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       # taz.de -- Android-Mobilfunkmesse in Barcelona: Der Elektroschrott von morgen
       
       > Am Montag startet die weltgrößte Mobilfunkmesse in Barcelona. Doch wegen
       > mangelnder Updates sind selbst die neuen Android-Geräte alt.
       
   IMG Bild: Neueste Technik, schon jetzt Makulatur? Android-Geräte auf der Mobilfunkmesse 2018
       
       Das Problem kommt in Form einer Süßigkeitenkiste daher. Ziemlich viel
       Nougat ist darin, knapp ein Drittel der Kiste ist damit gefüllt.
       Marshmallows und Oreo-Kekse, Lollipops, Kitkats, und Kleinkram, den am
       besten niemand mehr essen sollte. Denn ein großer Teil der Süßigkeiten ist
       bereits jenseits des Mindesthaltbarkeitsdatums, einige sind erst seit ein
       paar Monaten abgelaufen, andere bereits seit Jahren.
       
       Ginge es hier tatsächlich um Zuckerzeug, wäre das Problem ein
       überschaubares. Doch „Nougat“, „Marshmallow“ und „Lollipop“ sind Namen von
       Versionen von Googles Android, dem am meisten verbreiteten
       Smartphone-Betriebssystem. Und der Süßwarenkorb zeigt: Ein großer Teil
       dessen, was die Nutzer so auf ihren Telefonen installiert haben, ist
       ziemlich veraltet.
       
       Wenn auf dem Mobile World Congress, der weltweit größten
       [1][Mobilfunkmesse], die am heutigen Montag in Barcelona startet, die
       Hersteller ihre neuesten Modelle präsentieren, liegt dort vor allem eines
       in den Vitrinen aus: ziemlich viel Elektronikschrott. Und weil weder die
       Hersteller der Geräte noch Google bislang großes Engagement zeigen, das zu
       ändern, gehen Verbraucherschützer und die EU nun andere Wege.
       
       Android ist das Betriebssystem von immerhin drei Vierteln der weltweit
       genutzten Smartphones. Google bezifferte die Zahl der genutzten
       Android-Geräte bereits vor einem Jahr auf 2 Milliarden.
       
       ## Saures statt Süßes
       
       Dass bei diesen Geräten ein Update eher die Ausnahme als die Regel ist,
       liegt an den Smartphone-Herstellern. Denn die wollen meist nicht einfach
       das von Google bereitgestellte Betriebssystem nutzen. Sie ändern Teile des
       Systems, fügen eigene Apps hinzu und brauchen gegebenenfalls neue Treiber
       für bestimmte Hardwarekomponenten.
       
       Für die Hersteller gibt es keinen Anreiz, diesen Aufwand nach der
       Markteinführung eines Gerätes noch weiterzubetreiben. Die Telefone sind
       dann bereits verkauft, noch einmal zahlen die Kund:innen nicht für ein
       aktuelles Betriebssystem. Im Gegenteil: Veraltete Software könnte
       Verbraucher:innen eher dazu bringen, sich ein neues Gerät zu kaufen.
       
       Um zu begreifen, wie desaströs die Update-Politik der Hersteller ist,
       reicht eine einzige Zahl: 2,4 Prozent. Das ist der Anteil der weltweit
       genutzten Android-Smartphones, auf dem im Januar die aktuellste Version des
       Betriebssystems, Pie – Kuchen –, lief.
       
       Die Zahl stammt von dem Onlinedienst Statcounter, der bei weltweit etwa 2
       Millionen Webseiten untersucht, mit welchen Geräten und Systemen die
       Nutzer:innen darauf zugreifen, und ist daher vor allem ein Näherungswert.
       In der offiziellen Entwicklerstatistik für Android, die noch von Oktober
       datiert, taucht Pie noch nicht einmal auf.
       
       ## Sicherheitsrisiko: hoch!
       
       Doch: Je älter die Version, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass sie
       Sicherheitslücken enthält. Laut Cert-Bund, einem Team beim Bundesamt für
       Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), das unter anderem [2][aktuelle
       Sicherheitslücken in Software] auflistet, datiert der letzte und aktuellste
       Fund für Android auf Anfang Februar, das Risiko stuft die Stelle als „hoch“
       ein.
       
       „Wer ein Gerät mit einem veralteten Betriebssystem kauft, geht ein enormes
       Risiko ein“, sagt Michelle Jahn, Juristin bei der Verbraucherzentrale
       Nordrhein-Westfalen. Angreifer:innen können Sicherheitslücken
       beispielsweise ausnutzen, um Passwörter abzugreifen, Chats und persönliche
       Informationen mitzulesen – und die Daten später etwa für einen
       Identitätsdiebstahl oder eine Erpressung verwenden.
       
       Und die Relevanz des Themas wird künftig zunehmen. Noch läuft Android
       primär auf Smartphones und ein paar Tablets. Doch im Kommen: Android auf
       Smartuhren, TV-Geräten und Autos. Gelingt es Angreifer:innen da, über eine
       Lücke auf das Steuerungssystem zu kommen, könnte das weitaus
       problematischer werden als ein ausgespähtes E-Mail-Passwort.
       
       Mit dem Android-One-Programm versucht Google seit einiger Zeit,
       gegenzusteuern. Das verspricht: Die Smartphones bekommen drei Jahre lang
       Sicherheitsupdates und für zwei Jahre Updates auf neue Versionen.
       Ursprünglich sollte das im Jahr 2014 gestartete Programm dazu dienen,
       schlanke Android-Versionen auf günstige Geräte in Länder mit bislang
       geringer Smartphone-Dichte zu bringen.
       
       ## Hersteller lehnen Programm ab
       
       Mittlerweile scheint Google verstanden zu haben, dass regelmäßige
       Sicherheitsupdates auch für Nutzer:innen in Industrieländern interessant
       sind. Doch das Angebot ist überschaubar: Aktuell sind nicht einmal zwei
       Dutzend Geräte gelistet.
       
       Warum die Hersteller kein Interesse daran haben, dabei zu sein? Gegenüber
       der taz geben sich die Unternehmen verschlossen. Marktführer Samsung zum
       Beispiel hat gar kein Android-One-Gerät im Programm – warum, will das
       Unternehmen nicht verraten. Auch HTC, das das erste Android-One-Smartphone
       auf den deutschen Markt brachte, erklärt bis Redaktionsschluss nicht, warum
       das Nachfolgemodell ohne Android One erscheint.
       
       Dazu kommt: Wie schnell die Updates tatsächlich bei den Nutzer:innen
       landen, das bleibt offen. Ob es diesbezüglich Vorgaben gibt, beantwortete
       Google nicht. Ein weiteres Problem: Der Zeitraum der Updategarantie. Der
       beginnt nämlich, wie Google bestätigt, nicht mit dem Kauf des Geräts, wie
       eigentlich bei einer Garantie üblich. Sondern mit dem Zeitpunkt, zu dem das
       Gerät auf den Markt kommt.
       
       Wer also beispielsweise im Mai 2019 ein Telefon kauft, das im August 2018
       auf den Markt kam, der bekommt nur noch für gut zwei Jahre
       Sicherheitsupdates statt drei.
       
       ## Kleine Klage, große Wirkung?
       
       Verbraucherschützer wollen sich nicht damit abfinden, dass Updates häufig
       Glückssache sind. Und versuchen es auf einem alternativen Weg. So verklagte
       die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen eine Media-Markt-Filiale, weil
       diese ein Smartphone mit veraltetem Android verkaufte, ohne auf die
       Sicherheitslücken hinzuweisen. Am 19. März wird weiterverhandelt.
       
       Verbraucherschützerin Jahn hofft auf eine Hebelwirkung. Darauf, dass mit
       einer Kennzeichnungspflicht die Kunden zu Geräten ohne Sicherheitslücken
       greifen. Und die Händler den Herstellern Druck machen, Updates
       nachzuliefern.
       
       „Natürlich wäre es das Beste, wenn die Hersteller in die Pflicht genommen
       werden“, sagt Jahn. Sie müssten mindestens kennzeichnen, für wie lange sie
       Updates für ein bestimmtes Gerät bereitstellen werden. Besser aber noch:
       Sie sollten verpflichtet sein, Sicherheitsupdates für einen bestimmten
       Zeitraum bereitzustellen.
       
       Auch das EU-Parlament hat das Problem erkannt. Parlament und Rat haben sich
       Ende Januar auf den Entwurf einer entsprechenden Richtlinie geeinigt. Darin
       soll unter anderem geregelt werden, dass die Hersteller von vernetzten
       Geräten – seien es Telefone, Fernseher oder Kühlschränke – für einen
       bestimmten Zeitraum Updates bereitstellen müssen.
       
       ## Hoffnung auf die Gerichte
       
       Was jedoch fehlt: eine genaue Vorgabe. Hersteller müssten Updates „über den
       Zeitraum, den Verbraucher, je nach Art und Zweck des Produkts,
       vernünftigerweise erwarten dürfen“ bereitstellen. Also: Das vernetzte Auto
       wohl länger als das Smartphone. Aber wie lange genau? Zwei Jahre für das
       Smartphone, drei oder fünfeinhalb? Das dürfen wohl letztlich Gerichte
       klären.
       
       Wenn nicht noch die Bundesregierung in der nationalen Ausgestaltung der
       Richtlinie Vorgaben macht. Die stellvertretende Vorsitzende der
       Unionsfraktion, Nadine Schön, erklärt gegenüber der taz, eine
       Updatepflicht zu befürworten. Auch die SPD-Fraktion antwortet, man sei für
       eine Verpflichtung.
       
       Doch wie lange? Da sehen beide Regierungsfraktionen noch
       Diskussionsbedarf. Bis also auf der Mobilfunkmesse statt Elektronikschrott
       von morgen Geräte mit einigermaßen akzeptabler Lebensdauer gezeigt werden,
       wird es wohl noch eine Weile dauern.
       
       25 Feb 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.messeninfo.de/Mobile-World-Congress-M3322/Barcelona.html
   DIR [2] https://www.bsi.bund.de/DE/Themen/ITGrundschutz/ITGrundschutzKompendium/bausteine/SYS/SYS_3_2_4_Android.html;jsessionid=FE4F1CC501AC31F367E0D30B6B05FEAE.2_cid341?nn=10137184#doc10095838bodyText5
       
       ## AUTOREN
       
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