URI: 
       # taz.de -- Julia Reda zur EU-Urheberrechtsreform: „Der Kompromiss ist Augenwischerei“
       
       > Die Europaparlamentarierin kritisiert die jüngste Einigung zur
       > EU-Urheberrechtsreform. Julia Reda über Uploadfilter, Internetkonzerne
       > und Europapolitik.
       
   IMG Bild: Piratin Julia Reda kämpft für die Freiheit im Netz
       
       taz: Frau Reda, am Mittwochabend haben sich die Unterhändler von Rat und
       Parlament auf [1][Bestimmungen zur EU-Urheberrechtsreform geeinigt]. Sind
       Sie zufrieden mit dem Ergebnis? 
       
       Julia Reda: Ich bin enttäuscht, da das Parlament die Einigung zwischen
       Deutschland und Frankreich, die vergangene Woche im Hinterzimmer
       ausgehandelt wurde, einfach übernommen hat.Ich glaube, da wird das
       Parlament seiner demokratischen Rolle als Vertretung der Bürgerinnen und
       Bürger nicht gerecht.
       
       Bei dem [2][deutsch-französischen Kompromiss] geht es darum, dass kleine
       Unternehmen von den Uploadfiltern befreit sein sollen. 
       
       Der Kompromiss ist Augenwischerei. Deutschland tut so, als hätten sie eine
       Ausnahme für Start-ups bei Uploadfiltern rausverhandelt. Tatsächlich sind
       die Voraussetzungen, davon zu profitieren so eng, dass sie niemandem
       helfen. Es reicht nicht, dass man ein kleines Unternehmen ist, man muss
       auch eine geringe Reichweite haben und jünger als drei Jahre sein. Selbst
       Ein-Personen-Unternehmen, die keine Ambitionen haben, groß zu werden, sind
       in diesem Entwurf nach drei Jahren verpflichtet, Uploadfilter einzusetzen.
       Dazu zählen auch Diskussionsforen oder kleine Plattformen, die
       urheberrechtlich gar nicht relevant sind.
       
       Machen Uploadfilter denn nicht auch Fehler? 
       
       Uploadfilter, die tadellos funktionieren, kann ich mir überhaupt nicht
       vorstellen. Das ist technisch ausgeschlossen, weil das Urheberrecht komplex
       ist. Ein Algorithmus müsste erkennen, was ein kreatives Werk ist. Das ist
       völlig ausgeschlossen. Youtube hat mit Content-ID einen solchen
       Uploadfilter, der in der Entwicklung übrigens Millionen gekostet hat. Und
       alles, was die Filter tun, ist zu gucken, ob bestimmte Aufnahmen vorkommen
       oder nicht. Was sie nicht können, ist zu prüfen, ob vielleicht eine
       Ausnahme gilt, die eigentlich die Grundrechte der Nutzer schützen soll.
       Dazu gehört die Parodiefreiheit, das Zitatrecht. Solange der Algorithmus
       nicht dazu in der Lage ist, einen Sinn für Humor zu entwickeln, wird er
       diese Sachen auch sperren.
       
       In der Einigung steht, dass Memes und Gifs, die zum Beispiel in die
       Kategorie Humor fallen, weiter hochgeladen und geteilt werden können. 
       
       Ja, aber sie sind nicht von der Filterung ausgenommen. Sie sind nur keine
       Urheberrechtsverletzung. Artikel 13 stellt fest, dass Parodien und Zitate
       in allen Mitgliedstaaten erlaubt sein sollen. Das ist zwar ein erster
       Schritt, aber dort steht nicht, dass die Uploadfilter die erkennen können.
       Letztendlich hilft es den Usern wenig, wenn das erlaubt ist, in der Praxis
       aber der Uploadfilter die Inhalte trotzdem sperrt. Das ist für die
       Alltagskultur im Netz, Memes, Livestreams völlig unmöglich. Es hilft mir ja
       nicht, wenn mein Livestream 24 Stunden später zur Verfügung steht, wenn das
       Ereignis längst vorbei ist.
       
       Angenommen ein freier Reporter ist auf der Straße und streamt live zu einem
       Ereignis. Wäre das so einfach möglich? 
       
       Es ist sehr wahrscheinlich, dass Uploadfilter Fehler machen und so einen
       Reporter sperren, wenn zum Beispiel im Hintergrund Musik spielt. Die
       Konsequenz des Ganzen ist das Gegenteil von dem, was man erreichen wollte.
       Ich glaube es ist deshalb so weit gekommen, weil es in der EU ein
       allgemeines Unwohlsein darüber gibt, dass Facebook und Google so eine Macht
       im Internet haben. Da stimme ich auch völlig zu. Problematisch sind aber
       die Mittel, die dafür gewählt werden, die wiederum unter anderem von
       anderen großen Medienkonzernen vorgeschlagen werden. Ich glaube Ziel ist
       nicht, Google und Facebook eins auszuwischen, sondern den Medienkonzernen
       gefällt nicht, dass jeder auf solchen Plattform berichten kann. Denn damit
       nimmt man ihnen ja das Geschäftsmodell. Denn sie sind die Gatekeeper, die
       Zugang zu Informationen, Nachrichten und Kultur ermöglichen. Ich glaube,
       die haben gar nichts dagegen, wenn am Ende das Internet aussieht, wie das
       Kabelfernsehen, weil das ist die Welt, die sie kennen und in der sie groß
       geworden sind.
       
       Was wäre in Ihren Augen eine bessere Lösung? 
       
       Wenn man die großen Plattformen in den Fragen wirklich reguliert, in denen
       die Probleme sind. Das allergrößte Problem ist das Steuerrecht, da die
       Firmen im großen Stil Steuervermeidung betreiben und nicht dort Steuern
       zahlen, wo sie ihr Geld verdienen. Der zweite Punkt: Gerade Google und
       Facebook haben auf dem Werbemarkt große Verwerfungen erzeugt. Sie
       dominieren den Werbemarkt. Was wir brauchen ist eine Verschärfung des
       Steuerrechts und eine gezielte Regulierung von Werbung auf der Basis von
       persönlichen Daten. Also: Stärkerer Datenschutz, stärkere Werberegulierung,
       stärkeres Steuerrecht. Die Probleme, die wir mit diesen Plattformen haben,
       wurden nicht durch das Urheberrecht erzeugt und werden auch nicht durch das
       Urheberrecht gelöst werden.
       
       In dem Entwurfstext steht, dass es eine faire Lizenzvereinbarung mit
       Rechteinhabern geben soll. Wie könnten Urheberrechte unabhängig davon
       besser im Netz geschützt werden? 
       
       In der Regelung ist unklar, was Plattformen genau tun sollen. Da steht: Sie
       sollen größte Bemühungen anstreben, solche Lizenzen zu bekommen. Es stellt
       sich die Frage: Von wem? Die Idee scheint so als sei sie von jemandem, der
       denkt, es gebe fünf Rechteinhaber auf der Welt. Tatsächlich gibt es
       wahrscheinlich fünf Milliarden. In der heutigen Welt sind auch nicht mehr
       alle Kreativen in Verwertunggesellschaften organisiert. Die allermeisten
       Kreativen im Netz sind Amateure und es ist völlig unmöglich, dass
       Plattformen von allen im Vorfeld Lizenzen einholt. Was man machen könnte,
       was fairer wäre, ist, wenn große Plattformen, die mit der Verwertung von
       Useruploads Geld verdienen, pauschale Lizenzen an die
       Verwertungsgesellschaften zahlen. Dann müssten für die alltägliche Nutzung
       im Gegenzug Verwertungen legalisiert werden. Wir haben das in Deutschland
       für die Privatkopie. Die finden auch nicht alle gut. Sowas könnte man auch
       für private Plattformen machen. Remixes und Memes wären erlaubt und im
       Gegenzug bekommt die Verwertungsgesellschaft eine Pauschale. Das fände ich
       fair.
       
       Sie fordern das EU-Parlament auf bei der bevorstehenden Abstimmung, gegen
       die Einigung zu stimmen. Gehen sie davon aus, dass der vorliegende Text
       abgelehnt wird? 
       
       Ich bin relativ zuversichtlich, dass das Parlament mindestens die
       Uploadfilter ablehnt, hoffentlich auch das Leistungsschutzrecht. Es gibt
       zwei Möglichkeiten. Entweder die Verhandlungsergebnisse werden ohne
       Änderung durchgewunken. Dann tritt es sofort in Kraft. Die zweite
       Möglichkeit ist aber, dass das Parlament auch Änderungen vornehmen kann.
       Ich werde mich dafür einsetzen, Artikel 11 und Artikel 13 zu streichen.
       
       Warum ist es für viele so kompliziert zu verstehen, was das
       Leistungsschutzrecht als auch die Uploadfilter eigentlich meinen? 
       
       Es gibt bei der Europäischen Kommission eine riesige Schere zwischen Zielen
       und tatsächlichen Auswirkungen. Also alle Unterstützer dieser Richtlinie
       reden die ganze Zeit darüber, was die Ziele sind. Dann sagen sie: Das Ziel
       ist, dass die Plattformen die Kreativen fair bezahlen. Aber die Kritik
       richtet sich nicht gegen diese Ziele, sondern die Methoden. Das wird auch
       aus der Wissenschaft, von Menschenrechtsvertretern, wie den
       UN-Sonderberichterstattern ganz klar gesagt, dass diese Regeln das
       Gegenteil ihrer Ziele bewirken werden. Stattdessen werden große Plattformen
       noch stärker gemacht und kleine Kreative geschädigt. Das ist das zentrale
       Missverständnis, es wird ständig über die Absichten dieser Reform geredet
       und nicht über das, was sie bewirkt.
       
       14 Feb 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /EU-Urheberrechtsreform/!5573394/
   DIR [2] /!5571203/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Anna Grieben
       
       ## TAGS
       
   DIR Urheberrecht
   DIR Leistungsschutzrecht
   DIR Digitalisierung
   DIR Europäische Union
   DIR Schwerpunkt Europawahl
   DIR Datenschutz
   DIR Katarina Barley
   DIR Schwerpunkt Urheberrecht
   DIR EU
   DIR Urheberrecht
   DIR Europäische Union
   DIR EU
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Julia Reda verlässt die Piratenpartei: „Für mich absolut inakzeptabel“
       
       Piraten-Abgeordnete Julia Reda wirft ihrem Ex-Büroleiter sexuelle
       Belästigung vor. Weil er bei der Europawahl antritt, verlässt sie die
       Partei.
       
   DIR Demo gegen EU-Urheberrechtsreform: Berlin gegen Artikel 13
       
       Vor allem junge Menschen protestieren heute in Berlin gegen geplante
       EU-Regelungen. Sie könnten das Internet grundlegend verändern.
       
   DIR Koalitionsvertrag und EU-Digitalreform: Eine Sache des Wordings
       
       GegnerInnen der EU-Urheberrechtsreform kritisieren, die GroKo breche den
       eigenenen Koalitionsvertrag. Das sehen auch Fachpolitikerinnen so.
       
   DIR Urheberrechtsreform der EU: Unter Vorbehalt zugestimmt
       
       Die umstrittene EU-Reform des Urheberrechts im Internet ist noch nicht ganz
       durch. Selbst Bundesjustizministerin Katarina Barley zweifelt.
       
   DIR Petition gegen EU-Urheberrechtsreform: 4,7 Millionen Unterschriften für Barley
       
       Die geplante EU-Urheberrechtsreform steht besonders wegen den Artikeln 11
       und 13 unter Kritik. Gegner haben nun eine Petition im Justizministerium
       eingereicht.
       
   DIR EU-Kommission zu Urheberrechtsreform: Die beste aller virtuellen Welten
       
       Für EU-Digitalkommissar Andrus Ansip ist die Copyright-Reform ein guter
       Kompromiss. Sie sei gut für Google, YouTube & Co. – aber auch für die User.
       
   DIR EU-Urheberrechtsreform: Upload-Waaas?
       
       Die EU-Verhandler einigen sich auf einen Text für die geplante
       Urheberechtsreform. Eine Handreichung für alle, die nicht mehr
       durchblicken.
       
   DIR Reform des EU-Urheberrechts: Mitgliedsstaaten mehrheitlich dafür
       
       Der zwischen Deutschland und Frankreich erzielte Kompromiss ist von den
       EU-Ländern übernommen worden. Nun wird mit dem Europaparlament verhandelt.
       
   DIR Kompromiss zur EU-Urheberrechtsreform: Klitzekleine Ausnahmen
       
       Deutschland und Frankreich finden zum Artikel 13 der EU-Urheberrechtsreform
       einen Kompromiss. Kritik daran kommt von mehreren Seiten.