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       # taz.de -- Die Wahrheit: Das Haaroskop
       
       > Wenn Friseure in Frisuren lesen, kommt meist irgendwas heraus, was mit
       > der Wahrheit ungefähr so viel zu tun hat wie mit den Sternen.
       
   IMG Bild: CFC steht für Chlamydienschleuder Ferein Chemnitz
       
       Als von abstehenden Haupthaaren geplagter Mensch komme ich nicht umhin,
       alle drei bis fünf Wochen einen Friseursalon aufzusuchen. Sicher könnte ich
       mir die Seiten auch selbst rasieren, aber das habe ich einmal probiert:
       Mein Kopf sah danach aus wie ein von einem Quad mit sehr kurzem Radstand
       überfahrener Otter.
       
       Der Salon, bei dem ich meist gegen Mittag vorbeischaue, wenn normale Leute
       arbeiten, vergibt keine Termine: Man tritt ein, setzt sich hin und bekommt
       die Haare von der Person geschnitten, die sich nicht schnell genug in die
       Raucherpause verabschiedet hat. So baut man zwar keine freundschaftliche
       Beziehung zum Hairstylisten auf, weil man ja fast immer an einen anderen
       Scherenmeister oder -meisterin gerät. Aber dafür ist es der einzige Laden
       in der Stadt, der kein bescheuertes Wortspiel mit dem Begriff „Haar“ im
       Namen trägt.
       
       An jenem Montag – ja, das war früher mal der freie Tag der Friseure, aber
       wir leben im Kapitalismus –, an jenem Montag also traf es einen stark
       schwitzenden Herren, der meiner Einschätzung nach das Wochenende in einem
       Techno-Schuppen verbracht und nun mit den Folgen des kalten Entzugs zu
       kämpfen hatte. Er hingegen behauptete, es sei hier drinnen furchtbar warm
       und seine Kollegen hätten ihm untersagt, ein Fenster zu öffnen. Draußen
       schneite es.
       
       In den kurzen Phasen, in denen er nicht seine tropfende Stirn mit einem
       Tüchlein abtupfte, rasierte und schnippelte er an mir herum. „Du warst
       schon letztes Mal bei mir, kann des sein?“, erkundigte er sich. Noch nie
       zuvor war ich diesem Mann begegnet, aber weil es beim Friseurbesuch nicht
       um die Wahrheit geht, sondern darum, sich nicht mit dem Menschen in die
       Haare zu kriegen, der mit scharfen Klingen auf der Höhe des eigenen Gehirns
       hantiert, bejahte ich. Woraufhin er meinte: „Na klar! Ich erkenn meinen
       Schnitt genau! Da stimmt einfach alles!“
       
       ## Haarsträubende Haarstrologie
       
       Vielleicht hätte ich an dieser Stelle besser offenlegen sollen, dass es
       sich bei meiner Frisur nicht um sein Werk handelte. Ein peinliches
       Schweigen wäre weniger peinlich gewesen als das, was folgte. „Du schläfsch
       immer auf der linken Seite, gell?“ Links ist die Körperhälfte, auf der ich
       unter gar keinen Umständen in den Schlaf finde. Aber ich spielte mit: „So
       ist es!“ Darauf er: „Ey, es ist so krass, ich kann dir anhand deiner Haare
       alles über dich verraten. Ich kann dir wahrscheinlich sogar die Zukunft
       voraussagen!“ Gewissermaßen ein Haaroskop, hehe. Entschuldigung.
       
       In dieser Manier quasselte er mich die nächsten dreißig Minuten voll. Noch
       nie hatte ich mir so sehr gewünscht, man möge mir versehentlich beide Ohren
       abschneiden. Als der Maestro fertig und ich nach dem Bezahlen in Sicherheit
       war, mutmaßte er noch: „Ich glaub, du trägsch auch immer Mützen, oder?“ Ich
       besitze keine einzige Mütze, antwortete jedoch: „Unglaublich, was du alles
       weißt!“
       
       Den Satz „Mit so einer Frisur bleibt mir ja auch kaum was anderes übrig!“
       nuschelte ich beim Fortgehen.
       
       15 Feb 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Cornelius Oettle
       
       ## TAGS
       
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