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       # taz.de -- Vor dem Europäischen Polizeikongress: Das rechte Tabu
       
       > Nach dem Rechtsextremismus-Skandal in Hessen fordern einzelne Beamte
       > Konsequenzen. Beim Polizeikongress in Berlin wird das aber nur Randthema
       > sein.
       
   IMG Bild: Polizeianwärter bei ihrer Vereidigung: Sie müssen auf die Verfassung schwören
       
       Berlin taz | Es wird ein Großaufgebot von Polizisten ab Dienstag in Berlin
       geben, aus allen Bundesländern, aus dem Ausland. Dann beginnt in der
       Hauptstadt der [1][Europäische Polizeikongress], mehr als 1.700 Teilnehmer
       sind angekündigt.
       
       Polizeiführer kommen, Staatssekretäre von Innenminister Horst Seehofer
       (CSU), der BKA-Chef, der Präsident des Verfassungsschutzes, mehrere
       Länderinnenminister. Es wird um Grenzschutz gehen, um Cybercrime, um „Big
       Data bei der Polizei“. Ein Thema aber taucht nur am Rande auf:
       [2][Rechtsextremismus in den eigenen Reihen.]
       
       Dabei ist es das Thema, das zuletzt die höchsten Wellen schlug. [3][In
       Hessen wurden rechtsextreme Chatgruppen] mehrerer Polizisten bekannt, im
       Frankfurter Revier wurden Privatdaten der Anwältin Seda Başay-Yıldız
       abgerufen, die danach „NSU 2.0“-Drohschreiben mit Morddrohungen gegen sich
       und ihre Familie erhielt. Zuvor waren schon sächsische und bayerische
       Polizisten mit rechtsextremen Ausfällen aufgefallen.
       
       Das Programm des Polizeikongresses sei zusammen mit den Behörden
       entstanden, heißt es vom Veranstalter, der Zeitschrift Behörden Spiegel.
       Entschieden worden sei nach Relevanz und aktuellen Fachfragen.
       Rechtsextremismus in den Reihen der Polizei gehört offenbar nicht dazu.
       
       Aber es gibt Stimmen in der Polizei, die mehr fordern. „Spätestens nach den
       Vorgängen in Hessen müssen sich Polizisten jetzt endlich offensiv gegen
       Rechtsextremismus und Rassismus aussprechen“, fordert der Berliner Polizist
       Oliver von Dobrowolski, Vorsitzender von PolizeiGrün, einem Verband
       kritischer Polizisten.
       
       Es brauche „einen Aufstand der Anständigen in den eigenen Reihen“. Auch die
       [4][Grünen-Innenexpertin Irene Mihalic, ebenfalls Polizistin, spricht von
       einem „massiven Handlungsbedarf“] nach den jüngsten rechtsextremen
       Vorfällen. Nur: PolizeiGrün ist ein Nischenverein in der Polizei, die
       Mitgliederzahl liegt im oberen zweistelligen Bereich. Und Mihalic spricht
       derzeit vor allem für ihre Partei, weniger als Polizeibeamtin. Von einem
       Aufstand in der Polizei ist also wenig zu sehen.
       
       Bundesinnenminister Seehofer schweigt 
       
       Und auch der oberste Aufseher, CSU-Innenminister Seehofer, gibt sich bei
       dem Thema sehr wortkarg. Polizisten müssten „zweifelsfrei auf dem Boden
       unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung stehen“, sagte er nach
       Bekanntwerden der Vorgänge in Hessen. Daran dürfe es „nicht den geringsten
       Zweifel geben“. Seitdem schweigt Seehofer zu dem Thema. Dabei ist Hessen
       kein Einzelfall. Erst am Mittwoch berichtete Bundespolizeichef Dieter
       Romann hinter verschlossenen Türen des Innenausschusses im Bundestags über
       27 rechtsextreme Verdachtsfälle auch in der Bundespolizei in den
       vergangenen fünf Jahren, dazu 22 rassistische Vorfälle.
       
       Und eine taz-Länderumfrage ergab: Allein im vergangenen Jahr gab es 32
       rechtsextreme Verdachtsfälle. In Baden-Württemberg waren es 7, 4 in
       Sachsen-Anhalt, je 3 in Niedersachsen und Bayern, je 2 in Brandenburg,
       Hamburg und Schleswig-Holstein – und dazu 9 aus Hessen. Anderswo bleibt die
       Lage im Nebel: Rechtsextreme Delikte von Polizisten würden statistisch
       nicht erfasst, heißt es aus Sachsen, Nordrhein-Westfalen oder Berlin.
       Zahlen könne man deshalb nicht liefern.
       
       Dabei herrscht Einigkeit in der Polizei, dass Rechtsextremismus in den
       eigenen Reihen nichts zu suchen hat. Entsprechend wurden die jüngsten
       Vorfälle in Hessen verurteilt. Solches Verhalten werde „in keinster Weise
       toleriert“, sagte der Frankfurter Polizeipräsident Gerhard Bereswill, in
       dessen Revier sich die rechtsextreme Chatgruppe organisiert hatte und die
       Daten für das Drohschreiben an die Anwältin Başay-Yıldız abgerufen wurde.
       Bestätigten sich die Vorwürfe, müssten die Beamten ihren Dienst quittieren,
       so Bereswill.
       
       Auch Oliver Malchow, Vorsitzender der Gewerkschaft Deutscher Polizei (GDP),
       nennt die Vorgänge in Hessen „völlig inakzeptabel“. „Diese Leute gehören
       nicht in die Polizei.“ Reichen diese Worte? Oliver von Dobrowolski, der
       PolizeiGrün-Chef, hat Zweifel. „Ich vermisse, dass jetzt ein Ruck durch den
       Polizeiapparat geht.“ Die Vorwürfe aus Hessen seien „so ungeheuerlich, ein
       Worst Case nach dem NSU, als es hieß, ab jetzt seien die
       Sicherheitsbehörden sensibel bei den Themen Rechtsextremismus und
       Rassismus“, klagt von Dobrowolski. „Aber den nötigen Aufstand jetzt, den
       sehe ich nicht.“
       
       Große Empörung, kaum Taten 
       
       GDP-Chef Malchow widerspricht. „Alle in der Polizei sind über die Vorgänge
       in Hessen empört. Und es gibt auch keinen Zweifel, dass es harte Strafen
       geben muss, wenn sich das bestätigt.“ Tatsächlich ist aber längst nicht
       klar, dass es so kommt. In Hessen ermitteln noch das Landeskriminalamt und
       die Staatsanwaltschaft. Am Ende wird genau nachgewiesen werden müssen:
       Welche Chatnachrichten sind tatsächlich strafrechtlich relevant? Wer
       schrieb was? Wer las nur mit? Dass alle neun Beamten tatsächlich aus dem
       Dienst entfernt werden, ist nicht sicher.
       
       Die Frage ist ohnehin: Reichen die strafrechtlichen Konsequenzen? Oder muss
       sich die Polizei auch strukturell anders aufstellen, um solche Vorfälle
       künftig zu vermeiden? In dem Punkt ist man in der Polizei deutlich
       zurückhaltender – auch GDP-Chef Malchow, dessen Gewerkschaft zu den
       liberaleren gehört. 260.000 Polizeibeamte gebe es in Deutschland, erklärt
       Malchow. Die Vorwürfe jetzt beträfen davon „wenige Einzelfälle“. „Der
       überwiegende Teil der Polizisten denkt nicht so. Es ist absurd, von einer
       Vielzahl an rechtsextremen Zellen in den Dienststellen auszugehen.“
       
       Malchow sieht Polizeibeamte auch nicht als besonders anfällig für
       rechtsextremes Gedankengut – im Gegenteil. „Polizisten schwören einen
       Diensteid auf die Verfassung, sie werden in der Ausbildung und bei der
       inneren Führung immer wieder an diese besondere Rolle erinnert. Sie sind
       deshalb sogar immuner gegen extremistisches Verhalten.“ PolizeiGrün-Chef
       Oliver von Dobrowolski hält das für „Unsinn“. Natürlich ziehe die Polizei
       eher eine rechte Klientel an, die sich für Uniform, Waffen und
       Machtausübung begeistere.
       
       „Die These, dass es nur wenige Einzelfälle von Rechtsextremen in der
       Polizei gibt, ist ein Witz. Da erlebe ich anderes.“ Auch der Hamburger
       Polizeiforscher Rafael Behr sieht das so. „Das sind keine Einzelfälle.“ Es
       gebe in der Polizei keinen strukturellen, durchgängigen Rechtsextremismus,
       so der Professor. Aber sie ziehe tatsächlich eher wertkonservative Menschen
       an. „Und es gibt dort einige Milieus und Kleingruppen, die anfällig für
       rechtes Gedankengut sind.“
       
       Ombudsstelle soll eingerichtet werden 
       
       Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) machte dazu nun einen Aufschlag.
       Als Konsequenz aus den jüngsten Vorfällen im Land soll eine Studie in der
       hessischen Polizei Handlungsempfehlungen für Führungskräfte erarbeiten. Es
       soll in Fortbildungen investiert werden. Berichtspflichten zu
       extremistischen Vorfällen würden ausgeweitet: Bereits „niedrigschwellige“
       Meldungen sollen nun direkt ans Landespolizeipräsidium gehen.
       
       Zudem soll eine unabhängige Ombudsstelle für Beschwerden von Polizisten und
       Bürgern geschaffen werden. Polizeiforscher Behr lobt das Vorgehen: „Beuths
       Maßnahmen gehen in die richtige Richtung. Zentral aber wird sein, wie genau
       das alles ausgestaltet wird.“ Wer etwa dürfe die Polizeistudie durchführen
       und wie unabhängig? Welche Kompetenzen bekomme die Ombudsstelle? Nicht nur
       in Hessen gibt es Probleme – wie die taz-Länderumfrage zeigt.
       
       Verdachtsfälle betreffen Polizisten, denen rechtsextreme Beleidigungen
       vorgeworfen werden, die unter Reichsbürgerverdacht stehen, um
       Polizeischüler, die mit verfassungsfeindlichen Symbolen auffielen, oder
       auch um extremistische Äußerungen von zwei Ruhestandsbeamten. In Bayern
       etwa sollen zwei Bundespolizisten betrunken den Hitlergruß gezeigt haben,
       in Sachsen trugen sich zwei Beamte mit dem Namen des NSU-Mörders Uwe
       Böhnhardt in eine Dienstliste ein. Und in Mecklenburg-Vorpommern wird gegen
       einen Polizisten ermittelt, weil er im Falle eines „Umsturzes“ Gewalttaten
       geplant haben soll.
       
       Für Polizeiforscher Behr ist das „nur die Spitze des Eisbergs“. „Es ist
       ziemlich sicher, dass in der Polizei weit mehr rechtsextreme Haltungen
       bestehen, die nicht öffentlich werden.“ Das Problem ist nur: In einigen
       Bundesländern werden rechtsextreme Vorfälle von Polizisten gar nicht genau
       erfasst. Auch das zeigt die taz-Umfrage. Selbst das Bundesinnenministerium
       hat hier offenbar keine Zahlen – dies sei „Zuständigkeit der Länder“, heißt
       es dort.
       
       Grüne fordern Bund-Länder-Statistik 
       
       Die grüne Polizistin Irene Mihalic fordert deshalb nun, dass die
       Innenministerkonferenz eine Bund-Länder-Statistik über rechtsextreme
       Vorfälle in der Polizei einrichtet. „Wir müssen endlich diese analytischen
       Defizite überwinden.“ Grüne, Linke und FDP fordern unabhängige
       Polizeibeauftragte oder Vertrauensstellen in Bund und Ländern, an die sich
       auch Polizisten wenden können.
       
       „Es ist wichtig, dass Polizeibeamte die Möglichkeit einer Meldung außerhalb
       der polizeilichen Hierarchien haben“, betont Mihalic. „So ist auch eine
       unabhängige Überprüfung gewährleistet.“
       
       Die Idee eines Polizeibeauftragten findet in der Polizei selbst indes wenig
       Anklang. „Es gibt bereits heute ein Vielzahl an Ansprechpartner für
       Polizeibeamte, wenn Probleme auftreten“, weist GDP-Chef Malchow die
       Forderung zurück. Wichtiger sei, die politische Bildung in der Aus- und
       Fortbildung der Polizei zu stärken – und eine generelle Sensibilität unter
       den Kollegen zu schaffen, gerade bei denen, die in „Problembereichen“ wie
       in sozialen Brennpunkten arbeiteten. „Damit schon bei ersten
       Auffälligkeiten Kollegen zur Seite genommen und gefragt werden: Sag mal,
       wie redest du eigentlich?“
       
       Neue Strukturen könnten Vertrauen schaffen 
       
       Hier aber sieht Forscher Behr Probleme. In der Polizei herrsche bis heute
       ein „Code of Silence“, eine Art Korpsgeist, bei dem Beamte im Zweifel
       schwiegen und ihre Kollegen nicht verpfiffen. „Das werden auch
       Fortbildungen nicht durchbrechen können“, so Behr. „Deshalb braucht es
       tatsächlich externe Beschwerdestellen.“ Auch PolizeiGrün-Chef von
       Dobrowolski plädiert dafür: In der Polizei selbst würden „Probleme
       tendenziell runtergekocht statt transparent aufgeklärt“.
       
       In Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein gibt es bereits
       Polizeibeauftragte. Auch in NRW wurde gerade einer eingerichtet, Berlin
       soll bald einen bekommen und Hessen nun eine Ombudsstelle. Andere Länder
       aber halten von der Idee wenig. Auch Seehofers Bundesinnenministerium hat
       hier eine klare Position: Auf Bundesebene werde „derzeit kein Bedarf zur
       Einrichtung einer oder eines Polizeibeauftragten gesehen“. Fragen an das
       Ministerium nach anderen Konsequenzen aus den rechtsextremen
       Verdachtsfällen in Hessen blieben unbeantwortet.
       
       Oliver von Dobrowolski schüttelt darüber den Kopf. „Es darf nicht wieder
       bei Beschwichtigungen bleiben“, erklärt der Polizist. „Nur wenn man jetzt
       auch strukturell etwas ändert, werden wir der Probleme Herr – und können so
       überhaupt Vertrauen zurückgewinnen.“
       
       18 Feb 2019
       
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