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       # taz.de -- Kohlekommission und RWE: Kein Friede in den Dörfern
       
       > Der Konsens in der Kommission sollte den Streit um den Hambacher Forst
       > beenden. Aber RWE reißt weiter Dörfer ab und Aktivisten besetzen Bagger.
       
   IMG Bild: Gundi Gundermann wäre entzückt: baggern, baggern, baggern. In Hambach schafft es nur Konflikte
       
       KEYENBERG, BERLIN taz | Den letzten Nagel biegt der Aktivist im Hambacher
       Forst mit der Hand um. Dann ist das Holzkreuz fertig, der Mann nimmt es
       mit. Seit Tagen wächst die Zahl der Kreuze im umkämpften Wald neben dem
       Braunkohletagebau Hambach: Das gelbe X hängt hier am Baum und da am
       gespannten Netz, es lehnt dort am Stamm und klemmt drüben zwischen Zweigen.
       „Wir werden uns auf dieses miese Spiel nicht einlassen“, sagt Clumsy. So
       nennt sich der Aktivist, der seit sieben Jahren im Wald lebt. „Von wegen
       'entweder Wald oder Dörfer’.“
       
       In Nordrhein-Westfalen haben Umweltaktivist*innen und Anwohner*innen
       die längste Zeit getrennt protestiert. Jetzt trifft man sich für
       gemeinsamen Protest. Denn sie haben das Gefühl, dass Tagebaubetreiber RWE
       und die Politik sie gegeneinander ausspielen wollen. Das gelbe Kreuz, das
       nun im Wald hängt, benutzen die Menschen in den zur Umsiedlung vorgesehenen
       Dörfern schon lange als Symbol des Widerstands. Eines dieser Dörfer ist
       Keyenberg am Tagebau Garzweiler.
       
       Hier wohnt Norbert Winzen auf einem Hof aus denkmalgeschützten
       Vierkanthäusern: Drei Generationen seiner Familie leben aktuell hier,
       darunter sieben Kinder. Die Winzens besitzen Tausende Quadratmeter an
       landwirtschaftlichen Nutzflächen in Keyenberg. Für das neue Dorf, in das
       die Anwohner*innen umgesiedelt werden sollen, bekommen sie kein Angebot von
       RWE, berichtet Norbert Winzen. „Wir gehören zu denen, die hier zu viel
       Grund haben, um ihn zu ersetzen“, sagt Norbert Winzen. „Auf die Weise
       werden viele aus der Gemeinschaft gerissen, die nicht verkaufen wollen.“
       
       Seit der Veröffentlichung des Abschlussberichtes der [1][Kohlekommission
       läuft ein Deutungsstreit]. Um möglichst alle Teilnehmenden zur
       Unterzeichnung zu bewegen, hat man viele Stellen schwammig formuliert. So
       heißt es, der Erhalt des Waldes am Tagebau Hambach sei „wünschenswert“, und
       mit den Dorfbewohnern am Tagebau Garzweiler solle gesprochen werden.
       
       ## Druck auf die Dörfer hat sich erhöht
       
       Eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung hat errechnet,
       dass sowohl der Wald als auch die Dörfer erhalten bleiben können und die
       bereits erschlossenen Tagebauflächen bis zum vereinbarten Ausstieg genug
       Kohle für die Kraftwerke liefern würden. Doch NRW-Ministerpräsident Armin
       Laschet (CDU) spielt den Wald und die Dörfer gegeneinander aus. „Wenn ein
       Gebiet herausgenommen wird, wird der Druck auf andere Gebiete höher“, meint
       er – und fügt hinzu, zu den Dörfern gebe es im Bericht der Kommission „nur
       eine allgemeine Beschreibung, aber keine Zielvorgabe“.
       
       Der Druck auf die Dörfer hat sich tatsächlich erhöht. In Keyenberg
       installiert RWE gerade Grundwasserpumpen. Die braucht man nur, wenn die
       Dörfer abgebaggert werden sollten. „Seit der Veröffentlichung des Berichts
       ist es noch mal schlimmer geworden“, sagt Winzen. „Das Dorf ist Baulärm,
       Hämmern, Rattern jeden Tag.“ Denn im Bergrecht gelten keine Ruhezeiten.
       „Wir haben hier Kinder, und meine Mutter ist 75, die hält das kaum noch
       aus“, berichtet der Anwohner. „Ich tu mich schwer mit dem Wort ‚Schikane‘,
       aber dass so was in einem demokratischen Land möglich ist, hätte ich nie
       gedacht.“
       
       Auch der BUND-Vorsitzende Hubert Weiger ist empört, dass RWE im Garzweiler
       Bereich mit weiteren Abbaggerungen Fakten schafft. „Damit wird der
       Beschluss der Kohlekommission infrage gestellt“, sagt er am Montag bei
       einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Greenpeace-Geschäftsführer Martin
       Kaiser und DNR-Präsident Kay Niebert; die drei hatten die Umweltverbände in
       der Kommission vertreten.
       
       „Die Zustimmung zum Kompromiss ist uns Verbänden nicht leicht gefallen“,
       sagt Martin Kaiser von Greenpeace. Dass die Verbände schließlich doch ihr
       Ja gaben, lag nur am schnellen Einstieg in den Ausstieg, den der Kompromiss
       vorsieht: Bis 2022 sollen – zusätzlich zu ohnehin schon geplanten
       Stilllegungen – Braunkohlewerke im Umfang von drei Gigawatt vom Netz
       genommen werden, und zwar allesamt im Westen. Darüber bestand in der
       Kommission Einigkeit.
       
       ## In Manheim fallen Häuser
       
       Doch genau an diesem zentralen Punkt ruderten die nordrhein-westfälische
       Landesregierung und RWE in den letzten Tagen zurück: Man wolle bei den
       ältesten Braunkohleblöcken Niederaußem und Neurath nun doch nur 2,4
       Gigawatt zusätzlich abschalten. Laut Kaiser würde damit beim Werk Neurath
       ein zusätzlicher Block am Netz bleiben. Damit ginge der Plan, sowohl den
       Wald als auch die Dörfer zu erhalten, nicht mehr auf. „So hätte ich den
       Kompromiss nicht mitgetragen“, sagt Antje Grothus, die für die örtliche
       Bürgerinitiative Buirer für Buir in der Kommission saß.
       
       Nicht nur bei [2][Garzweiler], auch am Tagebau Hambach laufen die
       Abrissarbeiten durch RWE. In Manheim fallen Häuser, in Morschenich Bäume.
       Obwohl in beiden Orten auch noch alteingesessene Anwohner*innen leben und
       insgesamt noch über 100 Geflüchtete aus Krisenregionen. Und obwohl Manheim
       und Morschenich ohnehin bleiben müssten, wenn der Hambacher Forst bliebe:
       Dass man nicht um den Wald herumbaggern könne, hat RWE selbst gesagt.
       
       Ein Sprecher von RWE sagte der taz nun, die Orte hinter dem Wald wolle man
       komplett umsiedeln und abreißen, egal was komme. Zur Situation der fünf
       Dörfer am Tagebau Garzweiler zeige der Kommissionsbericht, „dass alle
       Umsiedlungen planmäßig und vollständig weiterlaufen können, da die unter
       den Umsiedlungsorten liegende Kohle schon in den nächsten Jahren zur
       Deckung des Bedarfs benötigt wird“. Neben dieser klar unzutreffenden
       Behauptung erklärt der RWE-Sprecher weiter, die Umsiedlungen zu stoppen
       könne auch „keinesfalls im Interesse der Betroffenen sein“.
       
       Dass RWE auf Abriss aller Dörfer besteht, ist tatsächlich nicht im Hinblick
       auf Kohleabbau zu verstehen – auch wenn das Unternehmen die Maßnahmen damit
       rechtfertigt. Im Hintergrund wird schon der nächste Kampf geführt. Denn für
       den Strukturwandel in der Region wird dringend viel Fläche benötigt. Und
       die ist knapp. Durch die komplette Inbesitznahme der Flächen der alten
       Dörfer würde sich RWE also langfristig politischen Einfluss sichern, auch
       lange nach dem Kohleausstieg.
       
       ## RWE schafft Fakten
       
       Was da laufe, sei ein großes Flächenaneignungsprogramm, sagt Antje Grothus
       aus Buir. „Im Moment bin ich sehr enttäuscht. Ich hätte nicht gedacht, dass
       sich die Landesregierung so wenig um die Betroffenen vor Ort kümmern würde,
       während RWE immer weiter Fakten schafft“, sagt sie.
       
       Auch in den östlichen Braunkohlegebieten, wo in den nächsten Jahren
       zunächst gar keine Stilllegungen geplant sind, bringen sich Aktivist*innen
       derzeit in Stellung. Vor rund zwei Wochen besetzten hier 40 Aktivist*innen
       von „Ende Gelände“ im Morgengrauen vor Schichtbeginn Schaufelbagger in drei
       Tagebauen. 23 Menschen nahm die Polizei in Gewahrsam, bis heute sitzen drei
       von ihnen, die ihre Personalien nicht angeben wollen, in Cottbus in
       Untersuchungshaft.
       
       Nike Mahlhaus ist Teil von „Ende Gelände“. Auch sie war bei der Aktion
       dabei, zwar nicht um vier Uhr morgens vor Schichtbeginn, als die
       Aktivist*innen auf die Bagger kletterten, aber etwas später am
       Grubenrand, um Statements abzugeben. „Wir haben den Betreiber Leag
       angerufen und gesagt, dass die Bagger an diesem Tag stillstehen“, erzählt
       sie. Das dauerte zum Teil bis in die Abendstunden an. Die Besetzung war
       Teil einer Aktionswoche, mit der „Ende Gelände“ auf den Kohlekompromiss
       reagierte. Gerade für die Lausitz stehe im Abschlussbericht kein
       verbindliches Szenario für den Ausstieg, sagt Mahlhaus. „Es geht jetzt
       darum, hier den Abschaltplan politisch zu beeinflussen und zu
       beschleunigen.“
       
       Jana Bosse, die derzeit zu Umweltbewegungen promoviert, sieht gerade für
       diese Gegend weitere Proteste kommen. „Für die Lausitz ist der
       Kohlekompromiss eine totale Katastrophe“, sagt sie. Zwar wird auch für die
       rheinischen Gebiete um Schließungen bis 2022 gerungen, für die Lausitz aber
       bleibt so gut wie alles offen. Die Entscheidungen würden bei den Konzernen
       selbst liegen, so Bosse. Anders als das Rheinland, das den
       Kohle-Beschäftigten als Ballungsgebiet zumindest Alternativen auf dem
       Arbeitsmarkt bietet, [3][gilt die Lausitz als strukturschwache Region], die
       immer mehr Menschen verlassen.
       
       ## „Ein historischer Moment“
       
       Der Kampf gegen die Kohle gestaltet sich hier schwierig. „In
       Gesamtdeutschland sind zwei Drittel der Bevölkerung für das Kohle-Aus, in
       der Lausitz nur ein Drittel“, sagt Bosse. „Dort wird seit Jahrhunderten
       Kohle gefördert.“ Zu DDR-Zeiten sei sie das Rückgrat der Stromversorgung
       gewesen. „Da schwingt viel DDR-Stolz mit.“
       
       Viele Dörfer würden auch nach dem Kompromiss nicht wissen, ob sie den
       Baggern noch zum Opfer fallen werden, kritisiert Aktivistin Mahlhaus. „Die
       Bewohner haben gehofft, dass durch das Ergebnis endlich klar wird, ob sie
       umziehen müssen.“ Dörfer wie Pödelwitz oder Proschim kommen im
       Abschlussbericht aber gar nicht vor. Mit ihnen wolle sich „Ende Gelände“
       weiterhin solidarisch zeigen, sagt Mahlhaus. Gerade weil hier so vieles
       unklar bleibt, müsse die Bewegung präsent bleiben.
       
       Kai Niebert vom Deutschen Naturschutzring (DNR) betonte am Montag in
       Berlin, dass auch im Osten mit dem Tagebau Jänschwalde Mitte der 2020er
       Jahre mit Abschaltungen begonnen werden müsse, damit die Klimaziele
       erreichbar bleiben. Vor allem müssten jetzt aber die Zusagen im Westen
       schnell umgesetzt werden, um den mühsam erreichten Kohlekonsens nicht zu
       gefährden. „Das ist ein historischer Moment“, sagte Niebert. „Die Regierung
       sollte ihn nutzen.“
       
       19 Feb 2019
       
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       ## AUTOREN
       
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