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       # taz.de -- Falsche Informationen zu Feinstaub: Unentschieden statt informiert
       
       > Unseriöse Mahner verwirren die Öffentlichkeit. Das ist eine bekannte
       > Taktik der US-Tabakindustrie und der „Klima-Skeptiker“.
       
   IMG Bild: Im Dunkeln: Viele Industrien streuen bewusst Skepsis am wissenschaftlichen Konsens
       
       Berlin taz | „Es steht unentschieden“, sagte der Leiter der
       ZDF-Umweltredaktion Volker Angres am 23. Januar in den „heute“-
       Nachrichten. In der Debatte um Köhlers Vorwürfe gebe es einen „extrem
       heftigen Expertenstreit“, der Wert stehe „auf zu dünnem Eis, die Forschung
       muss nochmal ran“.
       
       So argumentierte kurz darauf auch Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer
       (CSU): „Es mehren sich Stimmen in der deutschen Ärzteschaft“, schrieb er an
       die EU-Kommission, die „die wissenschaftliche Herleitung des
       Jahresmittelwerts in Frage stellen“.
       
       Dabei sieht die Realität ganz anders aus. Aber das Muster der Debatte ist
       von anderen Schlachtfeldern der Gesundheits- und Umweltpolitik bekannt: von
       der Tabakindustrie und den Leugnern des menschengemachten Klimawandels.
       
       ## Finanzierte Studien
       
       Diese selbst ernannten „Klimaskeptiker“ verwirren und bremsen seit etwa 20
       Jahren vor allem in den USA, Großbritannien und Australien die Klimapolitik
       – mit einer Taktik, die wie eine Vorlage aussieht für die Reaktionen rund
       um Köhler und seine „Diesel-Skeptiker“. Angebliche Experten treten auf, die
       den wissenschaftlichen Konsens bezweifeln, Journalisten berichten über
       diesen „Expertenstreit“, Lobbygruppen und Politiker berufen sich auf
       angebliche Unsicherheit in der Wissenschaft, die Verwirrung bremst jegliche
       Aktion.
       
       Die Taktik stammt von der US-Tabakindustrie. Die wehrte sich mit
       Medienkampagnen seit den 50er Jahren gegen Vorwürfe, Rauchen schade der
       Gesundheit. „Unser Produkt ist der Zweifel“, heißt es in einem internen
       Memo der Industrie von 1969.
       
       Die Ölindustrie, vor allem der Multi Exxon, übernahm diese Vorgehensweise,
       als es um den Klimawandel ging. Nachgewiesen sind diese Winkelzüge von
       Websites wie „Exxonsecrets“ oder dem Buch „Merchants of Doubt“: Über Jahre
       ließ die Lobby Studien finanzieren, die Zweifel an den Erkenntnissen der
       Klimawissenschaften säten. Sie bezahlten Forscher für Kritik an Studien,
       gründeten eigene Institute und gaukelten Dissens in der Wissenschaft vor.
       
       Dabei nutzten sie, dass Studien auch zeigen, was sie alles nicht wissen –
       und dass die Forscher Kritik von Nicht-wissenschaftlern nicht ernst nahmen.
       Auch ein gutes Argument: Wissenschaft ist keine Demokratie, auch
       Außenseiter können recht haben.
       
       ## Die scheinbare Unentschiedenheit
       
       Die Medien fielen darauf herein. Ihre Lust auf Kontroverse, aber auch ihrem
       Dogma, immer die Gegenseite zu präsentieren, machten sie zu Komplizen.
       
       In einer ebenfalls berühmten Studie „Balance als Vorurteil“ wiesen
       US-Wissenschaftler 2004 dann nach, wie die vermeintlich objektive
       Darstellung zu einer drastischen Verzerrung der Wirklichkeit führte: Wo
       eigentlich eine überwältigende Mehrheit von Forschern einig waren (beim
       Klimawandel wohl 97 Prozent), entstand in der Öffentlichkeit der Eindruck,
       der Expertenstreit sei unentschieden.
       
       Wissenschaftler wurden unter Druck gesetzt und öffentlich beschimpft, ihre
       Mails wurden gehackt und veröffentlicht verzerrt.
       
       Die Parallelen zu den Diesel-skeptikern sind verblüffend: Bei einem
       gravierenden Umweltproblem (Klima, Luftverschmutzung) erreichen Experten
       über jahrelange Studien einen großen Konsens. Die Medien berichten darüber.
       Wenn das Thema im Mainstream angelangt ist, kommt die Gegenreaktion:
       Einzelne „tapfere Außenseiter“ stellen sich gegen die Mehrheit.
       
       ## Die Logik der Medien
       
       Die Medien lieben diese „Underdogs“ so sehr, dass sie kaum auf Expertise,
       Qualifikation oder relevante veröffentlichte Studien achten. Jeder
       „Lungenfacharzt“ wird zum Experten für Schadstoffe, jeder pensionierte
       Geologieprofessor zum Klima-Guru. Ihr Widerspruch findet schnell Widerhall:
       Bei den bedrohten Industrien, bei Journalisten und Politikern, denen die
       einschlägigen Regelungen nicht passen.
       
       Anders als beim Klima gibt es allerdings in der deutschen Dieseldebatte
       keinen Hinweis auf direkte Finanzierung der „Skeptiker“ durch die
       Industrie.
       
       Die Klimawissenschaften haben aus dem Desaster ihrer öffentlichen
       Kommunikation gelernt. Der Weltklimarat IPCC betreibt inzwischen
       professionelle Medienarbeit, weltweit liefern Websites wie
       „realclimate.org“ oder „Klimafakten.de“ Aufklärung mit Verweisen zu
       Wissenschaftlern oder Studien.
       
       ## „Wie leicht sie auf solche Tricks hereinfallen“
       
       Auch Stefan Rahmstorf, Ozeanograph vom Potsdam Institut für
       Klimafolgenforschung (PIK), der mit seinem Blog „KlimaLounge“ auch immer
       wieder Falschmeldungen aufspürt, sieht die Parallelen zwischen Diesel- und
       Klimaskeptikern: Es sei eine „seit Jahrzehnten bekannte Kampagnentaktik der
       Lobbykräfte gegen Klimaschutz, mit Unterschriftenlisten unter abwegigen
       Thesen die Öffentlichkeit über den Stand der Wissenschaft zu verwirren. Bei
       näherem Hinsehen merkt man dann, dass die angeblichen Experten zu dem Thema
       meist überhaupt nicht geforscht haben. Es ist immer wieder erschütternd zu
       sehen, wie leicht einige Medien oder gar ein Minister auf solche Tricks
       hereinfallen.“
       
       Schnelle Aufklärung bringt auch das „Science Media Center“, das von einer
       Stiftung unterhalten wird und Fake News bei aktuellen Wissenschaftsthemen
       bekämpft. Zur Debatte um die „Diesel-Skeptiker“ standen auf deren Homepage
       schon bald internationale Experten, die vor Köhlers Studien warnten. Von
       einem „Unentschieden“ war keine Rede.
       
       14 Feb 2019
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bernhard Pötter
       
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