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       # taz.de -- Kolumne Schlagloch: Das Spiel mit den Bildern
       
       > Frankreich und Italien haben seit Wochen Zwist. Kunst hat die beiden
       > Nationen zusammengebracht – sie kann sie aber ebenso gut entzweien.
       
   IMG Bild: Welcher Regierungschef darf sich mit dem berühmtesten Lächeln der Kunstgeschichte schmücken?
       
       Wer meint, dass Demokratie unbedingt mit Streit zu tun haben müsse, je
       mehr, desto demokratischer, kann sich freuen, dass Frankreichs Präsident
       Macron mit den italienischen Vizes Salvini und Di Maio [1][seit Monaten im
       erbitterten Zwist liegt], so, als wären sie voneinander enttäuschte
       Liebende, die sich nicht einmal mehr das Schwarz unter den Fingernägeln
       gönnen.
       
       Während Di Maio sich [2][an die Gelbwesten ankuschelt], dabei auch nicht
       vor Radikalen wie Christophe Chalençon zurückschreckt, der sich bereits auf
       den militärischen Staatsputsch in Frankreich freut, übt sich Salvini darin,
       [3][Häfen für Migranten zu schließen] und im Übrigen Frankreich die Schuld
       an der Massenmigration vom afrikanischen Kontinent zu geben.
       
       Nun lohnt es sich zwar durchaus, über das französische Investitionssystem
       in afrikanischen Ländern kritisch zu diskutieren, ebenso wie ein Rückblick
       auf die während der Präsidentschaft de Gaulles (vorsichtig gesagt) nicht
       unproblematisch verlaufene Dekolonisierung hilfreich ist zum Verständnis
       einiger grundlegender Probleme der Gegenwart, doch darum geht es den beiden
       Politikern in Rom gar nicht so sehr. Eher warten sie wohl noch auf einen
       Marie-Antoinette-haften Ausruf Macrons: „Wenn die Armen kein Geld für
       Benzin haben, dann sollen sie doch Taxi fahren!“ Stattdessen hat Macron
       erst einmal [4][den französischen Botschafter in Rom abberufen].
       
       Dabei haben sich die beiden Länder auch mal gut verstanden, vermittelt
       durch die Kunst etwa. Nehmen wir 1666, als die Académie de France à Rome
       gegründet wurde, um nicht etwa Kunst nach Frankreich zu bringen, sondern
       die französischen Künstler mitten in die Ästhetik Roms. Einer der
       Grundsteine für das, was heute Rom ist, war damit gelegt, nämlich ein
       kulturpolitisches Studienzentrum und Freilichtmuseum, in dem ganz Europa
       seine Akademien hat und noch einige Anwohner als Staffage frei herumlaufen
       dürfen.
       
       ## Kritisch-ironische Liebeserklärung
       
       Italien zu besuchen bedeutete, Europa zu entdecken, erklärte der liberale
       Belgier Guy Verhofstadt vergangene Woche im EU-Parlament eingedenk all der
       Künstler und Intellektuellen auf Italienreise. In einer kritisch-ironischen
       Liebeserklärung an Italien warf er im Anschluss an diese historische
       Wertschätzung der aktuellen Regierung gravierendes Versagen vor, eine
       Entwicklung, die mit der Misswirtschaft Berlusconis vor zwanzig Jahren
       begonnen habe.
       
       Vielleicht benennt Verhofstadt in seinem Bonmot aber auch ein Problem, das
       dieses Land seit Langem hat, nicht erst seit Berlusconis malgoverno: Es ist
       vor allem besucht worden, gern von Künstlern, die dann doch etwas Größeres,
       Ganzes, Ewigzeitliches sehen wollten und darüber die aktuellen Probleme
       Roms übergingen. Auch Rom sehen und sterben ist problematisch – die Crux an
       dieser radikalen Gebrauchsanweisung für die Ewige Stadt ist, dass all jene,
       die sich aufrichtig für die Stadt begeistern, gleich wieder abtreten, oder,
       will man davon ausgehen, dass es sich hier nur um eine metaphorische
       Überhöhung handelt, immerhin so überwältigt sind, dass sie zum Handeln
       nicht mehr in der Lage sind.
       
       Kunst kann Nationen zusammenbringen, sie kann sie aber ebenso gut
       entzweien, und dass Bilder mit Macht und Einfluss ein stetiges Wechselspiel
       treiben, kann sich manchmal ganz konkret und kunstgeschichtlich zeigen.
       Während sich unter anderem die Pariser Museen du quai Branley und Louvre
       seit einiger Zeit Gedanken über Restitution machen, gibt es auch einen
       innereuropäischen Streit um Kunstprovenienz ganz anderer Art, nämlich
       zwischen den beiden Ex-Freunden Italien und Frankreich.
       
       Es geht dabei um einen Maler mit Migrationshintergrund, könnte man sagen,
       um niemand Geringeren als den im toskanischen Ort Vinci geborenen Leonardo,
       der seinen Alterssitz allerdings in Frankreich hatte, auch sein
       berühmtestes Gemälde hängt heute dort im Louvre und ist der Star unter
       allen Publikumsmagneten. Das Lachen der oberen Zehntausend hat schließlich
       schon in vielen Epochen mehr bewegt als das Leiden all jener darunter.
       Leonardo aber wurde vom italienischen Staatssekretär für Kultur im Dezember
       kurzerhand der Reisepass entzogen beziehungsweise die Leihgabe der in
       Italien hängenden Bilder infrage gestellt, damit der Künstlergigant seinen
       500. Todestag in Italien und nicht etwa im französischen Louvre feiert, wo
       alles längst geplant war.
       
       ## „Die Freiheit führt das Volk an“
       
       Der Freiheit der Kunst werden immer wieder neue Grenzen gesetzt, und wer
       meint, ihr Potenzial läge vor allem darin, eine gesellschaftskritische
       Intervention zu sein, übersieht, dass sie ebenso sehr immer auch Macht
       stützte und erhielt; Repräsentation einer höheren Wirklichkeit, die, sobald
       sie in direkte Nähe der Regierungsgewalt gestellt wurde, auf diese
       abstrahlte und uns so auch nach dem Abdanken Gottes als Legitimationsquelle
       irdischer Macht weiterhin einen Registerwechsel unterjubelte.
       
       Die, je nach Ästhetik, von tieferer Erkenntnis, höherer Schönheit oder
       reinerer Harmonie berichtete als ein Regierungsalltag etwa zwischen
       Hartz-IV-Bürokratie, Gutes-Kita-Gesetz und Parlamentsdebatten. So ist der
       Streit um die Mona Lisa natürlich auch einer darum, welcher Regierungschef
       sich mit dem berühmtesten Lächeln der Kunstgeschichte schmücken darf, neben
       dieser Darstellung höchster Harmonie. Dass dieses Lächeln geheimnisvoll
       ist, mag sein, aber es erzählt nicht von Aufstand oder Umsturz.
       
       Das Bild der Revolution, prominent in die Ewigkeit gesetzt, gibt es auch im
       Louvre, es ist von Eugène Delacroix gemalt, „Die Freiheit führt das Volk
       an“, und zeigt die Pariser Bürger auf den Barrikaden der 1830er Revolution,
       die Freiheit mit entblößter Brust und Jakobinermütze. Derzeit ist sie fast
       beliebter als die Mona Lisa, ihr wird gern in verfremdender Kopie eine
       Gelbweste übergezogen. Macht und Einfluss haben immer mit Bildern und
       idealisierenden Leihgaben zu tun, das weiß auch diese Bewegung.
       
       20 Feb 2019
       
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