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       # taz.de -- Ariana Grandes Album „Thank U, Next“: Anfechtbarer als Beyoncé
       
       > Ariana Grandes Superstardasein war bislang von Pech und Unglück verfolgt.
       > Auf ihrem Album „Thank U, Next“ verarbeitet sie einiges davon.
       
   IMG Bild: Eignung als feministisches Vorbild umstritten, Status als eine der wichtigsten Popstimmen zementiert: Ariana Grande
       
       Bette Midler hat in ihrem Leben viele Rollen gespielt: Hexe, Diva,
       Rockstar. In den meisten ihrer Filme aber hat sie anderen Frauen vorgelebt,
       wie es geht, dass sie tun und lassen können, was sie mögen. Zu einem
       Videoclip von US-Popsängerin Ariana Grande fiel Midler allerdings wenig
       Solidarisches ein: Es sei immer wieder überraschend zu sehen, wie jemand
       mit einer so dünnen Stimme wie Ariana Grande auf einem Sofa herumrutsche,
       lästerte Midler. Und schloss mit dem Rat an die junge Kollegin: Sie müsse
       keine Hure aus sich machen, um voranzukommen.
       
       Wer eine Feministin älteren Semesters zu so unverhohlener Herablassung
       veranlasst, während sie von jüngeren Fans als emanzipatorische Lichtgestalt
       gefeiert wird, macht möglicherweise alles richtig, vielleicht manches
       falsch – oder beides auf einmal.
       
       Ariana Grande, die nun ihr neues Album „Thank U, Next“ veröffentlicht,
       scheint in ihrem wasserdichten Image schwer zu fassen. Einerseits ist die
       25-Jährige aus Florida ein instagramtaugliches Update des US-amerikanischen
       Traumgirls, eine glatte Projektionsfläche für die Weichzeichnerträume der
       Generationen Y bis Z. Gleichzeitig wird sie mit cleveren Statements zu
       Themen wie Feminismus und psychischer Gesundheit durchaus den Ansprüchen im
       dezent anpolitisierten US-Mainstreampop der Gegenwart gerecht.
       
       Trotz ihres Megaerfolgs scheint Grande in ihrem Status als Popikone
       anfechtbarer zu sein als etwa die Quasiheilige Beyoncé: Mal verübelt man
       Grande, sich mit ihrem künstlich gebräunten Teint den Look schwarzer
       Künstlerinnen anzueignen, mal verhöhnt man sie in den sozialen Medien wegen
       eines verunglückten Tattoos. Ariana Grande ist auf Identitätssuche.
       
       ## Zäsuren in ihrem Leben
       
       Das Album „Thank U, Next“, gerade mal ein halbes Jahr nach ihrem letzten
       Werk „Sweetener“ veröffentlicht, ist für Grande ein weiterer Schritt
       Richtung Emanzipation. Wie so viele Sängerinnen begann auch sie als
       TV-Kinderstar, bevor sie ihre Musikkarriere mit zunächst harmlosem R&B
       startete. Der 22. Mai 2017 sollte zum Wendepunkt im Leben – und in der
       öffentlichen Wahrnehmung – Grandes werden: Bei ihrem Konzert in Manchester
       sprengte sich [1][ein Selbstmordattentäter in die Luft]. 23 Menschen
       starben.
       
       Das Trauma des Anschlags verarbeitete sie auf „Sweetener“. Schien sie auf
       dem Album-Vorgänger „Dangerous Woman“ das Image des abgründigen bad girl
       anzuprobieren wie ein Kostüm, zeigte sie sich auf „Sweetener“ als
       Zweifelnde, als Reflektierende. Und als kühne Verwalterin des Zeitgeists.
       
       Kurz nach Veröffentlichung folgte die nächste Zäsur in ihrem Leben: Im
       vergangenen September starb ihr Exfreund, der Rapper Mac Miller, an einer
       Überdosis Drogen – wenige Monate nach der Trennung von Grande. Als sei es
       nicht schwer genug, einen ehemaligen Partner zu verlieren, musste sich
       Grande nach Millers Tod den Vorwurf gefallen lassen, ihn in einem emotional
       prekären Stadium im Stich gelassen zu haben.
       
       Wenn sie sich nun in „Thank U, Next“, dem Titelsong ihres neuen Albums,
       (ironisch oder aufrichtig?) bei ihren Exfreunden für die gemeinsame Zeit
       bedankt, betrauert sie auch ihre verstorbene Liebe. Passend dazu dimmt sie
       Licht und Tempo in vielen ihrer neuen Songs herunter. Der Titeltrack und
       auch der düstere Auftaktsong „Imagine“ wurzeln im Trap.
       
       ## Eine der aktuell relevantesten Popstimmen
       
       Überhaupt ist der Pomp und Pathos früher Grande-Singles einem coolen,
       beinahe minimalistischen R&B-Sound gewichen. Lust auf Dekadenz hat Grande
       aber immer noch: In „7 Rings“ feiert sie die angeblich heilsame Kraft einer
       Shoppingtour. Damit liefert sie den Soundtrack zur virulenten Erzählung der
       „radical self-care“ und ihrer Prämisse: Was mir hilft, mich in der
       feindlichen Welt zu behaupten, ist feministisch – und sei es simples
       Shopping.
       
       Wer dieser These zustimmt, dem wird es sicher auch gelingen, „7 Rings“ als
       ermächtigenden Song zu lesen. Weil Grande einen wohl zu persönlichen Track
       in letzter Sekunde vom Album gekickt hat, schließt „Thank U, Next“ nun mit
       der biestigen, lustigen und irre hittauglichen Ansage „Break Up With Your
       Girlfriend, I’m Bored“ (Trenn dich von deiner Freundin, mir ist
       langweilig).
       
       So bleibt Grandes Eignung als feministisches Role Model auch auf ihrem
       neuen Album umstritten. Ihren Status als eine der aktuell relevantesten
       Popstimmen zementiert sie hingegen. „Thank U, Next“ hat nicht die
       unbedingte Experimentierfreude des Vorgängeralbum „Sweetener“, sondern fügt
       sich bestens ein in die US-Popgegenwart.
       
       Und genau deshalb sollte Bette Midler vielleicht noch einmal genauer
       hinhören: Ariana Grande hat vielleicht wenig über die Zukunft, dafür umso
       mehr über das Jetzt zu erzählen.
       
       12 Feb 2019
       
       ## LINKS
       
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