URI: 
       # taz.de -- Kongos Oppositionsführer im Interview: „Ich bin der gewählte Präsident“
       
       > Der um seinen Wahlsieg betrogene Martin Fayulu erklärt, warum er Kongos
       > neuen Präsidenten Tshisekedi ablehnt. Und was er jetzt tun will.
       
   IMG Bild: Martin Fayulu spricht zu seinen Unterstützern
       
       Martin Fayulu ist der tragische Held der Wahlen vom 30. Dezember 2018 in
       der Demokratischen Republik Kongo. Erst kürte Kongos Opposition den Führer
       der Kleinpartei ECIDE (Bürgerengagement für Entwicklung) zu ihrem
       gemeinsamen Kandidaten, dann sprang der rivalisierende Oppositionelle Felix
       Tshisekedi wieder ab und trat doch selber an, und am Ende kürten die
       Wahlkommission und das Verfassungsgericht im Kongo [1][Tshisekedi zum
       Wahlsieger], obwohl alle unabhängigen Auszählungsergebnisse [2][einen
       klaren Sieg Fayulus] mit rund 60 Prozent der Stimmen ergeben hatten. 
       
       Nachdem alle Welt zuvor damit gerechnet hatte, dass Regierungskandidat
       Emmanuel Shadary per Wahlfälschung als Nachfolger des scheidenden
       Amtsinhabers Joseph Kabila an die Macht gehievt werden würde, auch gegen
       massiven Widerstand der Bevölkerung sorgte die Kür Tshisekedis für
       Erleichterung: ein Bürgerkrieg schien nun abgewendet, der erste friedliche
       Machtwechsel an Kongos Staatsspitze wurde möglich. 
       
       Doch ein Sieg der Demokratie war das nicht: Die Wahlkommission hat keine
       aufgeschlüsselten Ergebniszahlen vorgelegt, das Kabila-Lager behält die
       Mehrheit im Parlament und die massive Manipulation der Wahl sowie mögliche
       vertrauliche Deals mit Kabila überschatten Tshisekedis Amtsübernahme. Der
       neue Präsident des Kongo lässt sich nun als Verkörperung eines Wandels
       feiern, während Fayulu – immerhin mit einem Abgeordnetenmandat ausgestattet
       – die internationale Gemeinschaft zu mobilisieren versucht, um doch noch
       seinen Sieg durchzusetzen. Die taz interviewte ihn am Telefon am 13.
       Februar. 
       
       Taz: Herr Fayulu, wo sind Sie derzeit und mit was beschäftigen Sie sich? 
       
       Martin Fayulu: Ich bin in Kinshasa in meinem Büro und bereite mich auf die
       nächsten Schritte vor, nachdem ich nun einen Brief an die Afrikanische
       Union geschrieben habe. Ich habe eine Tour durch das Land vorbereitet, die
       am Donnerstag (14. Februar) losgehen wird. Ich werde in die Provinz
       Nord-Kivu reisen, in die Stadt Butembo und danach nach Goma. Danach nach
       Kikwit in West-Kongo und weiter nach Matadi.
       
       Was versprechen Sie sich von dieser Tour? 
       
       Ich will die Kongolesen treffen, die mich gewählt haben, und ihnen
       versichern, dass ihre Wählerstimmen nicht verloren sind und dass ich alles
       tun werde, den Sieg des kongolesischen Volkes zu erringen.
       
       Warum haben Sie sich mit einem Brief an die Afrikanische Union gewandt? 
       
       Ich habe mich an die AU gewandt, weil diese ja auch gesagt hat, dass es
       ernsthafte Zweifel an den Wahlergebnissen gibt. Die AU hatte damals (im
       Januar vor der Verkündung des amtlichen Endergebnisses, d.Red.)
       vorgeschlagen, eine hochrangige Delegation zu schicken, um alle Akteure an
       einen runden Tisch zu setzen und eine effektive Lösung zu suchen. Doch die
       AU hat diese Reise verschoben. Deswegen habe ich sie jetzt noch einmal
       gebeten, eine Kommission einzurichten, die die Wahlergebnisse verifiziert
       und prüft, wer wirklich die Präsidentschaftswahl sowie die
       Abgeordnetenwahlen gewonnen hat. Denn auf allen Ebenen sind die Ergebnisse
       der Wahlkommission (CENI) nicht korrekt. Die Ergebnisse wurden fabriziert.
       Wenn die AU denkt, das ist nicht so einfach und schnell zu machen, dann
       habe ich vorgeschlagen, die Wahlen im Kongo in sechs Monaten zu
       wiederholen.
       
       Aber ist das denn nun die Aufgabe der AU, die Wahlergebnisse zu prüfen und
       die Wahlen evtl sogar zu annullieren? 
       
       Wenn es nicht ihre Aufgabe ist, warum hat sich dann die AU im ersten
       Schritt an das kongolesische Verfassungsgericht gewandt mit der Forderung,
       die Veröffentlichung der Wahlergebnisse zu suspendieren und hierher nach
       Kinshasa zu kommen um zu verhandeln? Es ist Aufgabe der AU, für Frieden auf
       dem Kontinent zu sorgen.
       
       Wenn es nun in sechs Monaten Neuwahlen gäbe – gäbe es dann eine Chance auf
       einen glaubwürdigen, fairen und demokratischen Wahlprozess? 
       
       Das ist eine gute Frage. Dies würde dann alle Akteure mit einbeziehen,
       damit sie dafür sorgen: die AU, die Vereinten Nationen, und alle Partner
       des Kongo, um zu sehen, wie man die Wahlkommission auflöst; und sich an
       unsere befreundeten afrikanischen Staaten wenden, die eine Wahlkommission
       haben, um uns als Berater zu helfen. Dasselbe gilt für das
       Verfassungsgericht. Das sind alles politische Verhandlungen, denn unsere
       Verfassungsrichter sind unfähig, sie stehen alle im Dienste von Kabila.
       Alle diese Richter müssen ausgetauscht werden. Deswegen habe ich um sechs
       Monate gebeten, weil wir überall Weichen stellen müssen. Wir benötigen bis
       dahin eine Übergangsregierung ohne Politiker, die das Land voranbringen
       kann. All das muss im Rahmen der AU diskutiert werden und die
       internationale Gemeinschaft könnte dafür Pate stehen oder die Diskussion
       finanzieren.
       
       Und Sie denken, sechs Monate reichen aus, all die politischen Gremien zu
       reorganisieren? Gibt es dann am Ende noch genügend Geld, eine Neuwahl
       durchzuführen? 
       
       Wir haben die vergangene Wahl auch ohne die Hilfe der Internationalen
       Gemeinschaft durchgeführt. Wir sprechen hier von 300 bis 400 Millionen
       Dollar, die eine solche Wahl kostet. Wenn die Internationale Gemeinschaft
       hilft, kann man sich das leisten. Zudem wurden in manchen Landesteilen die
       Wahlen noch nicht abgehalten, dort wurde also Geld nicht ausgegeben, das
       noch zur Verfügung steht. Wenn wir im Zuge der Diskussion zu der
       Schlussfolgerung kommen, dass sechs Monate nicht ausreichen, dann kann man
       auch sieben oder acht Monate veranschlagen. Aber wenn wir heute alle
       gemeinsam entschließen und die Internationale Gemeinschaft dafür stimmt,
       dann hat die kongolesische Bevölkerung eine echte Chance, dass ihre Stimme
       gehört wird. Das Volk kann nicht mit diesen Abgeordneten leben
       beziehungsweise mit einem Präsidenten, der ernannt und nicht gewählt wurde.
       Unser Land steckt ohnehin schon in einer Krise – und wenn wir diese Krise
       jetzt ignorieren, dann wird sie in einigen Monaten oder einem Jahr auf uns
       zurück kommen.
       
       Hat Ihrer Meinung nach die Internationale Gemeinschaft die Glaubwürdigkeit
       der Wahl und des demokratischen Prozesses für eine arrangierte Stabilität
       geopfert? 
       
       Es ist ein Fehler zu glauben, mit diesem Arrangement kann man Stabilität
       erzeugen. Es gibt keine Stabilität, solange ein Großteil der Bevölkerung
       jemanden gewählt hat, der dann nicht ins Präsidentenamt aufgenommen wird.
       Dasselbe mit den Abgeordneten: Die Menschen wissen doch, wen sie gewählt
       haben, finden diese Person aber dann nicht im Parlament wieder. Die
       Internationale Gemeinschaft bevorzugt es nun, Tshisekedi im Amt zu haben,
       der nicht einmal 18 Prozent der Stimmen erhalten hat – und das soll
       Stabilität garantieren? Das ist nur eine hypothetische Stabilität. Die
       Kongolesen wissen, was Widerstand ist – auch was passiver Widerstand ist –
       und ich denke nicht, dass uns das Stabilität bringt.
       
       Wir sehen bereits in vielen Landesteilen eine Zunahme der Gewalt und
       Konflikte in den vergangenen Wochen seit den Wahlen. Ist dies bereits ein
       Anzeichen für die Destabilisierung? 
       
       Diese Konflikte sind manipuliert und instrumentalisiert von Personen an der
       Macht. Das ist bereits der Beginn der Krise, weil die Mächtigen, die diese
       Konflikte provoziert haben, immer noch an der Macht sind. Die Verkündigung
       der Wahlergebnisse war bereits verheerend für die Kongolesen und es gibt
       leider auch immer Leute, die aus dieser Situation Profit schlagen, um den
       Kongo weiter zu destabilisieren.
       
       Im März sollen in einigen Landesteilen, wo die Durchführung der Wahl
       bislang aus Sicherheitsgründen nicht möglich war – also in Yumbi, Beni,
       Butembo – Nachwahlen stattfinden. Bereiten Sie sich darauf vor? 
       
       Ob diese Wahlen dort stattfinden werden, wird sich zeigen. Wir denken ja
       jetzt schon, dass der ganze Prozess nicht korrekt verlaufen ist. Wir haben
       bereits gesehen, dass der Wahlprozess nicht eingehalten wird und die
       Menschen betrogen wurden. Die ganze Wahl wurde nur veranstaltet, um Kabila
       zu helfen, jemanden nach seinem Gutdünken zu ernennen. Die Kongolesen
       müssen sich als fragen, warum sie im März nochmal wählen, wenn am Ende die
       Gewinner ernannt und nicht gewählt werden.
       
       Präsident Tshisekedi hat nun vorgeschlagen, eine Regierung der nationalen
       Einheit zu etablieren. Werden Sie dazu beitragen? 
       
       Mir ist nicht klar, was er mit Einheit meint. Er selbst ist in einer
       Koalition mit Kabila. Das ist doch alles eine Maskerade und er selbst hat
       gar keine Kontrolle über die Situation. Wenn jetzt im Parlament
       Koalitionsverhandlungen stattfinden, um eine Mehrheit zu finden, dann ist
       das ganz normal, so ist das in Deutschland ja auch. Aber ich frage mich,
       welchen Sinn das nun macht. Denn Tshisekedi hat im Parlament keine
       Mehrheit, die hat Kabilas Lager und Kabila kann alles kontrollieren. Ich
       sehe jetzt nicht, was ich da bewirken soll.
       
       Wenn es nun nicht zu Neuwahlen kommt, was werden Sie dann unternehmen? 
       
       Ich werde fortfahren, denn ich bin der von den Kongolesen gewählte
       Präsident. Ich betrachte mich als Präsident, auch wenn ich keine Legalität
       und Effektivität im Amt habe. Aber die Kongolesen haben Vertrauen in mich
       und ich werde mit der Debatte fortfahren, um eine bessere Lösung für unser
       Land zu finden. Deswegen gehe ich jetzt auf Tour: Ich will den Wählern
       danken und ihnen versichern, dass ich weiterkämpfen werde. Wir haben im
       Kongo eine große Kultur des Widerstandes – und meiner wird ein Widerstand
       der Bürger sein, ohne Provokation und ohne Gewalt. Denn laut Verfassung ist
       das kongolesische Volk der Souverän. Und das Volk hat gewählt. Und diese
       Entscheidung muss in einer Demokratie respektiert werden. Denn die
       Kongolesen haben in ihrer Wahlentscheidung auf eine glaubwürdige
       Alternative zum Regime Kabilas gesetzt. Doch bis jetzt ist Kabilas System
       an der Macht – nur dass er sich eine Maske aufgesetzt hat.
       
       14 Feb 2019
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Praesidentenwahl-im-Kongo/!5563846
   DIR [2] /Nach-der-Wahl-im-Kongo/!5561528
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Simone Schlindwein
       
       ## TAGS
       
   DIR Kongo
   DIR Schwerpunkt Demokratische Republik Kongo
   DIR Martin Fayulu
   DIR Felix Tshisekedi
   DIR Joseph Kabila
   DIR Lesestück Interview
   DIR Kongo
   DIR Schwerpunkt Demokratische Republik Kongo
   DIR Kongo
   DIR Schwerpunkt Demokratische Republik Kongo
   DIR Schwerpunkt Demokratische Republik Kongo
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Vor den Wahlen im Kongo: Gezielte und geplante Massaker
       
       Die UNO legt einen Bericht über Massaker im Westen Kongos im Dezember 2018
       vor. Möglicherweise besteht eine Mitverantwortung staatlicher Stellen.
       
   DIR „Notprogramm“ für Kongo: Freiheit und Arbeit
       
       Kongos neuer Präsident Felix Tshisekedi verkündet die Freilassung
       politischer Gefangener. Und ein umfassendes Straßenbauprogramm.
       
   DIR Präsidentenwahl im Kongo: Starker Name, schwacher Charakter
       
       Félix Tshisekedi übernimmt das höchste Staatsamt. Er ist das genaue
       Gegenteil von seinem Vater, der den Widerstandsgeist verkörpert hat.
       
   DIR Umstrittene Wahl im Kongo: Gericht erklärt Tshisekedi zum Sieger
       
       Das Verfassungsgericht hält Einsprüche für unbegründet. Beobachter halten
       die Präsidentschaftswahl dennoch für manipuliert.
       
   DIR Präsidentschaftswahl in der DR Kongo: Darf die Opposition gewinnen?
       
       Eine Woche nach der Wahl zeichnet sich eine Niederlage für das
       Regierungslager ab. Die Wahlkommission zögert die Ergebnisse hinaus.