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       # taz.de -- Kindesmissbrauch in der Kirche: Am Ende bleibt das Wort
       
       > Zum Ende der Antimissbrauchskonferenz im Vatikan kündigt Papst Franziskus
       > Aufklärung an. Aber keine konkreten Maßnahmen.
       
   IMG Bild: Wird die viertägige Bußübung im Vatikan echte Veränderungen bringen?
       
       Rom taz | Die Kirche räumt auf – in diesem Versprechen lässt sich die Rede
       zusammenfassen, mit der [1][Papst Franziskus] am Sonntag die Bilanz der
       dreitägigen Antimissbrauchskonferenz im Vatikan zog. Wann immer ein Kind
       Opfer eines Priesters werde, sei Satan selbst am Werk, wetterte der Papst,
       und er sagte für die Zukunft zu, [2][jeder einzelne Fall werde rückhaltlos
       aufgeklärt], jedes einzelne Opfer könne auf den Beistand der Kirche zählen.
       Konkrete Maßnahmen kündigte Franziskus jedoch nicht an.
       
       Er nannte Missbrauch ein gesamtgesellschaftliches Problem, das vor allem
       „Eltern, Verwandte, die Partner von Kinderbräuten, Trainer und Erzieher“
       betreffe. In der Kirche wiege es jedoch noch schwerer. Bei deutschen Opfern
       und Experten löste die Rede Empörung aus.
       
       Seit Donnerstag hatten Kirchenvertreter aus aller Welt im Vatikan [3][das
       Thema aufgerollt], die Atmosphäre ließ vermuten, dass eine entscheidende
       Wende anstehe. An so gut wie jeder Straßenecke rund um den Petersplatz hat
       sich ein TV-Team aufgebaut, interviewt Prälaten oder ganz gewöhnliche
       Bürger. So ist es sonst nur, wenn gerade ein Papst gestorben ist und ein
       paar Tage danach im Konklave sein Nachfolger gewählt wird.
       
       Weltkirche eben. Eine Weltkirche allerdings, die hier keineswegs eine ihrer
       Routineveranstaltungen abhält, sondern etwas ganz Neues, in 2.000 Jahren
       Geschichte des Katholizismus nie Dagewesenes ausprobiert: ein gigantisches
       „Mea culpa“. „Der Schutz der Minderjährigen in der Kirche“ war das
       offizielle Thema der viertägigen Veranstaltung, die Papst Franziskus
       vergangenen Donnerstag eröffnet hatte und am Sonntag endete. Vor allem aber
       ging es um die Schutzlosigkeit der Abertausende von Kindern und
       Heranwachsenden, die über Jahre hinweg, rund um den Erdball, in Heimen, in
       Seminaren, in Pfarreien, in katholischen Schulen von Priestern und
       Ordensleuten vergewaltigt wurden.
       
       ## Es fehlte nicht an deutlichen Worten
       
       Herunterspielen, verschweigen, vertuschen, im Zweifelsfall die Täter
       schützen – schlimmstenfalls wurden sie nur von einer Pfarrei in die nächste
       versetzt, wo sie ihr Missbrauchswerk fröhlich fortsetzen konnten –, die
       Opfer drangsalieren und zum Schweigen bringen: dies war die jahrzehntelang
       weltweit verfolgte Linie der Kirchenhierarchien bis in den Vatikan hinein
       gewesen. Doch jetzt versammelte Papst Franziskus 190 Kirchenvertreter zum
       großen Aufräumen, zum „Präsidentengipfel“, bei dem sich die Chefs der 124
       nationalen Bischofskonferenzen, der Ostkirchen, der Mönchs- und Nonnenorden
       trafen, um sich endlich dem Thema zu widmen.
       
       An deutlichen Worten fehlte es nicht in den letzten Tagen. Schon in seinem
       Einleitungsvortrag sagte Erzbischof Luis Tagle aus dem philippinischen
       Manila: „Unser Mangel an Verantwortungsbewusstsein, bis hin zur Ablehnung
       und Vertuschung des Skandals, um die Täter und die Institution zu schützen,
       hat unser Volk verletzt“; während er diese Wort sprach, flossen dem
       Kardinal die Tränen.
       
       So ging es drei Tage lang weiter. Kardinal Blase Cupich aus Chicago befand,
       die Gläubigen fragten sich, ob die Kirche wirklich „ein Bewusstsein für das
       Problem“ entwickelt habe, er sprach von „Misstrauen und Wut“, die aufkämen,
       wenn „nicht die Kinder, sondern die Täter und die Institution geschützt“
       würden. Und der indische Kardinal Oswald Gracias, Bischof von Mumbai,
       konstatierte: „Auf dem Weg haben wir versagt, wir müssen um Verzeihung
       bitten.“ Gracias kritisierte, dass in den Kirchen Asiens, Lateinamerikas
       oder Afrikas gern behauptet werde, dass die Missbrauchsproblematik nur die
       USA, Europa und Australien betreffe.
       
       ## „Es war ein einsamer Kampf“
       
       Gracias weiß nur zu gut, dass die Dinge anders liegen – aus seiner eigenen
       Diözese. In einer BBC-Dokumentation kam die Mutter eines Jungen aus Mumbai
       zu Wort, deren Sohn 2015 von der Messe heimkehrte und berichtete, er sei
       von dem Priester vergewaltigt worden. Sie suchte daraufhin das Gespräch mit
       dem Erzbischof, „er betete für uns“, hieß es dann aber ganz eilig. „Er
       sagte uns, er müsse nach Rom abreisen“, damit war für Gracias der Fall erst
       einmal erledigt; das Verlangen der Mutter nach medizinischem Beistand für
       ihren Sohn blieb unbeantwortet, und Anzeige gegen den der Vergewaltigung
       schuldigen Priester erstattete der Kardinal auch nicht.
       
       „Es war ein einsamer Kampf“, sagt die Mutter, die sich in ihrer Gemeinde
       isoliert, ja geächtet fand und schließlich aus der Kirche austrat. Auch der
       um Worte der Zerknirschtheit und Tränen nicht verlegene Kardinal Tagle aus
       Manila muss sich Fragen gefallen lassen: Laut der US-Internetplattform
       „Bishop Accountability“ wurde auf den Philippinen in den vergangenen Jahren
       kein einziger Missbrauchsfall in der Kirche dokumentiert.
       
       Vielleicht meinte Kardinal Reinhard Marx, Erzbischof von München und
       Freising sowie Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, in seinem
       Vortag vom Samstag über die nötige Transparenz ja auch Kollegen wie sie,
       als er festhielt: „Akten, die die furchtbaren Taten dokumentieren und
       Verantwortliche hätten nennen können, wurden vernichtet oder gar nicht erst
       erstellt.“ An den Verwaltungsstrukturen der Kirche kritisierte Marx, sie
       hätten „nicht dazu beigetragen, dass der Sendungsauftrag der Kirche erfüllt
       wird, sondern im Gegenteil, dass er verdunkelt, diskreditiert und
       verunmöglicht wird“.
       
       ## Kundgebungen und Märsche rund um den Petersdom
       
       Es sind Verwaltungsstrukturen wie die der argentinischen Kirche, die mit
       dem Fall von Julio César Grassi zu tun hatten. Einem Priester, der sich mit
       seiner Einrichtung „Felices los niños“ („Glücklich die Kinder“) um
       Straßenkinder kümmerte – um sie zu vergewaltigen. Grassi ist mittlerweile
       zu 15 Jahren verurteilt und wurde vor wenigen Tagen ins nationale
       Verzeichnis der Sexualstraftäter Argentiniens aufgenommen.
       
       Der Anwalt von Grassis Opfern allerdings berichtet von einem Treffen mit
       dem Erzbischof von Buenos Aires und Vorsitzenden der Argentinischen
       Bischofskonferenz im Jahr 2006, in dem der Kirchenobere sich „verschlossen,
       streng, misstrauisch“ zeigte. Dieser Bischof war Jorge Mario Bergoglio –
       der heutige Papst Franziskus.
       
       Die anlässlich der Versammlung nach Rom gereisten Opfervertreter, darunter
       Peter Isely, Sprecher des internationalen Netzwerks „End Clergy Abuse“ aus
       den USA, und Matthias Katsch von der Opfervereinigung „Eckiger Tisch“ aus
       Deutschland, hatten während der Konferenz Tag für Tag mit einigen Dutzend
       Missbrauchsopfern kleine Kundgebungen abgehalten, an der Engelsburg, nur
       ein paar hundert Meter vom Petersdom entfernt. Sie haben Märsche
       organisiert, haben nach den täglichen Vatikan-Pressekonferenzen draußen vor
       der Tür den Medienvertretern ihre Sicht der Dinge dargelegt.
       
       ## Keine operativen Anweisungen
       
       Ganz einfach ist diese Sicht, sie heißt „Null Toleranz“. Die Kirche müsse
       sich endlich verpflichten, Priester, die vergewaltigt haben, ebenso wie
       Bischöfe, die ihre schützende Hand über die Täter halten, aus dem Klerus zu
       verjagen. Fast schien es, als sehe der Papst das genauso.
       
       In seinem 21-Punkte-Plan, den er dem Treffen vorlegte, verlangte er, dass
       schuldige Priester und Bischöfe kein öffentliches Amt mehr ausüben dürfen.
       Allerdings erhielt dieser Plan ebenso wenig operative Weisungen wie die
       päpstliche Rede vom Sonntag. Und: Von einer Strafrückversetzung in den
       Laienstand war auch in dem 21-Punkte-Papier nichts zu lesen.
       
       Man könnte es nun so sehen: Mit ihrer viertägigen Bußübung in Rom hat die
       Kirche die Büchse der Pandora endgültig geöffnet, ein Zurück in die Kultur
       des Schweigens und Abwiegelns gibt es nicht mehr. Matthias Katsch vom
       Eckigen Tisch hatte darum vor der Papstrede zunächst eine recht ausgewogene
       Bilanz des Gipfels gezogen. Dieser sei „schon jetzt ein Erfolg für die
       Bewegung der Opfer“. Es müsse sich aber noch zeigen, ob er auch für die
       „Kinder und Jugendlichen in aller Welt ein Erfolg wird, die von Missbrauch
       bedroht sind durch verbrecherische Priester und durch ein System, dass
       diese Täter bislang geschützt hat“.
       
       ## Uninspiriertes Abspulen von Selbstverständlichkeiten
       
       Umso wütender reagierte Katsch auf die Ansprache des Papstes. Die Rede sei
       „der schamlose Versuch, sich an die Spitze der Bewegung zu setzen, ohne
       sich der Schuld und dem Versagen zu stellen oder wirkliche Veränderungen
       anzugehen“, twitterte Katsch am Sonntag.
       
       Die Irin Marie Collins, selbst ein Missbrauchsopfer und einst Mitglied in
       der päpstlichen Kinderschutzkommission, twitterte zu Franziskus’ Rede: „Wir
       haben dieses Bekenntnis, Missbrauch zu bekämpfen, schon oft gehört. Wann
       und wie, das ist es, was wir hören müssen – im Detail.“
       
       Auch Thomas Schüller, Direktor des Instituts für Kanonisches Recht an der
       Universität Münster, bezeichnete die Rede von Papst Franziskus als
       „Fiasko“. „Anstatt konsequent aus der Opferperspektive die Verantwortung
       der Kirche zu benennen“, sei die Rede „routiniertes und uninspiriertes
       Abspulen von Selbstverständlichkeiten“ gewesen, sagte Schüller der dpa.
       Franziskus habe das Problem der Kirche relativiert, indem er Missbrauch als
       gesamtgesellschaftliches Phänomen dargestellt habe.
       
       24 Feb 2019
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Michael Braun
       
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