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       # taz.de -- Prozess in New York gegen „El Chapo“: Bis zum Tod im Gefängnis
       
       > In allen Anklagepunkten schuldig: Der Prozess gegen den mexikanischen
       > Drogenboss Joaquín „El Chapo“ Guzmán ließ von Heldenverklärung nichts
       > übrig.
       
   IMG Bild: Kurz nach seiner Verhaftung: Drogenboss El Chapo Guzmán im Januar 2016 in Mexiko
       
       Oaxaca taz | Auf seine „Vitamine“ wird Joaquín Guzmán Loera wohl künftig
       verzichten müssen. „Vitamine“ – so bezeichnete der mexikanische Mafiaboss
       nach Aussagen eines Zeugen jene Mädchen, die er sich für 5.000 US-Dollar
       bringen ließ und dann vergewaltigte, weil ihn das kickte.
       
       Auch andere Verbrechen, die sich der Chef des Sinaloa-Kartells zu Schulden
       hat kommen lassen, wird er in Zukunft nicht mehr verüben können. Denn die
       zwölf Geschworenen eines New Yorker Gerichts, das drei Monate lang gegen
       den 61-Jährigen verhandelte, haben ihn in allen Anklagepunkten schuldig
       gesprochen.
       
       Dieses Urteil, das der Richter Brian Cogan am Dienstag bekanntgab, sieht
       eine lebenslange Haftstrafe vor. Formal wird Cogan das Strafmaß erst am 25.
       Juni verkünden. Aber außer Frage steht: „El Chapo“, der „Kurze“, wie Guzmán
       wegen seiner geringen Körpergröße genannt wird, muss bis zu seinem Tod in
       einem Gefängnis in den USA verbringen. Einen Antrag auf vorzeitige
       Entlassung kann er nicht stellen, Guzmáns Verteidiger wollen jedoch in
       Berufung gehen.
       
       Die Staatsanwaltschaft hatte Guzmán zehn Delikte vorgeworfen, die mit
       Drogenschmuggel, Schusswaffengebrauch und Geldwäsche zu tun haben. Als
       schwerwiegendster Anklagepunkt galt die Beteiligung an einer
       verbrecherischen Organisation. 30 Jahre lang leitete El Chapo das
       Sinaloa-Kartell aus dem gleichnamigen mexikanischen Bundesstaat. 2016 wurde
       er in Mexiko gefasst und unter anderem unter der Bedingung ausgeliefert,
       das er nicht mit dem Tode bestraft werden darf.
       
       ## Guzmán hat persönlich gefoltert und hingerichtet
       
       Sechs Tage lang hatte die Jury beraten, bis sie zu ihrer Entscheidung
       kamen. Kurz bevor sie sich zu ihren Beratungen zurückgezogen hatten, waren
       die Kindersex-Eskapaden des Angeklagten bekannt geworden. Doch schon zuvor
       hatte der 61jährige durch die Zeugenaussagen in dem dreimonatigen Prozess
       den letzten Glamour verloren, der ihm durch die Netflix-Verfilmungen
       „[1][El Chapo]“ und Serien wie „[2][Narcos]“ sowie zwei spektakuläre
       Fluchten aus mexikanischen Hochsicherheitsgefängnissen angedichtet worden
       war.
       
       Das Verfahren hat gezeigt: Guzmán hat einige seine Gegner selbst gefoltert
       sowie grausam hingerichtet und ist für den Tod unzähliger weiterer Menschen
       verantwortlich.
       
       Die Killer des Sinaloa-Kartells haben zehntausende Menschen auf dem
       Gewissen. Manche wurden im Krieg gegen gegnerische Banden ermordet, andere
       verschwanden, weil sie im Weg standen. Auch der Journalist [3][Javier
       Valdéz] starb durch Schüsse von Sinaloa-Mördern.
       
       Mindestens 155 Tonnen Kokain soll das Kartell laut Anklage unter Guzmáns
       Kontrolle in die USA geschmuggelt haben. Die Drogenhändler brachten darüber
       hinaus tonnenweise Marihuana, Heroin und andere Drogen in Flugzeugen,
       U-Booten, Lastwagen und eigens dafür angefertigten Tunneln auf die andere
       Seite des Rio Bravo. 14 Milliarden US-Dollar soll das Kartell damit
       verdient haben.
       
       ## Yacht, Privatjet, schicke Häuser am Meer
       
       Das US-Magazin Forbes hat Guzmán deshalb auf die Liste der weltweit
       Reichsten gesetzt. „Ich verteile so viel Heroin, Methamphetamin, Kokain und
       Marihuana wie kein anderer auf der Welt“, erzählte er einmal dem
       Schauspieler Sean Penn, der das Gespräch im [4][Rolling Stone]
       veröffentlichte.
       
       56 Zeugen hatte die Staatsanwaltschaft laden lassen, um genau das zu
       beweisen. Manche lieferten Berichte über den schillernden Lifestyle eines
       Drogenbarons, der den traditionellen Klischees entspricht: viele
       Liebhaberinnen, schicke Häuser am Meer, Yacht, Privatjet und mehrere
       weitere Anwesen samt Tennisplätzen, Pools, Jaguaren, Panther und
       Krokodilen.
       
       Andere bestätigten die Grausamkeit des Mafia-Chefs. So etwa Isaías Valdez
       Ríos, Ex-Soldat und späterer Leibwächter Guzmáns. Er berichtete, wie El
       Chapo zwei Kriminelle der gegnerischen „Zetas“ nach stundenlanger Folter
       auf einem Scheiterhaufen verbrennen ließ. Und wie er Kontrahenten mit dem
       Dampfbügeleisen den Körper quälte. Riós sollte bestätigen, dass El Chapo
       persönlich Menschen ermordete. Das habe er, so Jesús Esquivel vom
       mexikanischen Magazin [5][proceso], detailliert getan.
       
       Noch wichtiger für die Ankläger waren jene Männer, die auf höchster
       krimineller Ebene mit dem Sinaloa-Chef zusammengearbeitet haben. Dámaso
       López, der als Gefängnisdirektor die erste Flucht Guzmáns ermöglichte und
       später zu dessen rechter Hand wurde, berichtete über Tonnen von Kokain, die
       das Kartell mit Hilfe von Schmiergeldern in die USA brachte.
       
       ## Nicht Teil des Prozesses: Schmiergelder an Politiker
       
       Der als „el Licenciado“ bekannte Verbrecher sagte aus, dass die
       Organisation hohe Summen an mexikanische Beamte gezahlt habe, um den
       Drogentransport in die USA abzusichern. Die Generalstaatsanwaltschaft, das
       Militär und die Bundespolizei hätten Hunderttausende von US-Dollars
       bekommen.
       
       Der kolumbianische Drogenhändler Alex Cifuentes, der jahrelang mit Guzmán
       Loera in den Bergen von Sinaloa gelebt hatte, berichtete von
       Millionenzahlungen an die mexikanischen Präsidenten Felipe Calderón und
       Enrique Peña Nieto. 100 Millionen US-Dollar soll Peña Nieto zur
       Unterstützung seines Wahlkampfes 2012 bekommen haben. „Das sagte mir
       Joaquín“, erklärte Cifuentes. Eine Dame namens „Comadre Maria“ soll das
       Geld weitergeleitet haben – jene Frau, die auch die Mädchen für El Chapos
       Vergewaltigungen besorgt hatte.
       
       Richter Cogan und die Staatsanwältin Andrea Goldberg bemühten sich, das
       Thema Schmiergeld aus dem Prozess fernzuhalten, da es nichts mit der
       Anklage zu tun habe. So blieb es bei Vorwürfen, die zwar in Mexiko niemand
       verwundern, aber keine sichtbaren Folgen nach sich ziehen.
       
       Nur El Chapos Staranwalt Jeffrey Lichtman griff die Schmiergeldzahlungen
       auf, um seinen Mandanten aus der Schusslinie zu nehmen: Nicht Guzmán,
       sondern Ismael „Mayo“ Zambada sei der Chef des Kartells. Lange Zeit haben
       die beiden die Organisation zusammen angeführt.
       
       ## Zeugen, die etwas zu gewinnen haben
       
       Im Prozess versuchte Lichtman, „El Mayo“ die Führungsrolle zuzuschieben und
       die Bedeutung des Kurzen als zweitrangig zu klassifizieren. Folglich sei es
       Zambada gewesen, der Schmiergelder an Peña Nieto gezahlt habe. Nicht
       zufällig sei sein Mandant wie ein Tier gejagt worden, während der 70jährige
       Mayo nie im Gefängnis gesessen habe und „frei wie ein Vogel ist“.
       
       Guzmán selbst hat im Prozess nicht gesprochen, und Lichtman verzichtete
       weitgehend auf eigene Zeugen. Nur ein Mitarbeiter der US-Bundespolizei
       sollte Cifuentes Glaubwürdigkeit demontieren. Das FBI habe dem Kolumbianer
       vorab vorgeschrieben, was die US-Behörden im Prozess hören wollten, so der
       Anwalt.
       
       Ganz von der Hand zu weisen sind solche Vorwürfe nicht. Die ehemalige
       Komplizen des Chapo plauderten alles aus, was für dessen Verurteilung nötig
       war. Und das nicht umsonst: Sie alle sitzen in US-Gefängnissen ein und
       dürften für ihre Aussagen erheblichen Strafnachlass bekommen.
       
       So könnte die lebenslange Haft des „Licenciado“ auf 15 Jahre reduziert
       werden. Der Mann hat weitere Gründe, gegen den Kurzen auszusagen: Seine
       Fraktion kämpft gegen Chapos Söhne um die Macht im Kartell. Staatsanwältin
       Andrea Goldberg zweifelte dennoch nicht an den Zeugen: „Sie wissen, dass
       sie alles verlieren, wenn sie lügen.“
       
       ## Abgehörte Gespräche mit Liebhaberinnen
       
       Immer treu an Guzmáns Seite besuchte seine Frau Emma Coronel den Prozess.
       So blieb es der 29jährigen Schönheitskönigin aus den Bergen Sinaloas nicht
       erspart, all die Telefongespräche anzuhören, die das FBI dank eines
       Überläufers mitgeschnitten hatte. Dort ging es nicht nur um Crystal-Meth,
       sichere Verstecke oder Polizeikontrollen. Der Kurze führte neben den
       Gesprächen mit der Mutter seiner Zwillinge auch zahlreiche Telefonate mit
       seinen Liebhaberinnen.
       
       Coronel dürfte das wegstecken, ebenso wie die Kindesvergewaltigungen und
       die Prostituierten, die ihr Mann früher in mexikanische Gefängnisse kommen
       ließ. Sie kenne ihn ganz anders, als er jetzt dargestellt werde, erklärte
       die Frau, deren Vater seit langem für Guzmáns Organisation tätig sein soll.
       
       Für die Mexikanerin, die gerne in schicker Kleidung oder Bikini auf
       Instagram posiert, wird das Leben auch weitergehen, wenn ihr Liebster in
       seiner Zelle in einem US-Hochsicherheitsknast vergammelt. Das
       Sinaloa-Kartell schreibt auch ohne ihn schwarze Zahlen.
       
       13 Feb 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Doku-Der-Tag-an-dem-ich-El-Chapo-traf/!5457976
   DIR [2] /Netflix-Serie-Narcos/!5223752
   DIR [3] /Morde-an-mexikanischen-Journalisten/!5411394
   DIR [4] https://www.rollingstone.com/politics/politics-news/el-chapo-speaks-40784/
   DIR [5] https://www.proceso.com.mx/author/jesquivel
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Wolf-Dieter Vogel
       
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