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       # taz.de -- Kolumne Mithulogie: Es gibt nicht den Hinduismus
       
       > In Indien demonstrieren fünf Millionen Frauen, da sie den
       > Sabarimala-Tempel nicht betreten dürfen. Die westliche Berichterstattung
       > ist stereotyp.
       
   IMG Bild: Europäische Medien berichteten über die 620 Kilometer lange #WomenWall nahezu gar nicht
       
       Was sind fünf Millionen Inderinnen in einer Reihe? Nein, kein rassistischer
       Witz, sondern eine Demonstration. Protest like a pro! Also berichteten die
       europäischen Medien über die 620 Kilometer lange [1][#WomenWall] quer durch
       den indischen Bundesstaat Kerala im Vergleich zum [2][#WomensMarch] in
       Washington … nahezu gar nicht.
       
       So weit, so wenig überraschend. Was sind schon fünf Millionen Inder*innen
       im Vergleich zu 0,5 Millionen Amerikaner*innen? Ich wusste nicht einmal, ob
       ich lachen oder vor Wut heulen sollte, dass so viele Medien dieses
       monumentale Ereignis schlicht ignorierten. Wenn nämlich doch darüber
       geschrieben wurde, dann als eine Version von: „Was wollen die Inderinnen?
       In den Tempel gehen. Warum dürfen sie nicht? Weil im Hinduismus Frauen
       während ihrer Periode als unrein gelten.“
       
       Ey, wir sind über eine Milliarde! Glaubt ihr tatsächlich, wir hätten erst
       jetzt bemerkt, dass aus der Hälfte von uns in regelmäßigen Abständen Blut
       rausläuft, und würden daraus schließen, dann wäre wohl der Teufel in sie
       hineingefahren? Falsch, das ist der Film „Der Exorzist“ und nicht „Der
       Hinduismus“.
       
       Spoiler: Es gibt den Hinduismus nicht, sondern nur die Hinduismen. Und in
       vielen davon ist Menstruationsblut die beste Flüssigkeit, zusammen mit
       Sperma und vaginalem Ejakulat. Es ist auch keineswegs so, dass Frauen nicht
       in die Tempel dürften. Nur halt nicht in den Sabrimala-Tempel – [3][bis der
       Oberste Gerichtshof Ende letzten Jahres entschied, dass sie doch dürfen.]
       Damit setzte er ein umstrittenes Gerichtsurteil von 1991 außer Kraft, das
       Frauen den Zutritt aufgrund einer noch viel umstritteneren „Tradition“
       verbat.
       
       ## Die AfD wäre stolz
       
       Was macht man also, wenn die Gemüter erhitzt sind und es nur einen Funken
       braucht, um sie zum Explodieren zu bringen? Sich zusammensetzen und
       überlegen, wie man die Gerichtsentscheidung am besten für alle umsetzen
       kann? Nein, man boxt zwei Frauen mit Polizeischutz in das Heiligtum. Worauf
       die hindu-nationalistische BJP begeistert aufrief, den Tempel zu blockieren
       und zu randalieren.
       
       Schließlich stehen in Kerala Wahlen vor der Tür, und mit nichts kann man
       Stimmen besser fangen als mit öffentlicher Entrüstung. [4][So heizte
       Premierminister Narendra Modi (BJP)] erst vor ein paar Tagen, als allen
       langsam die Lust am Protestieren ausging, die gewaltsamen Ausschreitungen
       noch einmal an, indem er den Einlass der Frauen als Hassverbrechen gegen
       die indische Kultur bezeichnete.
       
       Das sind Methoden, auf die die AfD stolz wäre. Mit dem kleinen Unterschied,
       dass die BJP in Indien an der Macht ist. Darüber möchte ich mehr lesen!
       
       Aber es ist nun einmal einfacher, über die abergläubischen Inder zu
       schreiben, die Angst vor der Menstruation haben, als über Politik, die man
       nicht versteht, weil man sich nicht für sie interessiert.
       
       25 Feb 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://twitter.com/hashtag/womenwall?src=hash&lang=de
   DIR [2] https://womensmarch.com/
   DIR [3] /Frauen-duerfen-Tempel-in-Indien-betreten/!5560135
   DIR [4] /Hindu-Nationalist-Narendra-Modi/!5042611
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Mithu Sanyal
       
       ## TAGS
       
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