorsitzende Rahul Gandhi und seine
       Schwester Priyanka, die künftig im Osten Uttar Pradeshs die Partei führt,
       am 4. Februar ein Bad nehmen und damit Priyankas Amtsbeginn einläuten. Ihre
       Mutter, Ex-Kongresschefin Sonia Gandhi, badete dort schon 2001.
       
       30 Jan 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Rainer Hörig
       
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