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       # taz.de -- Kinderlungenärzte zu Luftschadstoffen: Stickoxide machen krank
       
       > Selbst Föten im Mutterleib sollen Schädigungen davon tragen, sind die
       > Mütter dauerhafter Luftverschmutzung ausgesetzt.
       
   IMG Bild: Frische Luft ist besser für die Lungen
       
       Berlin taz | Im Streit um die Schädlichkeit von Stickoxiden und Feinstaub
       melden sich nun Kinderlungenärzt*innen zu Wort. Die Gesellschaft für
       Pädiatrische Pneumologie (GPP) weist ausdrücklich auf die Gefährdung von
       Menschen durch Luftverschmutzung hin. „Neben kurzfristigen und
       langfristigen gesundheitlichen Auswirkungen von Luftschadstoffen ist die
       Gesundheitsfürsorge für besonders gefährdete Gruppen ein wichtiger Aspekt
       bei der Risikobewertung. Hierzu zählen u.a. Kinder und Jugendliche,
       schwangere Frauen, ältere Menschen sowie Patienten aller Altersgruppen mit
       chronischen Lungenerkrankungen“, heißt es in einer Presseerklärung der GPP.
       
       Es sei unbestritten, dass es Wissenschaftslücken bei der Erforschung von
       Luftverschmutzung und deren Folgen gebe, sagte GPP-Präsident Matthias Kopp,
       Leiter der Sektion Pädiatrische Pneumologie und Allergologie an der
       Uniklinik Lübeck, zur taz. „Die Pauschalisierung indes, mit der gerade
       gegen vorliegende wissenschaftliche Erkenntnisse vorgegangen wird, ist
       gefährlich und unethisch“, sagte Kopp.
       
       Derzeit [1][zweifeln 100 Lungenmediziner*innen die Gefährlichkeit von
       Stickoxiden und Feinstaub an], die Kinderpneumologen halten dagegen. „In
       der aktuellen Debatte wird die Schutzwürdigkeit dieser besonders
       gefährdeten Gruppen häufig nicht erwähnt“, sagte Kopp. Damit werde „das
       Prinzip der Schadensvermeidung als Kernelement ärztlicher Handlungsethik
       ignoriert“.
       
       Die Kinderpneumolog*innen beziehen sich auf unterschiedliche Studien, unter
       anderem auf eine aktuelle Expertise der Gesellschaft für
       Umweltepidemiologie und der European Respiratory Society, deren Kurzskript
       der taz vorliegt. Darin heißt es gleich im ersten Satz: „Die
       Luftschadstoffe Feinstaub, Ozon und Stickstoffoxid gefährden die Gesundheit
       in Deutschland.“ Die Wirkungen würden in der Lunge beginnen und haben
       Auswirkungen auf den gesamten Körper: Herz- und Kreislauf, Atemwege,
       Bewegungsapparat.
       
       ## 71.000 wissenschaftliche Arbeiten
       
       Die Expert*innen aus Deutschland, Frankreich, der Schweiz, den USA und den
       Niederlanden weisen darauf hin, dass medizinisch gesichert sei, dass durch
       Luftverschmutzung „die Lebenszeit verkürzt und Lungenerkrankungen und
       Herzkreislauferkrankungen ausgelöst werden“. Auch die „krebserzeugende
       Wirkung von Feinstaub“ gelte als gesichert, dazu gebe es allein „71.000
       Arbeiten in der medizinischen Fachliteratur“, die die „negativen
       gesundheitlichen Auswirkungen der Luftschadstoffe … untersuchen“.
       
       Mittlerweile werde sogar vermutet, heißt es in der Expertise weiter, dass
       Stickoxide, Feinstaub und Ozon Auswirkungen auf die Entwicklung eines
       Fötus' im Mutterleib haben. Die Lungen- und Gehirnentwicklung bei Kindern
       werde eingeschränkt, auch Demenz und Diabetes können ausgelöst werden.
       Darauf weisen Wissenschaftler*innen unter anderem seit 2015 hin. Obwohl
       noch wenig gute Untersuchungen zu Schwangeren und ihren ungeborenen Kindern
       existieren, gebe es laut Kopp „Hinweise darauf, dass die Lungenfunktion von
       Kindern zurückbleibt“, wenn sie verstärkt Stickoxiden und Feinstaub
       ausgesetzt sind. „Wir sehen Effekte, die bis ins Erwachsenenalter wirken“,
       sagte Kopp.
       
       Um das herauszufinden, würden Lungenvolumen und -kapazität von Kindern
       gemessen. Seien diese bei Betroffenen geringer, als sie sein müssten und
       sämtliche Störfaktoren wie Rauchen, schlechte Ernährung, wenig Sport
       ausgeschlossen, läge der Schluss nahe, dass Umweltfaktoren dafür
       verantwortlich seien. Das sei zumindest eine „Hypothese“, sagte Kopp.
       Ungeachtet dessen wirken zudem genetische und individuelle Faktoren, die
       bei den Untersuchungen herangezogen werden.
       
       ## Vergleich Rauchen und Luftverschmutzung
       
       Die Gegner*innen der These, dass Stickoxide stark gesundheitsgefährdend
       sind und sogar zum Tod führen können, vergleichen häufig Stickoxide unter
       anderem mit Tabakrauch und argumentieren, dass es hier keinen Nachweis für
       die Gefährlichkeit durch Schadstoffpartikel gebe. „Lungenärzte sehen in
       ihren Praxen und Kliniken diese Todesfälle an COPD (chronische Atemwegs-
       und Lungenkrankheiten, d.R.) und Lungenkrebs täglich; jedoch Tote durch
       Feinstaub und NOx, auch bei sorgfältiger Anamnese, nie“, schreiben sie in
       einem Positionspapier.
       
       Die Kinderlungenärzt*innen in Deutschland und die internationalen
       Expert*innen halten dagegen und argumentieren, dass Rauchen und
       Luftverschmutzung nicht miteinander vergleichbar seien. So sei es für die
       Gefahr, an Lungenkrebs zu erkranken, egal, ob jemand 5 oder 20 Zigaretten
       am Tag raucht, Raucher*innen hätten gegenüber Nichtraucher*innen ein
       100-prozentig erhöhtes Risiko für einen Herzinfarkt. Und: „Rauchen führt zu
       hohen Belastungen mit Pausen zwischen den Zigaretten. Luftverschmutzung
       wirkt kontinuierlich den ganzen Tag und das ganze Jahr über ohne
       Unterbrechung“, schreiben die Expert*innen in der Expertise.
       
       30 Jan 2019
       
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